Zusammenfassung
Es macht natürlich einen Unterschied, ob gesellschaftspolitische Konzepte bloß in der Art spezieller Orientierungsmuster Gültigkeit erlangen oder ob sie in der Alltagswelt der Praxis real werden oder ob diese Orientierungsmuster sogar eine gewisse strukturelle Qualität gewinnen. In dem letzten Fall, um den es hier gehen soll, werden diese Muster gleichsam in den Grundstrukturen des Alltags materialisiert. Im Rahmen der Soziogenese ethnischer Minoritäten führt, so war die Überlegung, die Ablehnung eines Einwanderers zunächst dazu, ihn im politischen Diskurs zu skandalisieren, dann zu diskriminieren und in der konkreten Begegnung abzulehnen, zu meiden, und schließlich dazu, ihm ganz bewußt herrisch zu begegnen, das heißt ihm seinen Platz im Alltag, in der Nachbarschaft, auf dem Wohnungsmarkt, im Verein oder sonstwo zu bestreiten. Irgendwann ist es dann soweit, daß der Einwanderer diesen Platz nicht nur in einem Einzelfall, sondern grundsätzlich streitig gemacht bekommt. Die Einheimischen protestieren gegen die Errichtung eines nicht-christlichen Gebetsraumes;1 Jugendliche greifen auf einem Dorffest Einwanderer und Flüchtlinge an, um sie zu vertreiben.2 Zwar stößt dieser Prozeß vorerst noch dort auf Grenzen, wo das Niveau der systemischen Grundlagen der fortgeschrittenen Industriegesellschaften erreicht wird, aber bereits auf dem Weg dorthin können massive strukturelle Veränderungen eintreten. Solche strukturellen Veränderungen sind an der Ausbildung von ethnienspezifischen sozialen Schichten und regionalen Strukturen, an der Errichtung von Ghettos samt einer entsprechenden Binnenstruktur ablesbar.
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Literatur
So in Mosbach, Mühlacker, Pforzheim oder Tübingen, um nur einige Beispiele zu nennen - vgl. StZ. 11/7/1989.
Auch dieser Vorfall in St.Leon-Roth bei Heidelberg ist längst kein Einzelfall mehr (StZ 11/7/1989).
Vgl. M.Müller: Die Wohnsituation von Ausländern. Diskriminierung oder Ghetto als sicherer Ort? In: A.Schulte u.a. (Hg.): Ausländer in der Bundesrepublik. Frankfurt 1985, 55ff.
L.Hoffmann und H.Even sprechen von einem “Rückzug ins Getto” (dies.: “Sie beschäftigen uns wie Sklaven”. Bielefeld 1985 S.287f.).
So etwas wurde beispielsweise bei den Unruhen am 1.Mai 1989 in Berlin deutlich, wo sich zahlreiche türkische Jugendliche den Autonomen angeschlossen hatten.
H.Esser beurteilt das anders, obgleich er sich an Prozessen orientiert. Aber er wählt eine individualistische Perspektive, bekommt also nur die eine Seite in den Blick, so daß die Gesamtdynamik nicht berücksichtigt wird. Für ihn sind Ghettos so etwas wie kulturelle Abklingbecken im Aufnahmeland, wo dem Einwanderer die Möglichkeit gegeben wird, seine kulturellen Spezifika auf eine “private Erinnerung” zu reduzieren (H.Esser: Situationale Bedingungen der Eingliederung von Arbeitsmigranten. In: W.S.Freund (Hg.): Gastarbeiter. München 1980 S.32ff. hier S.38.
Unter dieser Voraussetzung wäre Georg Eiwert durchaus zuzustimmen: Ders.: Die Angst vor dem Ghetto. In: A.Bayaz, M.Damolin, H.Ernst (Hg.): Integration. Anpassung an die Deutschen? Weinheim 1984 S.51ff. Unter den Minderheiten wird bereits von einem “Recht auf das Ghetto gesprochen”.
Vgl. F.Sen: Politische Partizipation und kommunales Wahlrecht für Ausländer. Referat am 22. 4. 1989 in Stuttgart.
Bezogen auf den Stand vom Mai 1988.
Diese Zahlen sind alle bewußt vage gehalten. Es gibt - trotz Volkszählung -immer noch keine genauen Zahlen, was bereits H.Korte (Ders.: Ausländische Selbständige in der Bundesrepublik Deutschland. Bochum 1985 masch. S.22) beklagt. Aber selbst wenn die Daten endlich vorlägen, blieben sie ungenau. Eine der bleibenden Unsicherheitsfaktoren ist, daß sehr viele Betriebe nach wie vor unter Strohmännern laufen oder die Betriebsführung zumindest offiziell in der Hand eines deutschen Ehegatten liegt. Diese Situation läßt sich aus verständlichen Gründen auch bei Befragungen nicht völlig aufhellen.
