Zusammenfassung
Revolutionen werden oftmals als das Ergebnis des Zusammentreffens langfristiger Destabilisierungsprozesse eines politischen und gesellschaftlichen Systems mit kurzfristig einsetzenden Kriseneinwirkungen angesehen, obgleich auch dann noch eine Fülle weiterer Voraussetzungen hinzukommen muß, um einen revolutionären Ausbruch herbeizuführen. Über die aktuellen Krisen, die zu einer revolutionären Zuspitzung gesellschaftlicher und politischer Konfliktsituationen führen, besteht meistens relatives Einvernehmen. Die langfristigen Revolutionsursachen zu bestimmen, ist dagegen ein äußerst schwieriges Unterfangen, da es im Grunde um die Analyse und Bewertung der Vorgeschichte einer Revolution in ihrer gesamten Komplexität geht. Im folgenden soll dieses Problem anhand der Revolution von 1848 in Deutschland diskutiert werden, und zwar unter dem Aspekt, wieweit ein modernisierungstheoretischer Ansatz zur Lösung dieser Aufgabe beitragen kann. Zwar ist es um die Modernisierungstheorie in den letzten Jahren relativ ruhig geworden. Aber viele Theorien dieses Ansatzes zur Erklärung gesamtgesellschaftlichen Wandels konzentrieren sich doch gerade auf die historischen Entwicklungszusammenhänge und Probleme, die für Deutschland als ein sich modernisierendes gesellschaftliches und politisches System in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kennzeichnend waren. Die Diskussion der Vorgeschichte der Revolution von 1848 in Deutschland bzw. konkret in Preußen anhand eines geeigneten modernisierungstheoretischen Ansatzes kann daher einmal Aufschlüsse über den Erklärungswert derartiger allgemein formulierter Theorien für die konkrete historische Forschung geben. Zum anderen besteht die Hoffnung, dadurch zu erkenntnisfördernden Fragestellungen für die konkrete Revolutionsanalyse zu gelangen und auf mögliche Zusammenhänge verwiesen zu werden, die in der wissenschaftlichen Erörterung bisher noch nicht in den Blick gekommen sind.
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References
Vgl. Richard Tilly, Popular Disorders in Nineteenth-Century Germany, in: Journal of Social History, 5, 1971/72, S. 5–6.
Samuel P. Huntington, Political Order in Changing Societies, New Haven/London 1968, S. 265.
Vgl. ebd., S. 24-28.
Vgl. ebd., S. 35-36.
Unter sozialer Mobilisierung versteht Huntington „in Deutsch’s formulation … the process by which major clusters of old social, economic and psychological commitments are eroded or broken and people become available for new patterns of socialization and behavior“ (Huntington, Political Order [Anm. 2], S. 33). Daraus resultiert eine Partizipationssteigerung, die wie folgt beschrieben wird: „More than by anything else, the modern state is distinguished from the traditional state by the broadened extent to which people participate in politics and are affected by politics in large-scale political units. In traditional societies political participation may be widespread at the village level, but at any levels above the village it is limited to a very small group. Large-scale traditional societies may also achieve relatively high levels of rationalized authority and of structural differentiation, but again political participation will be limited to the relatively small aristocratic and bureaucratic elites. The most fundamental aspect of political modernization, consequently is the participation in politics beyond the village or town level by social groups throughout the society and the development of new political institutions, such as political parties, to organize that participation.“ (Ebd., S. 36)
Vgl. ebd., S. 13 ff.
Ebd., S. 85-86.
Vgl. Charles Tilly, Does Modernization Breed Revolution?, in: Comparative Politics, Bd. 5, 1972/73, S. 425–447.
Vgl. Huntington, Political Order (Anm. 2), S. 45.
Vgl. dazu Charles Tilly/ Louise Tilly/ Richard Tilly, The Rebellious Century, 1830–1930, London 1975.
Vgl. Ch. Tilly, Does Modernization (Anm. 8), S. 433.
Vgl. ebd., S. 434.
Huntington, Political Order (Anm. 2), S. 265.
Vgl. dazu Werner Conze, Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft im Vormärz, in: Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz, 1815–1848 (Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, hrsg. von Werner Conze, Bd. 1), Stuttgart 1962, S. 214–215.
Reinhard Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, Stuttgart 1967, S. 165.
Ebd., S. 236.
Vgl. dazu: Die Restauration und ihre Ereigniszusammenhänge, in: Das Zeitalter der europäischen Revolution 1780–1848, hrsg. von L. Bergeron/ F. Furet/ R. Koselleck, Frankfurt a.M./ Hamburg 1969, S. 214.
Vgl. Koselleck, Preußen (Anm. 15), S. 211-212.
Vgl. Conze, Spannungsfeld (Anm. 14), S. 224-225, 233-235.
Koselleck, Preußen (Anm. 15), S. 566 ff.
Vgl. R. Tilly, Popular Disorders (Anm. 1), S. 17-18.
Vgl. ebd., S. 18.
Vgl. Hartmut Kaelble, Berliner Unternehmer während der frühen Industrialisierung (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 40), Berlin/New York 1972, S. 241–242.
Vgl. ebd., S. 245.
Koselleck, Preußen (Anm. 15), S. 253.
Ebd., S. 254.
Vgl. Aufstieg und Strukturen der bürgerlichen Welt, in: Das Zeitalter der europäischen Revolution (Anm. 17), S. 310. Wie die Untersuchungen H. Kaelbles für Berlin ergeben haben, erhob indes die staatliche Bürokratie in den 1840er Jahren gegenüber der Unternehmerschaft in wirtschaftlichen Fragen auch nicht mehr den Anspruch auf alleinige Kompetenz, sondern tendierte zunehmend dazu, den Unternehmern in diesen Fragen ein gewisses Beratungs-und Mitspracherecht einzuräumen (Kaelble, Berliner Unternehmer [Anm. 23 ], S. 255 ff.).
Vgl. John R. Gillis, Political Decay and the European Revolutions, 1789-1848, in: World Politics, Bd. 22, 1970, S. 344–370.
Ebd., S. 356.
Ebd., S. 357-358.
Vgl. John R. Gillis, The Prussian Bureaucracy in Crisis, 1840-1860, Stanford 1971.
Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel, Teil 1, Leipzig 1861, S.262; zit. nach Koselleck, Preußen (Anm. 15), S. 180.
Vgl. ebd., S. 262-263.
Vgl. Barrington Moore, Social Origins of Dictatorship and Democracy, Boston 1967.
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Bergmann, J. (1986). Die Revolution von 1848 als Modernisierungskrise. Zur Vorgeschichte der Revolution aus modernisierungstheoretischer Sicht. In: Arbeit, Mobilität, Partizipation, Protest. Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftiche Forschung der Freien Universität Berlin, vol 47. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-85372-1_1
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