Zusammenfassung
Sprechakte hat Jean-François Lyotard in den Bereich des agon, d. h. des Wettstreits gerückt, statt sie im Rahmen der Kommunikation zu belassen. Von hier begründet sich das erste Prinzip seiner ganzen Methode, daß nämlich „Sprechen Kämpfen im Sinne des Spielens ist und daß Sprechakte einer allgemeinen Agonistik angehören“ (Lyotard 1986, 40). Man kann gegen die Theorie des Widerstreits (Lyotard 1987) einwenden, daß darin nicht über den Unterschied von agonalem und aggressivem Streit1 nachgedacht würde. Die Agonie bei Folter und Exekution überschreitet die Grenze vom Wettstreit zum Tod, mag auch in der einschlägigen Forschungsliteratur die Folter als „Ringen zwischen Richter und Angeklagtem“ (Dülmen 1985, 31988, 51)2, die Hinrichtung als „Kampf zwischen Henker und Delinquent“ (ebd., 149) apostrophiert worden sein (Abb. 1). Und andererseits: Wenn Kommunikation in allgemeinster Weise als Austausch von ‚Information‘ zwischen einem Sender und einem Empfänger über einen Kanal definiert werden kann, so trifft dies in einem erschreckenden Sinne gerade auf die Folter zu, deren Ziel es ist, Informationen mittels der Zufügung von Schmerzen zu erhalten. Die Folter wäre ein Kommunikationsakt, freilich am absoluten Punkt der Asymmetrie — ‚harte‘ Kommunikation in ihrer glühendsten Erscheinungsform, die die Kehrseite (nicht den Grenzbereich) der Autorität beleuchtet.
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Zelle, C. (1992). Autorität der Brutalität — Brutalität der Autorität. In: Kray, R., Pfeiffer, K.L., Studer, T. (eds) Autorität. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83900-8_4
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