Zusammenfassung
Wie im zweiten Kapitel dargestellt, läßt sich mit Immler die Ursache der Umweltkrise auf die Leugnung und gleichzeitige Nutzung der Naturproduktivität zurückführen. Immler hat dies in seiner Zivilisationstheorie begründet, in der er zeigt, daß die Leugnung der Produktivität der Natur auf der Trennung von Gesellschaft und Natur beruht. Neben der Realität der Trennung von Gesellschaft und Natur rekonstruiert er aber auch die Einheit beider, die er als ‘Humanisierungsprozeß’ der Natur bezeichnet. Vertritt er auf diese Weise den Standpunkt der Einheit von Gesellschaft und Natur, wird ihre reale Trennung zu einer, die nur im ‘Bewußtsein’ besteht; denn es ist dann die Produktion im ‘Bewußtsein der Trennung’, die vor dem Hintergrund der ‘eigentlichen’ Einheit zur Krise führt. Diese Ebenenverschiebung bleibt in Immlers Theorie jedoch unbegriffen, sie tritt allerdings in ihren Inkonsistenzen zutage.
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References
Auch Immler geht von einer ‘Konstitutionsproblematik’ aus, wenn er die Trennung von Natur und Geschichte z.B. als “ein Konstitutionsproblem moderner Industriegesellschaften” (Immler 1989, 109) bezeichnet. Er meint damit aber, daß die Natur fälschlicherweise als Rohstoff, Objekt, Gegenstand konstituiert werde. (Vgl. ebenda, 12) Hinter dieser Auffassung verbirgt sich jene, die davon ausgeht, daß eine ‘richtige’ Sichtweise die Natur als geschichtliche oder produktive sehen sollte. Dann werde die Natur nicht mehr falsch konstituiert, sondern so beschrieben, wie sie sei. Das heißt in der Konsequenz, daß jetzt unterstellt wird, sie werde gar nicht mehr konstituiert, weil sie ja eben so beschrieben wird, wie sie ist. Allerdings bleibt dabei dunkel, wieso der ‘richtige Begriff’ von Natur kein konstituierender Begriff sein sollte. (Vgl. hierzu Schultz 1991 und auch Anm. 27 in Kapitel 2.3.2.) Das allgemeine Konstitutionsproblem der semantischen Ebene wird einfach in ein Wahr-Falsch-Problem auf der semanti-schen Ebene übertragen. (Zu diesem Fehler vgl. auch Eisel 1989b)
Vgl. zu dieser Auffassung der Aufgabe von Gesellschaftstheorie u.a. auch Bachmayer 1982, 13, Brentel 1989, 278, Migge 1979, 81, Negt 1979, 5 sowie Schmied-Kowarzik 1984a, 89.
Während Immler sich an anderer Stelle gegen eine ‘Ontologisierung der Physis’ ausspricht (vgl. ebenda, 26 und Kap. 2.3.3, Anm. 21), formuliert er hier explizit eine ontologische Seite. Vgl. dazu auch im folgenden 5.2. Zur Kritik des ontologischen Naturalismus dieser Art vgl. auch Eisel 1991. Zum “nicht-ontologische(n) Charakter des Marxschen Materialismus” vgl. Schmidt 1971, 10ff.
Vgl. zu diesem Unterschied auch Kapitel 5.2.
Vgl. speziell hierzu Kapitel 2.3.2, in dem auch auf den Begriff des’ subjektiv-werdens’ über das Be-wußtsein eingegangen wird.
