Zusammenfassung
Der Begriff des wissenschaftlichen Fortschritts wird heute, wie in den Kapiteln 1 und 2 ausgeführt worden ist, von verschiedenen Parteien außerhalb des Laboratoriums angegriffen. Die Wissenschaftler selbst nehmen von diesen Strömungen kaum Notiz; und wenn sie sich auf eine Aussage festlegen müßten, würden sie sich mit der Behauptung von George Sarton, dem ersten modernen Wissenschaftshistoriker, identifizieren wollen:
Definition: Die Wissenschaft ist systematisiertes positives Wissen oder was zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten dafür gehalten wurde.
Theorem: Der Erwerb und die Systematisierung positiven Wissens sind die einzigen menschlichen Tätigkeiten, die wahrhaft kumulativ und fortschreitend sind.
Korollar: Die Wissenschaftsgeschichte ist die einzige Geschichte, die den Fortschritt der Menschheit illustrieren kann. In der Tat hat der Fortschritt auf Gebieten, die nicht zur Wissenschaft gehören, keine bestimmte und unzweifelhafte Bedeutung.1
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Literatur
George Sarton, The Study of History of Science (1936; Nachdruck, New York: Dover, 1957), S. 5.
Pierre Duhem, The Aim and Structure of Physical Theory (New York: Atheneum, 1962), S. 177.
P. A. M. Dirac, Principles of Quantum Mechanics (Oxford: Clarendon Press, 1958), S. 312.
Victor Weisskopf, „Of Atoms, Mountains, and Stars: A Study in Qualitative Physics“, Science 187, no. 4177 (1975): 605–12.
Robert G. Sachs, „Structure of Matter: A Five-Year Outlook“, Physics Today 32, no. 12 (Dezember 1979): 27.
Der Titel wird gewöhnlich mit „On the Method of Theoretical Physics“ übersetzt. Dies war der Herbert-Spencer-Vortrag, den Einstein am 10. Juni 1933 in Oxford hielt. Das Originalmanuskript von Einsteins Aufsatz war in Deutsch verfaßt und ist in seiner Sammlung Mein Weltbild (Frankfurt am Main: Ullstein, 1977), S. 113-19 publiziert worden. Eine englische Übersetzung erschien 1933 bei Oxford University Press als kleines Büchlein, aber sie ließ viel zu wünschen übrig. Eine neue englische Übersetzung wurde (von Sonja Bergmann) angefertigt, als Einstein später eine Sammlung seiner Aufsätze in Ideas and Opinions (New York: Crown, 1954) herausbrachte. Die Übersetzung erscheint auf den Seiten 270-76. Wenn ich aus Einsteins Aufsatz und aus seinen anderen Schriften zitiere, beziehe ich mich auf die Seiten der englischen Übersetzung in Ideas and Opinions, ich bin aber auf die entsprechenden deutschen Originale zurückgegangen und habe die publizierten englischen Texte-wo nötig-verbessert. In diesem Zusammenhang möchte ich mich beim Einstein-Nachlaß für die Erlaubnis bedanken, aus den Einsteinschen Schriften zu zitieren.
Philipp Frank, Einstein: His Life and Times (New York: Knopf, 1947), S. 217.
Zitiert in Richard K. Gehrenbeck, „C. J. Davisson, L. H. Germer, and the Discovery of Electron Diffraction“ (Ph.D. diss., University of Minnesota, 1973), S. 343-44.
Nach der Beobachtung der Ablenkung des an der Sonne vorbeigehenden Sternenlichts, die im November 1919 veröffentlicht wurde, überarbeitete Einstein diesen Satz für die 1920 gedruckte Auflage: Jetzt ist nur noch eine aus der Theorie gezogene Konsequenz übriggeblieben, die nicht beobachtet worden ist (die Rotverschiebung der Spektrallinien), aber wieder ergänzte er: „Ich zweifle nicht daran, daß auch diese Konsequenz der Theorie bald ihre Bestätigung finden wird.“ Albert Einstein, Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie, 7. Aufl. (Braunschweig: Vieweg, 1920), S.70.
Zum Beispiel Einstein, Ideas and Opinions, S. 272. Die Zitate in den nächsten sechs Abschnitten stammen aus derselben Quelle, S. 273-76. [„Zur Methodik der theoretischen Physik“ in Mein Weltbild]
Im Aufsatz „Physik und Realität“, 1936-übersetzt als „Physics and Reality“, in Einstein, Ideas and Opinions, S. 294. [deutsches Original abgedruckt in Albert Einstein, Aus meinen späten Jahren (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1979), S.68]
In Pierre Speziali, Hrsg., Albert Einstein, Michele Besso, Correspondence 1903-1955 (Paris: Hermann, 1972), S. 527.
Isaiah Berlin, Concepts and Categories (New York: Viking Press, 1979), S. 159.
Albert Einstein, „Autobiographical Notes“ in Albert Einstein: Philosopher-Scientist, hrsg. von Paul A. Schilpp (Evanston, Ill.: Library of Living Philosophers, 1949), S. 53. [Einstein, „Autobiographisches“ in Albert Einstein als Philosoph und Naturforscher, Paul A. Schilpp (Hrsg.) (Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg, 1979), S.20].
