Zusammenfassung
Im Laufe des Transformationsprozesses entstand in Ungarn ein stabiles und gut entwickeltes Parteiensystem. Die Parteien bildeten sich entsprechend politischer und ideologischer Orientierungen heraus. Sie verfugten ebenso über eine Organisation, ein Parteiprogramm, eine Mitgliederschaft und Parteidisziplin wie die politischen Parteien westeuropäischer Länder. Ihrer Organisation und Struktur nach ähnelten sie eher Mittelklasseparteien als sozialistischen oder kommunistischen/faschistischen Parteien. Außerdem hatten die ungarischen Parteien eine direkte Struktur (nach Duverger2) mit individueller Mitgliedschaft3. Sie waren insofern eher Massen- als Kaderparteien, d.h. ihr vorderstes Ziel war der Wahlerfolg. Keine von ihnen wurde jedoch hinsichtlich ihrer Mitgliederzahl, die ziemlich niedrig war4, eine Massenpartei. Die Gesamtzahl der Mitglieder der sechs Parlamentsparteien betrug Ende 1991 ca. 200.000, d.h. ca. 2,5 — 3 Prozent der Wähler5. Es gab “catch-all”-Parteien (MDF, SZDSZ), Parteien, die spezifische Interessengruppen repräsentierten (FKGP), und Parteien, die nach einem ideologischen Prinzip organisiert waren (KDNP).
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References
Der Beitrag wurde aus dem Englischen übersetzt und von den Herausgebern geringfügig überarbeitet.
M. Duverger, Political Parties,London: Methuen 1954.
Die MSZP kann als potentielle Ausnahme betrachtet werden, da Bündnisorganisationen (Gewerkschaften etc.) mit Stimmrecht direkt in der nationalen Leitung der Partei vertreten sein können.
Die Organisationsdichte, d.h. der Anteil von Mitgliedern unter den Wählern einer bestimmten Partei, betrug Ende 1991 durchschnittlich zwischen 5 und 6%. Dieser Wert liegt zwar unter dem westeuropäischen Durchschnitt (13%) der 80er Jahre, übersteigt oder entspricht jedoch Vergleichsdaten aus Spanien, Griechenland, Portugal, Frankreich und den Niederlanden. (M. Gallagher/M. Laver/P. Mair, Representative Government in Western Europe,New York/London: McGraw-Hill 1992, S. 122.)
Vgl. Magyar Hirlap,22. Januar 1992, S. 9.
Detailliertere Informationen sind in meinen früheren Arbeiten enthalten: Stable or Fragile Democracy? Political Cleavages and Party System in Hungary, in: Government and Opposition,Vol. 28, 1993, No.1; Revival of the Past or New Beginning? The Nature of Post-Communist Politics, in: A. Bozóki/A. Körösényi/G. Schöpflin (Hrsg.), Post-Communist Transition. Emerging Pluralism in Hungary,London: Pinter/New York: St. Martin’s Press 1992, S. 111-131.
Zu den Gesprächen am Runden Tisch in Ungarn s. A. Bozóki, Political Transition and Constitutional Changes, und L. Bruszt, 1989: The Negotiated Revolution in Hungary, in: ebd., S. 60-71 bzw. S. 45-59.
D.h. die Rückgabe des nationalisierten Eigentums an seine ursprünglichen Eigentümer. Andere Parteien in der Koalitionsregierung strebten nur eine teilweise Kompensation an.
Zur politischen Rolle des ungarische Judentums s. V. Karády, A magyarországi anti-szemitizmus torténisége, in: Regio. Kisebbségtudományi Szemle,1991, Vol. 2, S. 5-35.
Die älteren Vertreter dieser Gruppe identifizierten sich in den späten 40er und frühen 50er Jahren mit dem Kommunismus und glaubten an ihn. Später wurden sie desillu-sioniert, viele schlossen sich Dissidentengruppen an, der internen Opposition des kommunistischen Systems. Sie glaubten allerdings weiterhin an dessen Reformier-barkeit — an einen “Sozialismus mit menschlichem Gesicht ” — und später an den “Marktsozialismus ” der Reformökonomen. Zur ersten Generation dieser Gruppe nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Reformkommunisten der Jahre 1953-56 im Stile Imre Nagys, während die zweite Generation (die ungarischen “68er’) die neuen linken Systemkritiker wurden. Später, ab Mitte der 70er Jahre, transformierten sie sich zu Aktivisten des Kampfes für die Menschenrechte.
