Zusammenfassung
Da ich auch literaturtheoretische Probleme — wie alle Probleme — nur entwicklungsgeschichtlich behandeln kann, muß ich bei einem Thema wie „Literaturwissenschaft und ökologisches Bewußtsein“ zwangsläufig etwas zurückgreifen und kann nicht einfach von meinem gegenwärtigen Bewußtseinsstand ausgehen. Schließlich war der Weg vieler Vertreter meiner Generation zu einem kollektiven Verantwortungsgefühl, das auch die Schonung der Natur in sich einschließt, ein besonders langwieriger. Ich möchte daher mit der Frage beginnen: Was bedeutete es für einen jungen Menschen wie mich, in den frühen fünfziger Jahren, genauer gesagt zwischen 1950 und 1955, an einer elitären Provinzuniversität wie Marburg an der Lahn Germanistik, Geschichte, Philosophie und Kunstwissenschaft zu studieren, als dort geistig und politisch — nach der kurzen, aber tiefeingreifenden Phase des Nationalsozialismus — wieder einmal der Zustand der oft beschworenen „machtgeschützten Innerlichkeit“ herrschte?1 Wir Studierenden gehörten zu jenen 3,1 Prozent, die damals die westdeutschen Universitäten bezogen, und interessierten uns als Germanisten — unter dem Einfluß der Poetiken Emil Staigers und Wolfgang Kaysers — nur für die höchsten Formen der Literatur, also die Werke Goethes, Hölderlins, Kafkas, Trakls, Benns usw. Dagegen verachteten wir alle sogenannten Massenmedien, sprachen nie über Politik, standen unseren Professoren weitgehend kritiklos gegenüber und promovierten mit dem nötigen Fleiß im 8. oder 9. Semester.
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References
Vgl. mein Buch: Als Pimpf in Polen. Die Erweiterte Kinderlandverschickung 1940–1945. Frankfurt a.M. 1993, S. 110-114.
Vgl. Jost Hermand: Geschichte der Germanistik. Reinbek 1994, S. 121–130.
Über Richard Hamanns wissenschaftliche und politische Ansichten vgl. Peter H. Feist: Beiträge Richard Hamanns zur Methodik der Kunstgeschichte. Berlin 1980.
Zur Situation Hans Mayers in der DDR zu diesem Zeitpunkt vgl.: Geschichte der Germanistik (wie Anm. 2), S. 137.
Vgl. hierzu: History and the New Left. Madison, Wisconsin, 1950–1970. Hrsg. von Paul Buhle. Philadelphia 1990, S. 129, 233-240, und meinen Aufsatz: Madison, Wisconsin 1959–1973. Der Einfluß der deutschen Exilanten auf die Entstehung der Neuen Linken. In: Kulturtransfer im Exil. Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch 13 (1995), S. 52-67.
Vgl. Jost Hermand: Deutsche Juden jenseits des Judaismus. Der Fall Gerhard / Israel / George L. Mosse. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 3 (1994), S. 178–193.
Vgl. das Vorwort meines Bandes: Judentum und deutsche Kultur. Beispiele einer schmerzhaften Symbiose. Köln 1996, S. 7-11.
Vgl. Synthetisches Interpretieren. Zur Methodik der Literaturwissenschaft. München 1968, S. 218-246.
Vgl. Pop International. Eine kritische Analyse. Frankfurt a.M. 1971, S. 148-160, und Geschichte der Germanistik (wie Anm. 2), S. 198-203.
Vgl. meinen Aufsatz: Freiheit in der Bindung. Goethes grüne Weltfrömmigkeit. In Jost Hermand: Im Wettlauf mit der Zeit. Anstöße zu einer ökologiebewußten Ästhetik. Berlin 1991, S. 29-51.
Vgl. Zeitgeist in Babel. The Postmodernist Controversy. Hrsg. von Ingeborg Hoesterey. Bloomington 1991.
Vgl. Geschichte der Germanistik (wie Anm. 2), S. 233.
Vgl. meine Aufsätze: “Können Dichter die Welt verändern?” Literarische Proteste gegen den industriellen Fortschrittswahn. In: Berliner LeseZeichen (1995) H. 3, S. 10-20, und: Beyond the Parameters of the Cold War. The Greening of a New Identity. In: Postmodern Pluralism and Concepts of Plurality. Hrsg. von Jost Hermand. New York 1995, S. 67-82.
Vgl. Jost Hermand: Die Graswurzelrevolution. Utopie und Wirklichkeit grüner Politik. In: Öko-Kunst? Zur Ästhetik der Grünen. Hrsg. von Jost Hermand und Hubert Müller. Berlin 1989, S. 8-23.
Vgl. meinen Aufsatz: Das Konzept “Avantgarde”. In: Faschismus und Avantgarde. Hrsg. von Reinhold Grimm und Jost Hermand. Königstein 1980, S. 1-19.
Vgl. Robert Paul Wolff, Barrington Moore und Herbert Marcuse: Kritik der reinen Toleranz. Frankfurt a.M. 1966.
Die Herausforderungen des Wachstums. Zur Lage der Menschheit am Ende des Jahrtausends. Hrsg. vom Club of Rome. Bern 1990.
Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu den “modes of production” in Fredric Jameson: Postmodernism or The Cultural Logic of Late Capitalism. Durham 1991, S. 260-278.
Vgl. Neue Literaturtheorien. Eine Einführung. Hrsg. von Klaus-Michael Bogdal. Opladen 1990.
Geschichte der Germanistik (wie Anm. 2), S. 240-242.
Hartmut Böhme: Germanistik in der Herausforderung durch den technischen und ökonomischen Wandel. In: Kultureller Wandel und die Germanistik in der Bundesrepublik. Hrsg. von Johannes Janota. Tübingen 1993, Bd. 1, S. 30-33.
Besonders heftig waren diesbezügliche Reaktionen auf meine Öko-Thesen bei den Tagungen “Der Technikdiskurs in der Hitler-Stalin-Ära, 1924–1989” (1993) in Bremen und “Materialistische Literaturtheorie” (1994) in Freiburg.
Vgl. den vehementen Angriff auf mich in Richard Herzinger und Hannes Stein: Endzeit-Propheten oder Die Offensive der Antiwestler. Reinbek 1995, S. 82-85, wo ich mit Hans Jonas, Wolfgang Harich, Rudolf Bahro und Jörg Haider als “grüner Totalitarist” angeprangert werde.
Vgl. die Gedanken zum “Primat der Ökologie” bei Michael Schneider: Das Ende eines Jahrhundertmythos. Eine Bilanz des Sozialismus. Köln 1992, S. 370-379, und Ernst Ulrich von Weizsäcker: Doppelter Wohlstand, halber Naturverbrauch. In: Universitas 50 (1995) Nr. 11, S. 1036-1043.
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Hermand, J. (1997). Literaturwissenschaft und ökologisches Bewußtsein. In: Bentfeld, A., Delabar, W. (eds) Perspektiven der Germanistik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-85101-7_8
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