Zusammenfassung
Seit der Mitte der siebziger Jahre häufen sich wie international so auch in der Bundesrepublik Deutschland die Versuche, den Standort der Soziologie sowohl im Kanon der Wissenschaften vom Menschen als auch in der allgemeinen Lebenswirklichkeit zu umreißen. Zwischenbilanzen wurden gezogen, Entwicklungslinien aufgespürt, Unterbrechungen festgestellt, Krisen attestiert1. Solche Uberprüfungen der inneren Ausgestaltung und des Wirklichkeitsverhältnisses stehen der Soziologie in Deutschland um so mehr zu Gebote, als die nationalsozialistische Herrschaft und der Zweite Weltkrieg ihr nach 1945 einen völligen Neuanfang aufzwangen, dessen politische Voraussetzungen sich gleichwohl alsbald in inhaltlichen und persönlichen Konflikten zwischen ihren bundesrepublikanischen Wiederbegründern niederschlugen. Die Einzelheiten der Fachgeschichte sollen hier nicht wiedergegeben werden; sie sind andernorts detailliert nachgezeichnet worden2. Inzwischen liegen auch verschiedene eigenhändige Lageeinschätzungen und Rechenschaftsberichte der wissenschaftspolitischen Protagonisten bundesdeutscher Soziologie nach 1945 vor3. Die Mehrzahl dieser Hauptakteure hat mit den siebziger Jahren das Aktionsfeld akademischer Lehre und Forschung verlassen; so Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Arnold Gehlen, Helmut Schelsky, Helmuth Plessner und auch René König. Dieser institutionell und biographisch bedingte Generationswechsel muß zweifelsohne als ein mitauslösendes Moment für die kritische Sichtung des in den drei vorangegangenen Dezennien Geleisteten und Erreichten betrachtet werden. Zu welchen qualitativen Urteilen man im Rahmen derartiger Bestandsaufnahmen auch immer gelangen mag, unübersehbar ist, daß die akademische Soziologie in der heutigen Bundesrepublik zu einer quantitativen Ausdehnung und Wirklichkeitsvielfalt gefunden hat wie nie zuvor in Deutschland.
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Anmerkungen
Vgl. unter anderem Hans, Krysmanski und Peter Marwedel (Hrsg.), Die Krise der Soziologie, Köln 1975; Gottfried Eisermann (Hrsg.), Die Krise der Soziologie, Stuttgart 1976; Tom Bottomore (Hrsg.), Crisis and Contention in Sociology, London 975;Alvin W. Gouldner, The Coming Crisis of Western Sociology, London 1970.
Vgl. Hans Peter Thurn, Soziologie der Kultur, Stuttgart 1976, S. 111f.
Vgl. Alfred Weber, Die Gefahr der Entstehung zweier Kulturen in Deutschland (1954), wieder abgedruckt in: Haben wir Deutschen nach 1945 versagt? Politische Schriften. Ein Lesebuch, München 1979, S. 257–261.
Vgl. Max Weber, Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904), in: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. 4., erneut durchgesehene Auflage, hrsg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 1973, S. 146–214, hier zitiert S. 175.
Vgl. William F. Ogburn, Kultur und sozialer Wandel. Ausgewählte Schriften, hrsg. und eingeleitet von Otis Dudley Duncan, Neuwied und Berlin 1969. Einen weiterführenden Ansatz zu einem Diffusionsmodell der Kultur bietet Abraham A. Moles, Sociodynamique de la culture, Paris 1967, insbes. S. 187ff.; deutsch in gekürzter Fassung: Soziodynamik der Kultur, Stuttgart 1976, insbes. S. 74ff.
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Thurn, H.P. (1981). Perspektiven der Kultursoziologie. In: von Alemann, H., Thurn, H.P. (eds) Soziologie in weltbürgerlicher Absicht. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83850-6_2
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