Zusammenfassung
Vom pluralistischen Optimismus zur Pluralismuskritik, ja zur grundsätzlichen Infragestellung des Pluralismuskonzepts — so etwa könnte man, wenigstens zu einem guten Teil, den Gang der wissenschaftlichen Diskussion eines runden Jahrzehnts charakterisieren. Diese Entwicklung ist erstaunlich und zugleich bedenklich; in diesem Falle mehr, weil sie Kontinuität einer politisch-kulturellen Tradition signalisiert, die zu überwinden in dieser Republik lange Zeit eigentlich als zentrale Aufgabe galt. Vielleicht war es ursprünglich einfacher, angesichts unmittelbar zurückliegender Erfahrung zwanghafter Formierung von Staat und Gesellschaft unter einem einheitlichen Willen trotz der historischen Prädisposition durch „Sehnsucht nach Synthese“ (Dahrendorf) und Harmonie der politischen öffentlichkeit die Grundtatsache offener Gesellschaften zu vermitteln: nämlich politische und gesellschaftliche Existenz in pluralen Spannungen. Der braune Totalita-rismus als exzessive übersteigerung tiefer Einheitsgefühle schien noch greifbar: er war die Negation des Pluralismus, der seinerseits in der Endphase der Weimarer Republik eine integrationsfeindliche übersteigerung erfahren haben mag1. Dagegen nun durch eine Negation der Negation, wie Ernst Fraenkel es ausgedrückt hat, freiheitliche Ordnung zu begründen und zu befestigen, war wohl ein akzeptierter, vielleicht nicht unbedingt von jedermann geliebter Ansatz — ein Ansatz, der sich bekanntlich gegen jeden politischen Wahrheits-und Ab-solutheitsanspruch richtet. Insofern stehen wir hier nicht vor einem Inhalts-, sondern vor einem Methodenproblem politischer Willensbildung, wenngleich gar nicht geleugnet werden kann, daß das Sich-Einlassen auf die pluralistische Methode unverzichtbare Inhalte dialektisch widerspiegelt. Mit Inhalten kann jedoch die Außerkraftsetzung der Methode nicht gerechtfertigt werden; denn die Berufung auf objektive Wahrheiten, historische Gesetzmäßigkeiten und richtiges Bewußtsein richtet sich als inhumane, ja unzivilisierte politische Praxis immer gegen jene, die hier Probleme sehen und einen humanen wie demokratischen Anspruch auf Diskussion aufrecht erhalten. Eine solche Praxis kann auch für „übergangsphasen“ nicht akzeptiert werden.
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Anmerkungen
Vgl. jetzt Helmut Quaritsch, Zur Entstehung der Theorie des Pluralismus. In: Der Staat Bd. 19/H. 1 (1980), S. 29–56.
Dazu grundsätzlich Ulrich Matz, Politik und Gewalt, Freiburg und München 1975.
Ich beschränke mich darauf, auf die Edition von Ulrich v. Alemann u. Rolf G. Heinze, Verbände und Staat, Opladen 1979 sowie auf die Zeitschrift für Parlaments fragen, H. 4/1979 hinzuweisen.
Zum weiteren Zusammenhang: Heinrich Oberreuter, Kann der Parlamentarismus überleben? Zürich, 2. Aufl. 1978. Zur Herausforderung der Parlamentedurch jüngst immer wieder geforderte korporatistische Institutionen: Emil Hübner/ Heinrich Oberreuter, Parlament und Regierung, München 1977, S. 106–114.
Gerhard Lehmbruch, Wandlungen der Interessenpolitik im liberalen Korpora-tismus, abgedruckt in der genannten Edition vonU. v. Alemann u. R. G. Heinze (vgl. Anm. 3), S. 50–71.
Hans Kremendahl, Pluralismustheorie in Deutschland, Leverkusen 1977.
Rainer Eisfeld, Pluralismus zwischen Liberalismus und Sozialismus, Stuttgart 1972.
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Oberreuter, H. (1980). Vorbemerkung. In: Oberreuter, H. (eds) Pluralismus. Uni-Taschenbücher, vol 925. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-86096-5_1
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-86096-5_1
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-0283-9
Online ISBN: 978-3-322-86096-5
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