Zusammenfassung
Die gesellschaftlichen Verhältnisse der hochindustrialisierten Gesellschaft sind als Quelle politischer Apathie erkannt worden1; die mangelnde Praxisrelevanz der Theorie und Didaktik politischer Bildung wird kritisiert.2 In dieser Situation gruppendynamische Verfahren als Medium politischer Bildung aufzugreifen, lag nahe, weil — wenn überhaupt das formal-demokratische Selbstverständnis unserer Gesellschaft einen Sinn haben soll — politische in politisierende Bildung verwandelt werden muß und angenommen wurde, eben diese Praxis der Interaktion gruppendynamischer Übungen könnte Interesse wecken und zugleich politisch relevante Kenntnisse vermitteln. Darüber hinaus wurden auch Hoffnungen in Gruppendynamik gesetzt insofern solche Verfahren, insbesondere die „T-Gruppe“ (Trainingsgruppe), nach dem 2. Weltkrieg in den USA zwar als Mittel gezielten sozialen Wandels im Sinne des Trends zur Rationalisierung entwickelt und technokratisch eingesetzt wurden, ihr Selbstverständnis aber dennoch ganz ungeniert „demokratisch“ war3; wir werden sehen, daß „demokratisch“ nicht viel mehr heißt, als daß jemand sich freiwillig und möglichst reibungslos in einen vorgegebenen Rahmen oder Zweck fügt. Darüber hinaus wurde „Entwicklung der Persönlichkeit“ versprochen.
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Anmerkungen
Vgl den Literaturbericht Klaus Horn, Politische Psychologie. Erkenntnisinteresse, Themen, Materialien, insbesondere Abschnitt Politische Apathie und Wahlverhalten. In: Kress/Senghaas (Hrsg.), Politikwissenschaft. Eine Einführung in ihre Probleme, Frankfurt/M 1972, S. 185 ff.
Vgl z.B. die Zusammenfassung von Rolf Schmiederer, Zwischen Affirmation und Reformismus. Politische Bildung in Westdeutschland seit 1945, Frankfurt/M. 1972.
Dieses Paradoxon hat insbesondere George C. Rosenwald, Zum Objektivierungsproblem in der Gruppenpsychologie. In: Klaus Horn (Hrsg.), Gruppendynamik und der ‚subjektive Faktor‘. Repressive Entsublimierung oder politisierende Praxis, Frankfurt/M. 1972, S. 394 ff., entfaltet und kritisiert.
Tobias Brocher, Lernprozesse in Gruppen: Gruppendynamik als Lehrmethode. In: Hessische Blätter für Volksbildung 4, 1966, S. 376–395.
Vgl insbesondere die von George C. Rosenwald, a.a.O., in dieser Hinsicht kritisierten Anfänge der gruppendnamischen Bewegung.
Einen ersten kritischen Eindruck von der Praxis solcher Verfahren vermitteln Peter Brügge, „Ich lasse mich nicht auseinandernehmen“. In: Horn 1972, lit. cit., S. 229 ff.
Walter Giere, Gruppendynamik. Verlaufsschilderung eines Seminars, in: Horn 1972, lit. cit., S. 205 ff.
deutschsprachig vorliegende Einführung geben Jack R. Gibb, Sensitivitätstraining als Mittel zur Förderung individueller Bildungsprozesse und Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen. In: Horn 1972, lit. cit., S. 139 ff.
Louis A. Gottschalk und E. Mansell Pattison, Psychiatrische Aspekte der T-Gruppen und die Laboratoriumsbewegung. Eine Übersicht. In: Horn 1972, lit. cit., S. 239 ff.
Joseph Luft, Einführung in die Gruppendynamik, Stuttgart 1971
A. K. Rice, Führung und Gruppe, Stuttgart 1971
Philipp E. Slater, Mikrokosmos: Eine Studie über Gruppendynamik, Frankfurt/M. 1970.
Das versuchte Horn (1969) in Politische und methodologische Aspekte gruppendynamischer Verfahren. In: Das Argument, Nr. 50, Sonderband, 3. Teil, S. 261–283, zu zeigen; diese Kritik wird weitergeführt in Horn 1972, lit. cit.; vgl. insbesondere Rosenwald, a.a.O.
Gibb (1972, a.a.O., S. 142 f.) formuliert, indem er Therapiegruppen gegen Gruppendynamik abzugrenzen versucht, zugleich einige Aspekte der Trainingsgruppenarbeit. Gesellschaftliche Probleme, die dort genannt werden, sind nur die „Affektivität der Organisation“, der Gruppe oder des Teams.
Vgl z.B. Margarete Lutz und Wolfgang Ronellenfitsch, Gruppendynamisches Training in der Lehrerbildung, Ulm 1971.
