Zusammenfassung
“Mangel an Lehrern: Statt einer immer wieder prophezeiten’ Lehrerschwemme’ gibt es in Dänemark wieder Mangel an Pädagogen”. Diese Pressemeldung wäre von der knappen Insidernotiz zur Titelschlagzeile avanciert, wenn nicht von Dänemark, sondern von der Bundesrepublik Deutschland die Rede gewesen wäre. Ähnliche Meldungen erreichen uns aus den USA, wo die Schulen angesichts des erwarteten Lehrermangels schon zu “ungewöhnlichen Lockangeboten” greifen. Sollten also am Ende doch diejenigen recht behalten, die die Warnungen vor einer galoppierenden Lehrerarbeitsmarktkrise als Abschreckungspropaganda entlarven wollten und ihrerseits das Menetekel eines baldigen neuen Lehrermangels am Horizont ausmachen zu können glaubten?
Der Verfasser stellt hier sein persönliches Resümee vor, das nicht als der kleinste gemeinsame Nenner aller Beiträge dieses Sammelbandes mißverstanden werden sollte.
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References
Lediglich das Niveau der Talsohle wurde zwischenzeitlich von 8,06 Mill, auf 8,31 Mill, etwas nach oben korrigiert, weil man einen noch stärker zunehmenden relativen Schulbesuch im Sekundarbereich I und II erwartet (vgl. KMK 1978 und KMK 1984b).
Um die Größenordnung anzudeuten, sei eine modellmäßige “Normalzahl” von Lehramtsstu-dienanfängern unter stationären Bedingungen abgeschätzt: bei 8,7 Mill. Schülern in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre und der heutigen Schüler—Lehrer —Relation (1984: 18,7) wären 465 Tsd. Lehrer (Vollzeitäquivalente) erforderlich. Ignoriert man, daß es u.a. wegen Teilzeitbeschäftigung ca. 30% mehr haupt— und nebenberufliche Lehrer (Personenzählung) als fiktive Vollzeitlehrer gibt, und geht man von einer durchschnittlich dreißigjährigen Berufstätigkeit aus, was angesichts der gerade bei Lehrerinnen häufigen Phasenerwerbstätigkeit zu hoch gegriffen sein dürfte, ergäbe sich bei einem gleichmäßigen Altersaufbau ein jährlicher Ersatzbedarf von 15,5 Tsd. (bei Personen-statt Vollzeitlehrerzählung und nur 25-jähriger Erwerbstätigkeit sind es schon 24 Tsd.; zu den Ersatzbedarfsprognosen der BLK vgl. KREUSER). Wenn ca. 65% der Lehramtsstudienanfänger als potentielle Einstellungskandidaten zur Verfügung stehen, dann müßten sich jährlich 23,8 Tsd. in Lehramtsstudiengänge immatrikulieren, um einen Ersatzbedarf von 15,5 Tsd. decken zu können. Diese fiktive “Normalzahl” wird schon seit 1982 unterschritten (Tabelle 4).
Als besonders wichtig erschien der DGfE noch 1985, daß die Kultusminister an unabhängige Sachverständige Gutachten vergeben sollten, “in denen die Folgen des nach wie vor bestehenden Lehrermangels untersucht werden” müßten. Die Forschungsfrage scheint falsch formuliert, weil sie den Lehrermangel als erwiesen voraussetzt, was angesichts der ungeklärten und eigentlich interessierenden Frage nach den “optimalen Klassengrößen” völlig offen ist. “Die Vernachlässigung dieses Themas ist ein klassisches Beispiel für das Versagen einer nicht erfahrungswissenschaftlich orientierten Pädagogik, drängende Fragen der Praxis zu bearbei-ten”(INGENKAMP et. al. 1985, S. 7).
In ihrer jüngsten Stellungnahme hierzu heißt es: “Weiterhin notwendig erachtete pädagogische Verbesserungen sind im Rahmen der heute erreichten Schüler—Lehrer—Relationen primär durch organisatorische Maßnahmen erreichbar. Angesichts des heute erreichten Standards Forts. von letzter Seite: müssen sinkende Schülerzahlen auch zu sinkenden Lehrerzahlen führen” (FMK 1985, S. 5).
Diese zukunftsbezogene Frage läßt sich mit Hinweis auf die seit Mitte der siebziger Jahre gesunkenen Anteile der Bildungsausgaben am öffentlichen Gesamthaushalt bzw. Sozialprodukt (KLEMM 1983) nicht beantworten. Wenn man sich — unabhängig von der Entwicklung der Bedarfsfaktoren — auf eine reine ex—post —Betrachtung beschränkt, dann sollte nicht unerwähnt bleiben, daß der Anteil der Personalausgaben im Schulbereich an sämtlichen unmittelbaren Bildungsausgaben von 42,7% (1975) auf 47,6% (1985) gestiegen ist (GSD 1985/86, S. 231).
Der Umsetzung der erweiterten gesetzlichen Möglichkeiten zur freiwilligen Teilzeitbeschäftigung und Beurlaubung aus familiären und arbeitsmarktpolitischen Gründen hat die FMK vorbehaltlos, ihrer nochmaligen Ausweitung hingegen wegen der Folgekosten im Versorgungsbereich nur sehr begrenzt zugestimmt (FMK 1985).
