Zusammenfassung
Eines der auffälligsten Merkmale in der gegenwärtigen politischen Entwicklung vornehmlich sozialdemokratisch regierter Staaten wie zum Beispiel Schwedens, Englands (der Labourregierung), der Bundesrepublik unter der sozialliberalen Koalition und anderer, ist darin zu sehen, daß umfassende Planungssysteme als ein zentrales Instrument systematischer gesellschaftspolitischer Reformen eingesetzt werden. Staatliche Planung wird als die am weitesten fortgeschrittene Problemlösungsstrategie des politischen Systems gegenüber den anstehenden Problemlagen angesehen, wobei oft von der fortschrittsgläubigen Perspektive ausgegangen wird, daß der ≫Spätkapitalismus eigentlich jetzt erst richtig zu planen begonnen hat≪ 1. Diesem politischen Modernitätssyndrom von Gesellschaftsreformen über umfassende staatliche Planungssysteme liegen bei den politischen Akteuren insbesondere folgende Annahmen zugrunde:
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die Disparität von öffentlicher Armut und privatem Reichtum macht weitreichende gesellschaftliche Strukturreformen erforderlich;
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die zunehmenden gesellschaftlichen Ausdifferenzierungsprozesse führen zu einer so hohen Komplexität und Kompliziertheit der anstehenden Entscheidungsprobleme, daß gesellschaftliche Reformen nicht mehr mittels der überkommenen pluralistischen Prozeß- und Verteilungspolitik, der Politik des Inkrementalismus, sondern nur noch über eine umfassende ≫Systempolitik≪, das heißt über umfassende Planungssysteme geleistet werden kann 2;
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Planungssysteme haben vor allem auf eine effiziente wie effektive, mittel- und längerfristige Ziel- und Ressourcensteuerung sowie deren wechselseitige Integration abzuzielen, wobei je nach den spezifischen Problemlagen der einzelnen Staaten unterschiedliche planerische Schwerpunkte zu setzen sind;
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die von den Planungssystemen zu bewältigenden Entscheidungsprobleme sind weitgehend pareto-optimal, das heißt, sie beinhalten ein politisch-ökonomisches Konfliktpotential und einen daraus resultierende Konsensbedarf, der unterhalb eines vom gegebenen politischen System (Regierung, Verwaltung, Parteien, Verbände) noch zu bewältigenden Schwellenwertes verbleibt.
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Anmerkungen
Zitat aus einem Interview des Verfassers im Rahmen seiner Untersuchungen zu Planungssystemen in der BRD.
Vgl. dazu den programmatischen Aufsatz von A. Schick, Systems politics and systems budgeting, PAR 1969.
Der weitere Rahmen dieser Problembereiche wurde ansatzweise analysiert von F. Naschold, Zur Politik und Ökonomie von Planungssystemen, PVS 1972, Sonderheft.
Zum folgenden siehe Narr/Naschold, Einführung in die politische Theorie, III, Stuttgart 1971, mit weiterführenden Literaturangaben. Komparative Differenzen zwischen einzelnen politischen Systemen können in der nachstehenden Analyse in der Regel nicht berücksichtigt werden.
Vgl. dazu Naschold/Seuster/Väth/Zipfel, Untersuchung zur mehrjährigen Finanzplanung des Bundes im Hinblick auf die Reform von Planungs- und Entscheidungsprozessen im Bereich der Bundesregierung, Zwischenbericht, Bonn, Oktober 1970.
Siehe zum Beispiel A. Shonfield, Geplanter Kapitalismus, Köln 1968.
Zum folgenden siehe Naschold/Seuster/Väth/Zipfel, Untersuchung zur mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, Bericht, Bonn, August 1971. Auf diesen Bericht bauen die weiterführenden Ausführungen auf.
Zur Dimension der Planungstechniken ist unter vielen anderen besonders auf die Arbeiten von Ackoff, Beer, Forrester, Churchman, Jantsch, Quade/Boucher, Rudwick, Zwicky hinzuweisen. Forrester und Rudwick in diesem Band.
So A. Rivlin, Systematic thinking for social action, Brookings Institute 1971.