Albert Einstein, „Induktion und Deduktion in der Physik“, Berliner Tageblatt (Ergänzung), 25. Dezember 1919.
Einstein in Albert Einstein: Philosopher-Scientist, S. 673-74 [S. 499-500]. Siehe auch S. 678 [S. 504]: „Begriffe sind nötig als unentbehrliche Elemente des Denkens“.
Ein kurzer Überblick über die thematische Analyse und einige Fallstudien finden sich in Gerald Holton, Thematic Origins of Scientific Thought: Kepler to Einstein (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1988) und in Gerald Holton, The Scientific Imagination: Case Studies (New York: Cambridge University Press, 1978). Das „Postscript“ in Thematic Origins erörtert die Verwendung der thematischen Analyse durch andere Gelehrte auf vielen Gebieten.
Max Planck, „Verhältnis der Theorien zueinander“ in Die Kultur der Gegenwart, Teil 3, Band 1, hrsg. von Paul Hinneberg (Leipzig: B. G. Teubner, 1915), S. 737.
Albert Einstein, Äther und Relativitätstheorie (Berlin: Julius Springer, 1920), S. 14.
J. T. Merz, A History of European Thought in the Nineteenth Century (London: William Blackwood & Sons, 1904), I, S. 251–52.
Ludwig Büchner, Kraft und Stoff: Empirisch-naturphilosophische Studien, 9. Aufl. (Leipzig: Theodor Thomas, 1867), S. LXXXIX.
Ernst Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung, historisch-kritisch, dargestellt, 2. Aufl. (Leipzig: F. A. Brockhaus, 1889), S. 437–38. [Neudruck: Die Mechanik, historisch-kritisch dargestellt, entspr. der 9. Aufl., Leipzig, 1933 (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1963), S. 443 u. 444]
Vergleiche den „Aufruf“, Physikalische Zeitschrift, 13 (1912): 735-36 und Friedrich Herneck, „Albert Einstein und der philosophische Materialismus“, Forschungen und Fortschritte 32 (1958): 206. Eine Analyse des Dokuments, seiner Quellen und seines Einflusses bringt „Ernst Mach and the Fortunes of Positivism“, Kapitel 1 in G. Holton, Science and Anti-Science (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1993).
Albert Einstein, „Motiv des Forschens“ [Neudruck in Mein Weltbild, S. 107-110: „Prinzipien der Forschung“]; eine etwas nachlässige englische Übersetzung wurde in Einstein, Ideas and Opinions, S. 224-27 veröffentlicht.
In Albert Einstein: Philosopher-Scientist, S. 59-61, 81 [S. 22 u. 30]. Die Texthervorhebungen finden sich im Original. Im Oxforder Vortrag von 1933 geht Einstein auf dieses Problem nur am Ende ein, indem er sagt: „Der schwierigste Punkt für eine derartige Feldtheorie liegt einstweilen im Begreifen der atomistischen Struktur der Materie und der Energie. Die Theorie ist nämlich in ihrer Grundlage insofern nicht atomistisch, als sie ausschließlich mit kontinuierlichen Funktionen des Raumes operiert im Gegensatz zur klassischen Mechanik, deren wichtigstes Element, der materielle Punkt, bereits der atomistischen Struktur der Materie gerecht wird.“ (in Mein Weltbild, S. 118).
Einstein, Ideas and Opinions, S. 272 [Mein Weltbild, S. 114 u. 115].
Einstein, „Physik und Realität“, 1936-übersetzt als „Physics and Reality“, in Einstein, Ideas and Opinions, S. 318 [in Einstein, Aus meinen späten Jahren (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1979), S. 99-100].
Der Fall ist ganz allgemein. So baute sich Keplers Welt aus drei überlappenden thematischen Strukturen auf, von denen zwei alt und eine neu waren: das Universum als theologische Ordnung, das Universum als mathematische Harmonie und das Universum als physikalische Maschine. Newtons wissenschaftliches Weltbild enthielt noch deutlich animistische und theologische Elemente. Lorentz’ vorwiegend elektromagnetische Weltsicht war wirklich eine Mischung Newtonscher Mechanik der Massenpunkte, die die Bewegung von Elektronen bestimmte und Maxwells Physik kontinuierlicher Felder. Als Ernest Rutherford am 20. März 1913 an Niels Bohr, seinen neuen Schützling, schrieb, merkte er an: „Deine Ideen zum Ursprung der Wasserstoffspektren sind sehr geistreich und funktionieren anscheinend ganz gut; aber die Mischung aus den Planckschen Ideen [Quantisierung] mit der alten Mechanik macht es sehr schwer, sich eine physikalische Idee zu bilden, was die Basis sein Könnte.“ Tatsächlich war Bohrs Zugehen auf die neue Quantenmechanik über das Korrespondenzprinzip natürlich ein bewußter Versuch, von der klassischen Basis aus schrittweise den Weg zu finden.
Einstein, „On the Theory of Relativity“ in Ideas and Opinions, S. 246 [„Über Relativitätstheorie“ in Mein Weltbild, S. 131-32].
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Holton, G. (1998). Einstein und das Ziel der Wissenschaft. In: Einstein, die Geschichte und andere Leidenschaften. Facetten. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-85029-4_7
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-85029-4_7
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