Darin, daß Immler hier von ‘ōkonomischer Umformung von Materie’ spricht, wird deutlich, daß er unter Ökonomie nicht (nur) eine ‘Verteilungstheorie’ und auch nicht die Repräsentation der Synthesis durch den Wert versteht, sondern ein ‘Instrument’ im Umgang mit Natur. Eigentlich müßte er hier nämlich von der technischen Umformung der Materie im Produktions-und Konsumtionsprozeß sprechen. Er benutzt aber den Begriff ‘ökonomische Umformung’, da die Ökonomie seiner Auffassung nach als die Naturproduktivität leugnende oder anerkennende die technische Umformung so steuern könne, daß sie positiv oder negativ ‘naturerzeugend’ vor sich geht. In dieser Verwendung des Begriffes ‘Ökonomie’ wird einerseits deutlich, daß die Ökonomie für Immler das ‘Bewußtsein der Gesellschaft’ ist. Andererseits konstituiert er somit die Ökonomie, indem er sie als “rationale Gestaltung der materiellen Verhältnisse in einer Gesellschaft” (ebenda, 33) versteht, als strategisches Instrument des Naturumgangs. Einen solchen Charakter der Ökonomie kritisiert er aber, wenn er die herrschende Ökonomie als “einseitige(..) (d.h. naturlose, d.V.) Handlungs-und Entscheidungsmethode” (ebenda, 32) bezeichnet. Obwohl Immlers Ökonomie vielleicht in einem anderen Sinne ‘einseitig’ als die von ihm kritisierte ist, nämlich naturorientiert statt naturlos, so gilt im Rahmen seines Ökonomiebegriffs für sie auf jeden Fall, daß sie als ‘Handlungs-und Entscheidungsmethode’ konzipiert wird.
Luhmann 1986, 45
An anderer Stelle (Luhmann 1987) unterscheidet Luhmann zwischen solchen sich selbst gegen eine Umwelt abgrenzenden Systemen und vom Beobachter abgegrenzten Systemen.
Nach der Auffassung von Trepl (mündl. Mitteilung) ist dieser Gebrauch von ‘Ökologie’ durch Luh-mann allerdings ein etwas privater. Luhmanns Begriff von Ökologie entspreche ungefähr dem Wortgebrauch der politischen Diskussion, bzw. er formuliere ihn etwas um (er spreche nicht von “rücksichtsloser Ausbeutung der Natur”). Als Wissenschaft sei Ökologie aber nicht das, was Luhmann darunter verstanden wissen möchte, sei es auch nie gewesen. Denn ihr gehe es nicht (allenfalls gelegentlich) um die Konsequenzen der System-Umwelt-Differenzierung für die Umwelt, sondern sie befasse sich in der Tat mit Ökosystemen, die aber keine sich selbst gegen ihre Umwelt abgrenzenden Systeme seien, sondern vom Beobachter abgegrenzte; sie enthielten aber (sonst wären sie keine Ökosysteme) sich selbst gegen ihre Umwelt abgrenzende Systeme bestimmter Art, nämlich Organismen.
Vgl. hierzu auch Marx 1990, 253.
Unter ‘ökologischer Fragestellung’ wird hier also eine die Gesellschaft betreffende Fragestellung verstanden!
Nach Luhmann konstituiert sich Gesellschaftlichkeit also nicht wie bei Immler über ein soziales Gedächtnis (vgl. Kapitel 2.2) oder über das Bewußtsein, das die’ sonderrolle des Menschen’ ermöglicht (vgl. Kapitel 5.1), sondern über ‘Kommunikation’. Analog zu Marx’ Theorie, in der die Tauschhandlung bzw. die Wertform die Synthesis gewährleistet, wird eine ‘Operation’, die sich durch sich selbst reproduziert, als’ synthesis-Agentur’ gesetzt.
Analog zu Code und Programmierung wirken bei Lakatos ‘negative und positive Heuristik’ in der ‘Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme’. Die negative Heuristik sorgt für Geschlossenheit, die positive für Offenheit von Forschungsprogrammen. Vgl. Lakatos 1974.
Diesen Versuch, “jenseits von Moralisierungen und monokausalen Schuldzuweisungen das Ökologieproblem steuerungsbezogen zu stellen” betrachtet Beckenbach als “verdienstvoll”, da Luhmann “insoweit vielleicht einen (unfreiwilligen) Beitrag zur Beseitigung des beklagten grünen Theoriedefizits” (Beckenbach 1987a, 9) leiste.
