Zusammenfassung
In jüngster Zeit erscheint Verrechtlichung als das auf den Begriff gebrachte Unbehagen am Staat (Reuter). Assoziationen mit Entfremdung, Bürokratisierung, Reglementierung, Zentralismus und Bürgerferne drängen sich geradezu auf. In der politischen Diskussion sind daher Klagen über die fortschreitende Verrechtlichung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auch nicht mehr nur auf die Vertreter konservativer und neoliberaler Positionen, auf Unionsparteien (Verwaltete Welt — Gesellschaft in Fesseln, 1978) oder Wirtschaftsverbände beschränkt. Vielmehr konstatieren auch die Gewerkschaften eine allmähliche Einengung ihres Handlungsspielraumes durch das Arbeitsrecht. In diesem Zusammenhang erscheint die Betriebsverfassung als ein System detaillierter rechtlicher Normierung des betrieblichen Konfliktfeldes (Zeuner, 1976). Kommunalpolitiker beschwören die Gefahr eines Funktionsverlusts der gemeindlichen Selbstverwaltung durch rechtsformige Eingriffe des Staates. Und auch in der Bildungspolitik werden bisher bestehende Frei räume zugunsten rechtlicher Normierung beseitigt (Boppel/Kollenberg, 1978). Dabei geht es zumeist nur um die Einschränkung gesellschaftlich-indlvidueller wie politisch-staatlicher Handlungsmöglichkeiten durch Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsmaßnahmen und Gerichtsentscheidungen. Verrechtlichung kann aber durchaus — unter Rückgriff auf die Grundrechte — auch zur Sicherung individueller Freiheitsspielräume gegenüber staatlichen Eingriffen und zur Absicherung sozialstaatlicher Errungenschaften gegenüber dem Zugriff des ökonomischen Systems führen.
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Voigt, R. (1980). Verrechtlichung im Politisch-Administrativen System der Bundesrepublik Deutschland. In: Ellwein, T. (eds) Politikfeld-Analysen 1979. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-86100-9_24
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