Vgl. Gibb, a.a.O., S. 153 ff.
Vgl. Peter Fürstenau, Neuere Entwicklungen der Bürokratieforschung und das Schulwesen, in: Neue Sammlung 7, 1967, S. 511–525
ders., Institutionsberatung. Ein neuer Zweig angewandter Sozialwissenschaft. In: Gruppendynamik, 1970, S. 219–233.
Georges Lapassade, Gruppen, Organisationen, Institutionen, Stuttgart 1972 (Franz. Original, Paris 1967, 2. Aufl. 1970).
Leland P. Bradford, Jack R. Gibb und Kenneth D. Benne (Hrsg.), T-Group, Theory and Laboratory Method. Innovation in Re-education, New York/London/Sidney 1964.
Gibb, a.a.O.
Zur Abgrenzung zwischen Gruppentherapie und Gruppendynamik vgl. Gottschalk und Pattison, a.a.O., sowie Morton A. Lieberman, Martin Lakin und Dorothy Stock Whitacker, ebd., S. 281 ff.
Vgl Walter Giere, Gruppendynamik und politische Bildung, in: Horn 1972, lit. cit., S. 378 ff.
Johan Galtung, Gewalt, Frieden, Friedensforschung. In: Dieter Senghaas (Hrsg.), Kritische Friedensforschung, Frankfurt/M. 1971, S. 164 ff.
Tobias Brocher, Modische Entwicklungsprobleme der Gruppendynamik. In: Gruppendynamik, 1971, S. 128–138. Sabina Lietzmann schildert am 6.1.1973 in der Wochenendbeilage der FAZ („Revolution von oben“) das vom Verwertungszwang des Kapitals bestimmte Interesse der US-Privatwirtschaft an der Stadtsanierung. In diesem Rahmen spielen „sensitivity“-Kurse für weiße Vorarbeiter und Abteilungsleiter für den Umgang mit Slumbewohnern eine Rolle.
Wir wissen aufgrund der Arbeiten von Parsons, daß nur spezifische Formen des von den Leistungsnormen abweichenden Verhaltens als krank — im Unterschied zu asozial, kriminell usf. — anerkannt werden. Vgl. Talcott Parsons, Definition von Gesundheit und Krankheit im Lichte der Wertbegriffe und der sozialen Struktur Amerikas. In: Alexander Mitscherlich u.a. (Hrsg.), Der Kranke in der modernen Gesellschaft, Köln und Berlin 1967, S. 57 ff.
Vgl die kurze Einführung von Joseph Luft, a.a.O.
Vgl. auch Walter Giere, Gruppendynamik und politische Bildung, a.a.O.
Zu dieser Fragestellung und den folgenden Problemen vgl. die „Einleitung“, in: Horn 1972, lit. cit.
David Riesman, Reuel Denney und Nathan Glazer, Die einsame Masse. Eine Untersuchung der Wandlungen des amerikanischen Charakters. Mit einer Einführung in die deutsche Ausgabe von Helmut Schelsky, Reinbek bei Hamburg 1958.
Vgl. dazu auch Dieter Ciaessens und Ferdinand W. Menne, Zur Dynamik der bürgerlichen Familie und ihrer möglichen Alternativen. In: Soziologie der Familie, hrsg. v. Günther Lüschen und Eugen Lupri, Sonderheft 14 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Köln/Opladen 1970, S. 169–198.
Vgl Roy D. Calogeras und Fabian Schupper, ‚Verschiebung‘ der Abwehrformen und einige ihrer Konsequenzen für die analytische Arbeit. In: Horn 1972, ht. cit., S. 312 ff.
Vgl z.B. auch Marin Shephard und Majorie Lee, Marathon 16, München 1972.
Eine soziologische Untersuchung der Gruppendynamik-Bewegung als sozialer Bewegung steht noch aus. Vgl. die allerdings sehr formalistische Untersuchung von Helga Reimann: Die Mental Health Bewegung. Ein Beitrag zur Kasuistik und Theorie der sozialen Bewegung, Tübingen 1967.
Vgl Horst E. Richter, Die Gruppe. Hoffnung auf einen neuen Weg, sich selbst und andere zu befreien. Psychoanalyse in Kooperation mit Gruppeninitiativen, Reinbek b. Hamburg 1972.
Vgl z.B. Oskar Negt, Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen. Zur Theorie und Praxis der Arbeiterbildung, Frankfurt/Main 1969.
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Horn, K. (1974). Können gruppendynamische Verfahren Medium politisierender Bildung sein?. In: Ackermann, P. (eds) Politische Sozialisation. Studienbücher zur Sozialwissenschaft, vol 15. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-86106-1_23
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