Skip to main content

Die sichtbare Hand des Rechts

Über das Verhältnis von Rechtsordnung und Wirtschaftssystem bei Adam Smith

  • Chapter
Freiheit und Sachzwang

Zusammenfassung

In Deutschland wurde das Verhältnis von Rechtsordnung und Wirtschaftssystem bei den englischen Klassikern in der Tradition des Idealismus überwiegend als moralphilosophisches Problem erörtert. Dagegen wurde in Frankreich um die Jahrhundertwende das Verhältnis von politischer Ökonomie und Recht zur maßgeblichen systematischen Frage an die englische Aufklärungsphilosophie2. Die These von Halevy lautet, daß die Lehren der englischen Klassiker auf zwei entgegengesetzten Prinzipien beruhten: auf dem Prinzip der natürlichen Harmonie der Interessen im Bereich der politischen Ökonomie und auf dem Prinzip der künstlichen Identifikation von Interessen durch den Gesetzgeber im Bereiche des Rechts. Die Teilung der Arbeit folge nach der Auffassung der politischen Ökonomie nicht aus wohlerwogener und systematischer Gesetzgebung, sondern im Gegenteil aus der Abwesenheit hoheitlicher Intervention: „Wenn man diese Vorstellung sozialer Phänomene generalisiert, so ist es möglich, den fortschreitenden Wegfall allen Rechts vorherzusehen und sogar seine sofortige Abschaffung zu verlangen. Dies war in der Tat der Schluß, zu dem Thomas Paine und besonders Godwyn anhand des Prinzips der neuen politischen Ökonomie kamen, deren anerkannter Begründer Adam Smith ist“.3 Dieser Auffassung vom Absterben des Rechts stehe gegenüber die utilitaristische Theorie vom Recht, wie sie vor allem von Bentham vertreten werde; sie überlasse das höchste Glück der höchsten Zahl nicht dem Zufall des Marktes, sondern fordere die von dem einzelnen notwendig absehende Vorsorge des aufgeklärten Gesetzgebers: „Gesetzgebung ist die Wissenschaft von der Einschüchterung; der allgemeine Nutzen ist ihre raison d’être, und Strafe ist die Sanktion für Verpflichtungen, welche sie auferlegt… Der Gesetzgeber ist es, der in der Gesellschaft Vergnügen und Schmerzen verteilt“4. Halévy ordnet die nach seiner Auffassung verschiedenen Prinzipien des Rechts und der Ökonomie verschiedenen Arten der Rationalität zu. Nur das Prinzip der künstlichen Identifikation der Interessen durch den Gesetzgeber beruhe auf der modernen Konzeption einer aktiven Wissenschaft, welche dem Menschen erlaube, aufgrund seiner Erkenntnisse der Natur zu handeln, um sie in Übereinstimmung mit seinen Bedürfnissen umzugestalten. Das Prinzip der politischen Ökonomie, wie es vor allem von Adam Smith begründet worden sei, fasse dagegen die alte Vorstellung von Wissenschaft als Kontemplation zusammen und schreibe sich selbst lediglich die Rolle zu, die harmonische Einfachheit der Gesetze zu entdecken, denen die Natur folge, wenn sie nur vom Menschen nicht gestört werde.5

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 54.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 69.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Anmerkungen

  1. Dieser Beitrag ist Teil einer längeren Abhandlung über die Rolle des Rechts bei Adam Smith.

    Google Scholar 

  2. Elie Halévy. The Growth of Philosophie Radicalism, französisch 1901–1904, erste englische Übersetzung 1928; Neudruck 1972.

    Google Scholar 

  3. a.a.O., S. 488 Ganz ähnlich August Oncken: Adam Smith in der Culturgeschichte, 1874, S. 19: „Es ist die nachher so vielfach erörterte Lehre von der Harmonie der Interessen bei freiwaltendem Egoismus, durch welche, wenn sie richtig war, allerdings jede Regierungstätigkeit als unnötig zu erachten war …“

    Google Scholar 

  4. aaO., S. 487

    Google Scholar 

  5. aaO., S. 498

    Google Scholar 

  6. Lionel Robbins: The Theory of Economic Policy in English Classical Political Economy 1952, S. 191

    Google Scholar 

  7. Adam Smith: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, general editors A. H. Campbell and A.S. Skinner, Vol. 1 and 2, Oxford 1976, S. 910.