H.G.Kleef: Vom Bauern zum Industriearbeiter. Mainz 1985 S. 187f.
Vgl. Boissevains Überlegungen: J.Boissevain, A.Choenni, H.Grotenbreg. Een kleine baas is altijd beter dan een grote knecht. Surinamese kleine zelfstandige ondernemers in Amsterdam. Amsterdam, Den Haag 1984.
Einwanderern wird heute schon wie selbstverständlich vorgeworfen, sie würden Arbeitsplätze, Wohnungen und soziale Leistungen wegnehmen. Sie würden also die für die Einheimischen schon knappen Güter weiter verknappen. Dies löst heute gegenüber den Spätaussiedlem schon geradezu hysterische Reaktionen aus. Nach den 89-er Wahlen in Berlin und Hessen vergaß kein Politiker, darauf hinzuweisen, man müsse hier Maßnahmen treffen. Selbst wenn das hilfreich gemeint ist, schreibt es die These von der Verknappung als einer zentralen Eigenschaft des Einwandererproblemes fest. So hat die Landesregierung von Baden-Württemberg am 6.5.1989 eine Arbeitsgemeinschaft gebildet, die diesen Problemen nachgehen und entsprechende Abhilfen vorschlagen soll (StZ 7/5/1989). Seit der Novemberrevolution 1989 ist dieser Vorwurf zur selbstverständlichen Basis jeder Argumentation geworden.
Nur in der sozialwissenschaftlichen Diskussion entwickelt sich unter dem Eindruck der englischsprachigen Forschung eine differenziertere Beurteilung der Sachlage (vgl. schon die Bemerkungen bei Heckmann zur Bildung von ethnischen Kolonien - ders.: Die Bundesrepublik - Ein Einwanderungsland? Stuttgart 1981; ferner G. Elwert: Probleme mit der Ausländerintegration. In. KZfSS 4/1982,717ff.; schließlich die Diskussion bei G.Auemheimer: Der sogenannte Kulturkonflikt. Frankfurt 1988, 160f.). Speziell zu verweisen bleibt auf R.Erichsen und F.Sen (dies.: Hinwendung zur Selbständigkeit bei Gastarbeitern mit besonderer Berücksichtigung von Türken. Bonn/Genf Juni 1987) genauso wie in den Niederlanden für J.Boissevain (Ders.: Small entrepreneurs in contemporary Europe. In: R.Ward, R.Jenkins: Ethnic Communities in Business. London, New York 1984 S.20ff. hier S.38.). Er schlägt einen geradezu euphorischen Ton an: “It is not unthinkable that they are the forrerunners of tomorrow’s commercial elite”.
J.Blaschke, A.Ersöz: Herkunft und Geschäftsaufnahme türkischer Kleingewerbetreibender in Berlin. Berlin 1987.
Erste Belege finden sich bei H.Korte: Ausländische Selbständige in der Bundesrepublik. Bochum 1985 masch.
J.Blaschke, A.Erzös: Herkunft und Geschäftsaufnahme türkischer Kleingewerbetreibender in Berlin. Berlin 1987.
Vgl. I.Light: Disadvantaged Minorities in Self-Employment. In: W.Petersen (Ed.): The Background to Ethnic Conflict. Leiden 1979 S. 31ff.; R.Jenkins: Ethnic Minorities in business: a research agenda. In: R.Ward, R.Jenkins (Ed.): Ethnic Communities in Buisiness. Strategies for Economic Survival. London, New York 1984 S.231ff.
Vgl. den “Nischenansatz” von D.Wiebe (ders.: Zur sozioökonomischen Bedeutung der türkischen Gewerbetreibenden in der Bundesrepublik Deutschland. In: H.J.Brandt, C.P.Haase (Hg.): Begegnung mit Türken - Begegnung mit dem Islam. Hamburg 1984 Bd. IV.).
Zentrum für Türkeistudien (Hg.): Türkische Unternehmensgründungen. Von der Nische zum Markt. Opladen 1989 S. 28f.
E.Bonacich: A Theory of Middleman Minorities. In: ASR 38/1973/4 5.583ff.
Vgl. H.Tumer, E.Bonacich: Towards a Theory of Middleman Minorities. In: Ethnicity 7/1980/2 S.144ff. Strickson und Greenfield sprechen ausdrücklich von einem multidimensionalen Ansatz (S.M.Greenfield, A.Strickson: Introduction. In: dies. (Ed.): Entrepreneurship and Social Change. Lanham, New York, London 1986 S.4ff. hier S.15)
D.Clark: Limits on the scope of ethnicity. In: S.Wallman (Ed.): Ethnicity at Work.London 1979 S.173ff. hier 5. 190.
