Zusammenfassung
Der Beruf des Soldaten (S) ist im Zuge der Technisierung und Demokratisierung entwickelter (westlicher) Gesellschaften durch eine Reihe von Paradoxien und Dilemmata gekennzeichnet. Diese resultieren aus der Unvereinbarkeit von militärischer Gewalt und gesellschaftlicher Entwicklung, von fortgesetzter Hochrüstungsdynamik und dauerhafter Friedenssicherung, von kriegerischer Destruktivität und gesellschaftlicher Prosperität. (→ Inkompatibilitätstheorem). Aus diesem Inkompatibilitätsverhältnis leiten sich — unter den Destruktionsbedingungen des Kernwaffenzeitalters — für den Soldatenberuf folgende Tendenzen und Dilemmata ab:
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Entzauberungs-Dilemma. — In den westeuropäischen Staaten und in den USA ist die Aufstellung und Ausformung moderner (Wehrpflicht-)Armeen eng mit der Entstehung und Entwicklung des modernen Nationalstaates verbunden. (W. Sombart 1913) Die Legitimität des Militärs resultierte einerseits aus der Berufung auf die nationale Souveränität und staatliche Identität und begründete sich andererseits im Bürgerstatus der S, die ihrem Wehrdienst dem Sinne nach als ihrer vornehmsten staatsbürgerlichen Verpflichtung nachzukommen hatten. (A. de Tocqueville 1976, M. Janowitz 1976) Als Träger des Nationalgedankens und als „Schule der Nation“ (R. Höhn, 1963) nahmen die Streitkräfte — neben ihren außenpolitischen Funktionen — auch innenpolitische, staatsbildende Innovations-, Integrations- und Sozialisationsfunktionen wahr. „Nation“, „Staat“, „Vaterland“ und „Heimat“ waren (und sind in einigen Ländern noch immer) affektiv geladene Identifikationsobjekte. Sie haben den S zu einem zentralen Element und symbolhaften Ausdruck nationalstaatlicher Integrität und Souveränität werden lassen. Entsprechend beanspruchten S eine auf den zivilen Lebensbereich ausstrahlende Normativität und Superiorität (G. Ritter, 1964–1970) (→ Militarismus). Inzwischen hat der S-Beruf — in den demokratisch verfaßten Industrienationen — seine ehemalige gesellschaftliche Dominanzrolle verloren; das Militär ist dem Ansehen und Einfluß nach zu einer eher peripheren gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die affektive (Über-)Identifikation mit dem Militär wich einer eher nüchtern-distanzierten und instrumenteilen Einschätzung und Orientierung.
→ Abschreckung, Krieg, Militarismus, Militär.
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Vogt, W.R. (1988). Soldat. In: Lippert, E., Wachtler, G. (eds) Frieden. Studienbücher zur Sozialwissenschaft, vol 47. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-85630-2_35
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