Immler 1989, 196
Immler benennt hier nebenbei das, was ein zentraler Punkt seiner Analyse sein müßte, nämlich daß mit jedem Schritt der ‘Versubjektivierung’ von ‘Natur’, d.h. der ‘Eingrenzung’ von ‘Natur’, eine neue Natur nach außen konstituiert wird, wie sich aus der Eiseischen Theorie (vgl. Kapitel 23) entnehmen läßt.
Vgl. hierzu Kapitel 2.3.4.
Luhmann bezieht sich hier auf politische Bewegungen, mir erscheint “Beobachtung” in diesem Kontext jedoch durchaus durch “Immlers Theorie” ersetzbar.
Daß Immler konzediert, man müsse sich dem Problem der funktionalen Ausdifferenzierung und der damit verbundenen Abgrenzung der Teilsysteme von der Umwelt stellen (vgl. Immler 1989, 196), bleibt ein Lippenbekenntnis, da er ‘Abgrenzung’ nicht’ strukturell’, sondern semantisch als ‘Loslösung von Natur’ versteht.
Der Terminus ‘erscheinendes notwendig falsches Bewußtsein’ wird hier im Sinne der Methode der ‘Kritik der politischen Ökonomie’ von Marx angewandt. Marx hat seine Theorie des Vergesellschaftungsprozesses ausgehend vom Standpunkt des sich seiner Ausbeutung und seines historischen Standpunkts bewußt werdenden Arbeiters entwickelt, indem er die ökonomischen Theorien als erscheinendes Bewußtsein des Vergesellschaftungsprozesses angesehen und analysiert hat. In diesen Theorien spiegeln sich der gesellschaftliche Zustand der Mehrwertbildung durch die Arbeitskraft und die Scheinproduktivität des Warentauschs. Dies wird von den betreffenden Ökonomen nicht bewußt ausgesprochen, sondern, je nach Theoriestandpunkt, einer partikularen Kapitalfunktion folgend, einseitig, alles andere verschweigend, ausgesprochen. Deshalb nennt Marx diese Theorien erscheinendes notwendig falsches Bewußtsein. Dieses Bewußtsein ist ‘notwendig falsch’, da es, vom Standpunkt des Kapitals ausgehend, die Wertbildung — wie z.B. in der Produktionsfaktorentheorie — partikular erklärt. Als erscheinendes Bewußtsein jedoch bildet es Aspekte von Wertbildung durch die Arbeitskraft ‘richtig’ ab, insoweit Marx diese Aspekte aufgreift, als Mechanismen der Kapitalverwertung beschreibt und durch das Aufdecken des Verschwiegenen als entfremdet abbildet. Vgl. hierzu auch Schultz 1991a.
Vgl. hierzu Eisel 1986, 41f. und Sohn-Rethel 1978, 49ff. sowie Kapitel 2.3.
Luhmann thematisiert ‘Ausbeutung’ nicht, da er nicht das Interesse hat, eine Klassentheorie als Gesellschaftstheorie zu formulieren. (Vgl. Luhmann 1989, 164) Obwohl er analog zur in dieser Arbeit vorgetragenen Auffassung die Gesellschaft als durch Widersprüche gekennzeichnetes selbstreferentielles System ansieht — er sagt: “mit Paradoxie belastetes System” (ebenda, 176) — hält er die Wertanalyse, bzw. in seiner Terminologie gesprochen, die Unterscheidung von Kapital und Arbeit, nicht für die angemessene Unterscheidung, um heutige Gegenwartserfahrungen aufzuarbeiten (vgl. ebenda, 164). Vgl. hierzu wiederum Marx, der ‘das Kapital’ (durchaus kompatibel zu der in den Kapiteln 2, 3 und 4 vorgestellten Marxinterpretation) in Luhmanns Begrifflichkeit beschreibt: “Daß nicht erst seit Luhmann die Funktionsweise sozialer Systeme reproduktionslogisch gedacht worden ist, beweist kein geringerer als MARX im ‘Kapital’: Nicht die Gewinnsucht profitgieriger Kapitaleigner charakterisiert die kapitalistische Ökonomie, sondern der Zwang zu permanenter (erweitert reproduktiver) Kapitalbildung zwecks Re-Investition des Surplus. (Voraussetzung dieses kapitallogischen Prozesses ist bekanntlich der historische Prozeß der gewaltsamen Konstitution der ‘freien’ Lohnarbeit!). Die kapitalistische Ökonomie bezieht sich als radikal ausdifferenziertes, von allen Rücksichten auf vorgefundene Strukturen (Gemeinschaftsformen, Lebenswelten, Weltbilder, die natürliche Umwelt) entbundenes System (…) beständig auf sich selbst: Die Akkumulation geschieht um der Akkumulation willen, — selbstverständlich auch wegen der Revenuen! Es ist operativ geschlossen, insofern es die Elemente, aus denen es besteht, ständig selbst neu aufbaut — mit Hilfe eben dieser Elemente. Im Zwang zur Akkumulation artikuliert sich die Autopoiesis der kapitalistisch organisierten Ökonomie.” (Marx 1990, 253) Vgl. in diesem Kontext auch Beckenbach 1991, 98ff.
