Zusammenfassung
Die Berühmtheit der unter dem Titel „Authoritarian Personality“ (im folgenden: AP) zusammengefaßten Forschungen, die eine nichtendenwollende Reihe von Nachuntersuchungen ins Leben gerufen haben28, hat gewichtige außertheoretische Gründe, nämlich die Kriegssituation der USA und ihrer Verbündeten gegen den Faschismus, insbesondere gegen das nationalsozialistische Deutschland unter Hitler. Das, was den Nationalsozialismus am prägnantesten kennzeichnet, die totalitäre Gestaltung nicht nur der politischen, sondern tendenziell aller gesellschaftlichen Verhältnisse nach dem autoritären Führerprinzip, die offene, gesetzlich abgesicherte Diskriminierung ethnischer, religiöser, politischer, sexueller usw. Minderheiten, die, wie im Falle der Juden, der Zigeuner und der Geisteskranken, in geplanter Ausrottung kulminierte, sowie die früh vorbereitete aggressiv-imperialistische Expansion nach außen mit dem Ziel einer dauerhaften Unterjochung zumindest der Völker Osteuropas — all das mußte in der westlichen, psychologisch orientierten Öffentlichkeit und Wissenschaft als Verkörperung einer zum Wahn gesteigerten, Humanität und Vernunft schlechtweg negierenden, bösartigen Vorurteilshaftigkeit gelten. Und zwar einer zum kollektiven Wahn gesteigerten Vorurteilshaftigkeit; denn es ließ sich nicht übersehen, daß Faschismus und Nationalsozialismus nicht bloß Sache weniger war, sondern von breiten Bevölkerungsschichten getragen wurde. Die damit vorhandene große Gefahr für Europa und darüber hinaus mußte gerade solche Sozialwissenschaftler in den Ländern des außerfaschistischen Machtbereichs zur wissenschaftlichen Erforschung und politischen Bekämpfung motivieren, die zu seinen potentiell besonders bedrohten Feindgruppen zählten (vor allem natürlich die Juden) oder die wie die Gruppe von Max Horkheimer der unmittelbar drohenden Diskriminierung und schließlich physischen Vernichtung nur knapp, d.h. durch rechtzeitige Emigration entgangen waren. Horkheimers Sekretärin A. Maier beschrieb „das dominierende Interesse“ des nach New York übertragenen „Instituts für Sozialforschung“ in den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren so: „Wir waren samt und sonders einfach besessen von dem Gedanken, Hitler und den Faschismus besiegen zu müssen, und dieser Gedanke ließ uns zusammenrücken. Wir spürten, wir hatten eine Mission. Das galt auch für die Sekretärinnen, wie überhaupt für jeden, der ans Institut kam und dort arbeitete. Diese Mission gab uns wirklich ein Gefühl für Loyalität und Zusammengehörigkeit“ (nach Jay 1976, S. 175).
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© 1983 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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Estel, B. (1983). Vorurteile als psychische Symptome: Die Konzeption der „Authoritarian Personality“. In: Soziale Vorurteile und soziale Urteile. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83800-1_4
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-83800-1_4
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-11628-0
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