H.Aldrich, T.P.Jones, D.McEvoy: Ethnic advantage and minority business development. In: Ward, Jenkins: Communities. a.a.O. S.188 hier S.209f.
Und das gilt auch für so alte Minderheiten wie z.B. die britischen Juden (Vgl. B.Kosmin: Exclusion and Opportunity. Traditions of work amongst British Jews. In: S.Wallman (Ed.): Ethnicity at Work. London 1979 S.37ff.).
Vgl. z.B. die Beiträge bei J.L.Watson (Ed.): Betweeen two cultures. Oxford 1977. Hier geht es aber auch nicht z.B. um Konflikte zwischen türkischen und griechischen Cyprioten, sondern zwischen Einheimischen bzw. Einwanderern aus Polen, Rumänien, Siebenbürgen usw. auf der einen Seite und Italienern, Türken einschließlich Kurden, Jugoslawen usw. auf der anderen Seite.
S.M.Tomasi: Political participation of migrants in the receiving countries. In: M.M.Kitz, C.B.Keely (Ed.): Global Trends in Migration. New York 1983 3.Aufl. 5.320ff. hier S.323.
Ähnliche Wege geht man auch in der Untersuchung von J.Blaschke und A.Ersöz (dies.: Herkunft und Geschäftsaufnahme türkischer Kleingewerbetreibender in Berlin. Berlin 1987 ).
Vgl. die absolut berechtigte Kritik von M.Brumlik (ders.: Fremdheit und Konflikt. In: H.M.GrieseSHg.): Der gläserne Fremde. Opladen 1984 S.31ff.).
Quelle: Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Bonn 19. 4. 1989.
Vgl. H.U.Bach: Entwicklung und Struktur der Ausländerarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik seit 1960. In: E.Höhnekopp (Hg.): Aspekte der Ausländerbeschäftigung in der Bundesrepublik. Nürnberg 1987 S.144ff. hier S.147.
Vgl. F.Dietz: Entwicklung und Struktur der beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. In: Hönekopp: Aspekte a.a.O. S.67ff., hier S.114. sowie J.Kühl: Zur Bedeutung der Ausländerbeschäftigung für die Bundesrepublik Deutschland. In: H.u.H.Reimann (Hg.): Gastarbeiter. Opladen 1987 S.21ff., hier S.35f.
Interessant ist ein Vergleich mit der unterdessen klassischen Studie über die Arbeitslosen von Marienthal (M.Jahoda, P.F.Lazarsfeld, H.Zeisel: Die Arbeitslosen von Marienthal. Frankfurt 1980 3.Aufl.). Dort wird nämlich im Rahmen der Arbeitslosensituation eine Gruppe von “Ungebrochenen” ausgemacht, die dann auch die Auswanderer stellen (Ebd. S.71ff.). Man könnte vielleicht bei Einwanderern in die Bundesrepublik von derartigen “Ungebrochenen” sprechen, die wohl noch am ehesten in der Lage sind, eine erneute Arbeitslosigkeit “mit der List der Vernunft” zu bewältigen, also auch die Energie haben, sich trotz widriger Rahmenbedingungen zu verselbständigen.
Dazu vgl. im einzelnen: S.Castles: Migration und Rassismus in Westeuropa. Berlin 1987 S.130ff.
R.Hische-Arslan betont dies ausdrücklich (Dies.: Die Entwicklung zur Selbständigkeit bei ausländischen Migranten anhand einer Auswertung von Tiefeninterviews. Diplomarbeit. Köln 1989 S.173.)
Man kann einen Katalog von Ungleichheiten aufstellen (vgl. P.Kühne, H.Schäfer: Soziale Ungleichheit von Ausländern. In: H.W.Franz, W.Kruse, H.G.Rolff (Hg.): Neue alte Ungleichheiten. Bericht zur sozialen Lage der Bundesrepublik. Opladen 1986, 229ff.).
Vg1.D.Bögenhold, U.Staber: Die Entwicklung der Selbständigenrate als antizyklischer Reflex der Arbeitsmarktverhältnisse. In: KZfSS 42/1990/2 S.265ff.
So fordert die FAZ (28/6/1989): Die CDU/CSU solle “die Motive der Republikaner verständnisvoll korrigierend” aufnehmen, und die CDU reagiert darauf einen Tag später damit, daß man statt einer Abgrenzung zur Rechten beschließt, die “nationale Frage in Zukunft deutlicher” hervorzuheben. (TAZ 30/6/1989).
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Bukow, WD. (1993). Strukturelle Verfestigung ethnischer Minderheiten. In: Leben in der multikulturellen Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-85849-8_5
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