Die Vertreter der harten Linie traten auf dem Parteikongreß im Oktober 1989 aus und behielten den alten Namen der Partei: MSZMP (Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei); später gaben sie sich den Namen “Arbeiterpartei”.
Wahlgesetz 1989, in: Heti Világgazdasag,März 1990, Wahl-Sondernummer, S. 17-29.
Detailliertere Informationen enthält ein früherer Artikel, The Hungarian Parliamentary Elections 1990, in: Bozóki/Körösényi/Schöpflin (Hrsg.), Post-Communist Transition(Anm. 6), S. 72-87.
Das Gesetz über soziale Vereinigungen von 1989 (1989./II), das Gesetz über Parteiaktivitäten und-fmanzen von 1989 (1989./XXXIII, und dessen Veränderung durch das Gesetz 1990./LXII), das Wahlgesetz von 1989 (1989./XXXIV), das Gesetz 1990./LV über den Rechtsstatus von Parlamentsmitgliedern, das Gesetz 1990./LVI über Gehälter und andere finanzielle Zuwendungen für Parlamentsmitglieder und die Geschäftsordnung des Parlaments (Resolution 1990./31).
Siehe die Geschäftsordnung des Parlaments, § 16 (31/1990 Parlamentsbeschluß).
Fünf Parteien (MDF-FKGP-KDNP-SZDSZ-FIDESZ) verfaßten eine Gesetzesvorlage mit dem Ziel, die ex-kommunistischen Gewerkschaften (MSZOSZ) zu schwächen und die neuen “unabhängigen ” Gewerkschaften durch die Umverteilung des MSZOSZ-Eigentums zu ihren Gunsten zu stärken.
A. Hanich, A Kisgazdapàrtról,Budapest, Ms., 1992.
Vgl. I. Hanyecz/J. Perger, A többparti parlament számokban 1990, in: S. Kurtán/P. Sándor/L. Vass (Hrsg.), MagyarországPolitikai Évkönyve 1992,Budapest: DKMKA-Economix Rt., S. 104, und in: S. Kurtán/P. Sándor/L. Vass (Hrsg.), Magyarország Politikai Évkönyve 1993,Budapest: DKMKA 1993.
Alle Parlamentsabstimmungen zu Verfassungsänderungen, Gesetzen, Ausführungsbestimmungen, Parlamentsbeschlüssen, Regelungen der Geschäftsordnung des Parlaments etc.
Als ihre Mitgliederzahl unter zehn sank, verlor die Gruppe die Rechte einer offiziell anerkannten Fraktion (Ausschußpositionen, Sonderrecht auf Beiträge im Laufe von Debatten etc.).
So wechselte z.B. der populäre Vizepräsident des FIDESZ, Gábor Fodor, zum SZDSZ über und verzichtete wenige Monate vor den 1994er Wahlen auf seinen Parlamentssitz.
Das antifaschistische Bündnis war vor allem gegen István Csurka gerichtet, der sich Anfang 1993 vom MDF abspaltete, die MIÉP gründete und der Oppositionsführer der extremen Rechten wurde.
Die dritte potentielle Quelle der Mobilisierung der Massen ist eine spontane antipar-lamentaristische und antielitäre Massenbewegung der an den Rand gedrängten sozialen Gruppen, der “Verlierer ” der Transformation (wie die LAÉT Petition-Bewegung der Ungarn, die unter der offiziell festgelegten Armutsgrenze leben).
Die wichtigsten waren das “konstruktive Mißtrauensvotum” und die Aufhebung der unvorstellbaren Verantwortlichkeit der Kabinettsminister gegenüber dem Parlament (Verfassungsänderungen vom Sommer 1990).
Der obenstehende Artikel wurde im Januar 1994, d.h.vor den 1994er Parlamentswahlen geschrieben. Dieses Postskriptum gibt ergänzend einen knappen Überblick über die politische Szene nach den Wahlen.
Die Gründe dafür sind vom Autor dargelegt worden; s. A. Körösenyi, The Reasons for the Defeat of the Right in Hungary, in: East European Politics and Societies,Vol. 9, No. 1, Winter 1995, S. 179-194.
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Körösényi, A. (1997). Das Parteiensystem Ungarns. In: Segert, D., Stöss, R., Niedermayer, O. (eds) Parteiensysteme in postkommunistischen Gesellschaften Osteuropas. Schriften des Zentralinstituts für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin, vol 82. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-85102-4_5
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