Vgl. hierzu Eisel 1986, 220ff. und Kapitel 5.3.
Immler zitiert hier die Schrift: Vom Ich als Princip der Philosophie (1795), enthalten in: Schelling, Werke 1856-1861, Bd. 1.
Es muß an dieser Stelle auf eine Kritik der Immlerschen Schellingrezeption verzichtet werden, die darauf hinausliefe zu diskutieren, inwiefern Schelling mit dem ‘Ich’ nicht doch eine von der Natur gctrennte Entität unterstellt und unterstellen muß. Bei Schelling (und Fichte) nimmt das ‘Ich’ die transzendentale Position des ausgeschlossenen Dritten ein, d.h., es steht nicht einfach für eine omnipotente Natur als Grenze der Freiheit, sondern auf einer ganz anderen Systemebene als die Natur. Es ist hervorzuheben, daß mit den aristotelischen Unterscheidungen der Natur das ‘Wesen’ des Widerspruchs zwischen Subjekt und Objekt im Ich als Wesen der Natur gespiegelt werden kann.
Vgl. hierzu auch Eisel 1986, Kapitel 3 “Die Macht der Rationalität und die Rationalität der Macht”, 85-140.
Apel zitiert Peirce nach Murphey 1961.
Vgl. hierzu auch Kapitel 2.3.3.
Vgl. zu dieser Verwendung der Begrifflichkeit von ‘konkret’ und ‘abstrakt’ auch Methe 1981, 107 und 268ff.
Vgl. hierzu: “Wenn sich nämlich die menschlichen Gesellschaften die Naturfrüchte kontinuierlich aneignen wollen, dann müssen sie sich eine ökonomisch-soziale Ordnung geben, in der die materiellen Gesetze der produzierenden Natur gewissermaßen oberstes Gebot sind. Diese materiellen Gesetze sind keineswegs in einem naturwissenschaftlichen Sinn zu sehen, sie sind vor allem als soziale Gesetze zu verstehen, weil auch die ökonomisch-soziale Ordnung der Gesellschaft den physischen Gesetzen der produzierenden Natur unterworfen ist.” (Immler 1985, 418)
Vgl. hierzu auch Eisel 1991 sowie Kapitel 4.32 und 4.3.3.
Zum ‘Klassenstandpunkt der Natur’ vgl. Eisel 1986, 220f.: “Ökologische Alteraativkultur, Frauenbewegung, Arbeiterbewegung: Analoge Funktionsbestimmungen in differierenden Referenzsystemen”, sowie 1987 und 1989b.
Ausführlich lautet das Zitat folgendermaßen: “Wer will heute noch bezweifeln, daß die Gefährdung der menschlichen Gattung erstens eine Tatsache und zweitens ein Produkt ökonomisch-technologischen Handelns, d.h. ein industrielles Produkt, ist.”(hnmler 1989, 74)
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Schultz, S. (1993). Schluß: Die gesellschaftstheoretische und erkenntnistheoretische Dimension der ‘Erzeugung der Natur’. In: Natur als gesellschaftliches Verhältnis. Deutscher Universitätsverlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-85976-1_6
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