Zusammenfassung
Was wird ein Psychiatrieexperte, der 15 Jahre nicht mehr in der Bundesre-publik gewesen ist, an Veränderungen in der psychosozialen Versorgungsland-schaft antreffen? Er wird die meisten psychiatrischen Anstalten baulich saniert finden, auch neueantreffen. Die Aufenthaltsdauer in den Anstalten ist reduziert, dafür sind die Einweisungs-und Wiedereinweisungsquoten angestiegen. In einer Reihe von Anstalten wurden die Betten reduziert. Dafür wächst die Anzal von privat geführten Heimen für Langzeitpatienten, die dem Besucher bei einer offiziellen Psychiatrietour durch die Bundesrepublik aber eher vorenthalten werden. In den Kliniken wird er eine Differenzierung vorfinden, die zu einem verstärkten therapeutischen Engagement im Akutbereich geführt hat, und zugleich eine anstaltsinterne Ausgrenzung von Langzeitinsassen in personell schlecht ausgestatteten Abteilungen zur Folge hatte. Beim Personal wird er die Angst vor Planstellenabbau zu spüren bekommen und die Sorge, daß eine weitere Reduzierung von Betten diese Gefahr noch verschärfen könnte. Das führt zu einer Skepsis gegenüber in der Öffentlichkeit noch immer erhobenen Forderungen nach einer Auflösung der Anstalten. Die größte Neuerung, die der Besucher antreffen dürfte, sind erste ambulante Versuche zu einer lebensweltbezogenen psychosozialen Arbeit. Er wird aber zugleich registrieren, daß in der Bundesrepublik Versorgungsstrukturen politisch heiß umstritten sind, die in anderen Ländern der westlichen Welt längst zum selbstverständlichen Grundbestand der psychosozialen Versorgung zählen, ja die dort durchaus als Kontrollsysteme kritisch diskutiert werden.
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Keupp, H. (1984). Alternativen zum Ausschluss — Perspektiven einer Psychiatriereform noch einmal neu durchdacht. In: Eisenbach-Stangl, I., Stangl, W. (eds) Grenzen der Behandlung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-84052-3_3
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