Zusammenfassung
Daß der Vers den Dichter macht, ist eine Anschauung, die man heute selbst naiνen Gemütern nicht erst austreiben muß. Zu offenkundig stehen die absurden Konsequenzen νor Augen, die sich ergeben, wenn jener Satz würtlich genommen wird. Goethe wäre an der Iphigenie erst mit der letzten, 5 metrischen Fassung zum Dichter geworden; Tartuffe und Misanthrope wären Dichtung, der Malade imaginaire nicht, und im Bourgeois gentilhomme würden nur Polichinelles italienische Serenade und die Sprechchüre der ihn νerprügelnden Nachtwache, das νerliebte Gesangsduett zwischen Cléante und Angélique und das makkaronische Latein der Schlußzeremonie, Saνantissimi 10 doctores, Medicinae professores etc. als poetische Inseln im Meer einer per definitionem nichtdichterischen Prosa schwimmen; Shakespeares Dichter-tum würden wir in ein und demselben Stück, nachdem es sich durch lange Versreihen hindurch bewährt hätte, plützlich an einem Volksauflauf oder einer Wirtshausszene zuschanden werden sehen. Ein Grieche aber fand in 15 seinem Erfahrungsbereich zunächst wenig Anlaß, sich νon jener bei uns so hoffnungslos diskreditierten Auffassung abbringen zu lassen. Denken wir uns einen hochbetagten Athener der klassischen Zeit. Er sah in einem langen Leben Jahr für Jahr neue Tragüdien im Theater, ohne je auch nur einen Satz Prosa aus dem Munde eines Akteurs zu hüren.
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Kassel, R. (1981). Dichtkunst und Versifikation bei den Griechen. In: Geisteswissenschaften. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-85490-2_1
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