Zusammenfassung
Der Reflexionsgegenstand, mit dem sich die nachstehenden Ausführungen befassen, ist — annäherungsweise gesagt — vor-soziologischen Ursprungs. Als wissenschaftliches Objekt ließe er sich zwar auch umschreiben und empirisch analysieren, doch setzte ein entsprechender Forschungsprozeß gerade das voraus, worauf Merleau-Pontys Bemühungen unentwegt gerichtet waren. Oder anders: inwieweit eine durchaus dem „soziologischen Denken” verpflichtete Fragestellung, wie Merleau-Ponty sie beispielsweise in seinen Aufsätzen Le philosophe et la sociologie und De Mauss à Claude Lèvi-Strauss 1 entfaltet hat, noch als „wissenschaftlich” zu bezeichnen wäre, hängt nicht zuletzt von (mehr oder weniger operativ gebrauchten) Begriffen und Definitionen ab. Nimmt man etwa Schelers „Erfindung”2 der Wissenssoziologie zum Modell, so scheint die sozialphilosophische Schicht in Merleau-Pontys Werk ohne weiteres mit jener vereinbar zu sein3, wenngleich die Problematiken hier und dort keineswegs deckungsgleich sind. Gewiß, Schelers Antinomie von Real- und Idealfaktoren hat die Geschichte der Wissenssoziologie wohl mehr geprägt als etwa die mit den „formalen Problemen”4 angesprochenen strukturellen Kategorien, zu denen das apriorische „Wissen” um ein jedem Ich voraufliegendes „Wir” zu rechnen ist. Doch will uns gerade die Vorrangigkeit derartiger außerwissenschaftlicher Aspekte im Hinblick auf eine Begründung der empirischen Soziologie (bzw. eines Teilgebietes derselben) nun auch jenseits des spezifisch Schelerschen Bezugsrahmens für ein den Reibungsflächen von Philosophie, Erkenntnistheorie und empirischer Wissenschaft entlang sich bewegendes Denken wie dasjenige Merleau-Pontys als kennzeichnend erscheinen.
Überarbeitete Fassung eines am 3. Juli 1973 anläßlich des Kolloquiums „Merleau-Ponty und der Strukturbegriff in den Sozialwissenschaften” gehaltenen Vortrages. Da die Behandlung einzelner Probleme der Philosophie Merleau-Pontys zwischen Bernhard Waldenfels und mir um einer Vermeidung von Gleichläufigkeiten und Wiederholungen willen abgesprochen wurde, ging ich damals auf Fragen der Sprachlichkeit, die Waldenfels bearbeiten sollte, überhaupt nicht ein. Daran wurde auch bei der vorliegenden Überarbeitung nichts geändert.
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Anmerkungen
Peter Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, dt. von M. Plessner, Frankfurt/M. 1969, S. 9.
Max Scheler, Die Wissensformen und die Gesellschaft, in: Gesammelte Werke, Bd. 9, Bern 1960, S. 52 ff.
Was H. P. Dreitzel zum „Axiom” der Rollentheorie sagt (vgl. Die gesellschaftlichen Leiden und das Leiden an der Gesellschaft, gek. Taschenbuchausgabe, Stuttgart 1972, S. 98) gilt analog und erweitert für soziologische Theorien schlechthin.
Vgl. hierzu J. Habermas, Technik und Wissenschaft als,Ideologie’, Frankfurt/M. 1968, S. 158–159.
Vgl. Kracauer, Soziologie als Wissenschaft, in: Schriften, Band 1, Frankfurt/M. 1971, S. 7–101.
Th. W. Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie, Hamburg 1971, S. 211.
Vgl. Th. F. Geraets, Vers une nouvelle philosophic transcendantale. La genbse de la philosophic de Maurice Merleau-Ponty jusqu’ä la Phenoménologie de la perception. Den Haag 1971, S. 134 ff.
Vgl. H. Plessner, Diesseits der Utopie, Frankfurt/M. 1974, S. 186 ff
F. J. J. Buytendijk, in: Situations, Band 1, Antwerpen/Utrecht 1954, S. 14.
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Métraux, A. (1975). Über Leiblichkeit und Geschichtlichkeit als Konstituentien der Sozialphilosophie Merleau-Pontys. In: Beiträge zur Wissenssoziologie, Beiträge zur Religionssoziologie / Contributions to the Sociology of Knowledge Contributions to the Sociology of Religion. Internationales Jahrbuch für Wissens- und Religionssoziologie / International Yearbook of Knowledge and Religion, vol 9. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-84128-5_4
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