Siehe dazu F. Naschold, Möglichkeiten und Grenzen von Optimierungsverfahren, Stadtbauwelt 1969, und die sich daran anschließende Kontroverse.
Terminologisch und zum Teil auch konzeptionell weichen die Ausführungen teilweise von entsprechenden Konzepten aus der Regelungstechnik ab.
Vgl. A. Pf äff, Transfer economics, Manuskript 1971.
Vgl. dazu das skeptische Resümee zur staatlichen Finanz-, Geld- und Einkommenspolitik in: Globalsteuerung der Wirtschaft — Illusion oder Realität, Bergedorfer Gesprächskreis 1971, Protokoll Nr. 39, jetzt in diesem Band S. 104 ff.
Den Ausführungen liegt hier die Annahme einer additiven Verknüpfung ökonomischer und politischer Faktoren zugrunde, die theoretisch problematisch ist und hier nur der Einfachheit der Analyse wegen gemacht wird.
Auf die Problematik der Wohlfahrtsökonomik sowie generell der Frage von Werten, Bedürfnissen, Zielen usw. kann hier nicht näher eingegangen werden.
Die folgenden Ausführungen beruhen natürlich auf stark vereinfachten Annahmen, um die wesentlichen Gedanken strategischer Zielplanung besser ausarbeiten zu können.
Siehe dazu die Zusammenfassung bei H. von Hentig, Cuernavaca oder: Alternativen zur Schulreform?, Stuttgart 1971.
Der Verfasser plant mit Mitgliedern des Instituts für Höhere Studien eine strategische Zielplanung im Bereich des österreichischen Gesundheitssystems.
Zu diesen Fragen siehe näher die oben erwähnten Berichte zur Finanzplanung.
Vgl. die Berichte zur Finanzplanung mit weiteren Literaturangaben.
Siehe zuletzt W. A. Niskanen, Why new methods of budgetary choices, Manuskript, Nürnberg 1971, jetzt in diesem Band S. 296 ff.
Siehe dazu insbesondere die bisher noch nicht veröffentlichten Unter-suchungen von R. Wettmann (s. PVS 1972, Sonderheft).
Vgl. dazu insbesondere St. Cohen, Modern Capitalist planning: The French Model, Cambridge 1969.
Vgl. D. P. Moynihan, Maximum feasible misunderstanding, New York 1969.
Eine gute und kritische Zusammenfassung bietet G. Fehl, Informationssysteme in der Stadt- und Regionalplanung, Stuttgart 1970.
Zu dieser Problematik im Bereich der Gesamtschulentwidklung steht eine im Rahmen des Deutschen Bildungsrates unternommene Untersuchung des Verfassers zusammen mit Lehrern aus Berliner Gesamtschulen vor dem Abschluß.
Vgl. A. Schmitt, Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx, Frankfurt 1962.
Zu den folgenden Ausführungen siehe insbesondere J. O’Connor, The fiscal crisis of the State, in: Socialist Revolution, 1970.
Siehe H. Zimmermann, öffentliche Ausgaben und regionale Wirtschaf tsentwicklung, Basel 1970.
Vgl. Ch. Bettelheim, ökonomischer Kalkül und Eigentumsformen, Berlin 1970; sowie E. Altvater, Gesellschaftliche Produktion und ökonomische Rationalität, Frankfurt 1969.
Die mit dieser Annahme zusammenhängenden theoretisdien Probleme können hier weder andiskutiert werden, noch sind sie beim Stand der gegenwärtigen Diskussion befriedigend zu beantworten.
Siehe die Berichte zur Finanzplanung.
Vgl. dazu die Ausführungen bei C. Offe, Manuskript I, II, III, 1971; sowie Naschold, Zur Politik und Ökonomie von Planungssystemen, a.a.O.
Siehe zum Beispiel H. Kern/M. Schumann, Industriearbeit und Arbeiterbewußtsein, Frankfurt 1970.
Vgl. dazu die Diskussion im Kursbuch 25, Politisierung: Kritik und Selbstkritik, Oktober 1971.
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Naschold, F. (1973). Gesellschaftsreform und politische Planung. In: Naschold, F., Väth, W. (eds) Politische Planungssysteme. Uni-Taschenbücher / Probleme der Politik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-86105-4_3
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