Sofern die von 1980 bis 1984 tatsächlich getätigten Einstellungen ein anderes Bild als die Zuwachsraten des Vollzeitlehrerbestandes ergeben würden, wären die Ursachen dafür im personalwirtschaftlichen Bereich (Teilzeitbeschäftigung, Beurlaubungen etc.) und nicht in der Stellenpolitik der Vergangenheit zu suchen.
Der Bremer Bildungssenator signalisierte lediglich eine staatliche Beteiligungsmöglichkeit an der Altersversorgung. Darüber hinaus gehe nichts. Die Idee eines “Sabbatjahres” für Arbeitnehmer als Arbeitszeitverkürzungsinstrument ist politisch ohnehin umstritten. Vgl. z.B. DEUTSCHER BUNDESTAG 1983, S. 72f.
Bei Juristen ist also nicht nur eine verschwindend kleine Gruppe verbeamtet, wie OTTEN (1983, S. 133) glaubt.
Zur Perspektive der freien Niederlassung von Lehrern vgl. OTTEN 1983.
Entgegen der Auffassung der GEW (1983, S. 71) ist unter Arbeitsmarktforschern keineswegs unstrittig, daß ein gut ausgebildeter Lehrer mit Referendariatserfahrung wesentlich leichter eine außerschulische Tätigkeit findet als ein fachlich spezialisierter Absolvent. So kam die von der GEW (1983d) selbst durchgeführte Unternehmensbefragung zur Lehrerbeschäftigung in der Wirtschaft zu dem Ergebnis, das absolute Schwergewicht liege auf der fachlichen Qualifikation. Unglücklich ist auch der Einwand, es gebe auf dem akademischen Arbeitsmarkt bzw. im öffentlichen Dienst ohnehin schon genug arbeitslose Fachwissenschaftler (GEW 1983e, S. 70), da in der Diskussion um die “Offenhaltung der Hochschulen” die gegenteilige These vertreten wird, der Arbeitsmarkt absorbiere Hochschulabsolventen viel leichter als von den Gegnern der Öffnungspolitik angenommen werde.
Die Befürchtung, “daß sich die Bereitschaft zur Aufnahme eines Lehramtsstudiums auch in den kommenden Jahren nicht wesentlich verringern wird”, sondern “eher mit einer erneuten Steigerung zu rechnen” sei (SOMMER, W. 1983), ist von der Realität widerlegt worden.
Die GEW —Sicht der Lehrerbedarfsprognostik wird kurios, wenn zuerst apodiktisch behauptet wird, es gäbe keine zuverlässigen mittel— und langfristigen Prognosen über die Lehrerbeschäftigung, um im nächsten Satz bruchlos zu postulieren, daß an dem etwa ab Mitte der 90er Jahre wieder enormen Lehrerersatzbedarf kein Zweifel bestehen könne (GEW 1983c). Prognosen wären demnach zuverlässig, wenn sie genehm, und unzuverlässig, wenn sie unangenehm sind.
Erst die Lehrerbedarfs— und — angebotsprognosen, die die BLK im Rahmen der Fortschreibungsentwürfe zum Bildungsgesamtplan (BGPII) vorlegte, wurden nicht mehr mit dem Bannstrahl der “unseriösen Horrorprognose” belegt (DGB 1980, S. 18).
Daß hier umgedacht worden ist, wird daran ersichtlich, daß auch KLEMM noch 1983, S. 6 die GEW —These vom durch Abschreckungsprognosen leergefegten Lehrerarbeitsmarkt propagierte.
Für die Studienberechtigten des Jahres 1976 vgl. LEWIN/PIESCH/SCHACHER 1982, S. 18. Hierfür spricht auch die parallele Entwicklung zwischen Lehramtsstudienanfängerzahlen im ersten Hochschulsemester einerseits (Tabelle 4) und im ersten und zweiten Fachsemester andererseits (BLK 1985c, Übersicht 7).
Die Studiendauer in Hochschulsemestern betrug bei den 1984 absolvierten 1. Staatsprüfungen für das Lehramt 6,1 Jahre. (STATISTICHES BUNDESAMT 1986, S. 227).
Das BVerfG hielt sich eine zukünftige Modifikation der 1972 fixierten materiell — rechtlichen NC — Voraussetzungen mit dem Hinweis auf den “Stand der bisherigen Erfahrungen” offen, was von der FMK mit dem Hinweis aufgegriffen wurde, dem Gericht habe das Bedarfsproblem damals (1972) noch nicht in seiner erst heute (1974) erkennbar werdenden Tragweite vorgetragen werden können. Die verfassungsrechtliche Probe auf das hochschulpolitische Exempel von bedarfsplanungsbedingten absoluten Zulassungsbeschränkungen steht aber bis heute aus.
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Sommer, M. (1986). Strategien zur kurzfristigen Entlastung und langfristigen Stabilisierung des Lehrerarbeitsmarktes. In: Sommer, M. (eds) Lehrerarbeitslosigkeit und Lehrerausbildung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83784-4_16
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