    Google Scholar 

  8. aaO., S. 499

    Google Scholar 

  9. Karl Renner: Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion. Ein Beitrag zur Kritik des bürgerlichen Rechts, 1929

    Google Scholar 

  10. aaO., S. 175

    Google Scholar 

  11. aaO., S. 478; ebenso S. 487

    Google Scholar 

  12. vgl. Thomas Hobbes: Leviathan or the Matter, Form, and Power of a Commonwealth, Ecclesiastical and Civil, Edition Molesworth, Vol. 3, S. 251

    Google Scholar 

  13. Thomas Ho bb es: Philosophical Rudiments, S. 186

    Google Scholar 

  14. Leviathan, aaO., S. 206

    Google Scholar 

  15. aaO., S. 254

    Google Scholar 

  16. aaO., S. 199

    Google Scholar 

  17. Adam Smith: The Theory of Moral Sentiments, edited by D.D. Raphael and A.L. Macfie, 1976, S. 318

    Google Scholar 

  18. The Theory of Moral Sentiments, S. 319: „The general maxims of morality are formed, like all other general maxims, from experience and induction.“

    Google Scholar 

  19. The Theory of Moral Sentiments, S. 83

    Google Scholar 

  20. aaO., S. 82

    Google Scholar 

  21. Wealth of Nations, S. 158

    Google Scholar 

  22. aaO., S. 84

    Google Scholar 

  23. Herbert L.A. Hart: The Concept of Law, 1961, S. 38

    Google Scholar 

  24. aaO., S. 239

    Google Scholar 

  25. Niklas Luhmann: Rechtssoziologie, 1972, Bd. 2, S. 358

    Google Scholar 

  26. aaO., S. 342

    Google Scholar 

  27. Vgl. nur F. A. v. Hayek, Die Ergebnisse menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs, Freiburger Studien, 1969, S. 144 ff.

    Google Scholar 

  28. Franz Böhm: Wettbewerb und Monopolkampf, 1933

    Google Scholar 

  29. John Rawls: A Theory of Justice, 1972, S. 57

    Google Scholar 

  30. aaO., S. 26/27 (in Übersetzung des Verfs.).

    Google Scholar 

  31. aaO., S. 179 ff., für die Auseinandersetzung mit Hume, aaO., S. 315 ff. Gegen die utilitaristische Interpretation von Adam Smith J.R. Lindgren: The Social Philosophy of Adam Smith, The Hague 1973, 61 f.

    Google Scholar 

  32. Adam Smith: The Theory of Moral Sentiments, S. 179/180.

    Google Scholar 

  33. aaO., S. 183

    Google Scholar 

  34. Wealth of Nations, S. 456. Englischer Text: “and he is in this, as in many other cases, led by an invisible hand to promote an end which was no part of his intention.”

    Google Scholar 

  35. The Theory of Moral Sentiments, S. 184/185

    Google Scholar 

  36. The Theory of Moral Sentiments, S. 189

    Google Scholar 

  37. aaO., S. 81

    Google Scholar 

  38. aaO., S. 81. F.A. v. Hayek hält dagegen schon die Anwendung des Gerechtigkeitsbegriffs auf die „Ergebnisse einer spontanen Ordnung [für] sinnlos“ (Rechtsordnung und Handelsordnung, aaO., S. 185). Diese These ist zutreffend, soweit sie sich daraufstützt, daß Gegen-stand rechtlicher Urteile immer nur menschliches Verhalten oder dessen beabsichtigte Ergebnisse sein können. Daraus folgt aber nicht, daß eine spontane Ordnung nur kommu-tative und keine distributive Gerechtigkeit kennen kann (aaO., S. 186 Fn.). Mindestens die gesetzgeberische Korrektur von Regeln, welche auch Hayek „in einem gewissen Grade“ (aaO., S. 176) für möglich hält, wird sich an denjenigen Wirkungen orientieren, welche als unbeabsichtigte Ergebnisse der spontanen Ordnung eintreten. Ergebnisse, welche für die nach Regeln Handelnden subjektiv nicht zurechenbar sind, entziehen sich nicht schon aus diesem Grunde der Zurechnung zu einem bestimmten Regelinhalt. Diese Zurechnung ist eine Voraussetzung für die gesetzgeberische Korrektur von Regelinhalten. Gewiß setzt die Nichtisolierbarkeit von Kausalfaktoren auch dieser Zurechnung Grenzen; aber ohne sie wäre es ausgeschlossen, den Einfluß der Regelbildung auf eine Gesamtordnung in Rechnung zu stellen. Zu ähnlichen Folgerungen gelangt James M. Buchanan in seiner Analyse von Recht und Institutionen als “public goods” bei: Adam Smith, Public Goods and Natural Liberty, in: The Market and the State, Essays in Honour of Adam Smith, ed. by Thomas Wilson and Andrew S. Skinner, Oxford 1976, S. 271, 273 f. Er hebt zutreffend hervor, daß Adam Smith “law and institutions” als Grundlage der Gesellschaft betrachte, sie aber im Prozeß sozialer Entwicklung auch durch darauf gerichtete Entscheidungen für veränderlich halte. Buchanan weist als Beleg hin auf die Bemerkungen von Adam Smith: Wealth of Nations, S. 112, über die je nach Entwicklungsstand und Wirtschaftssystem eines Gemeinwesens verschiedenen Funktionen des Vertragssystems. Die Abhängigkeit des konkreten Inhalts der Rechtsordnung von dem Wirtschaftssystem entspricht einer durchgängigen Grundauffassung von Adam Smith, die er in der Regel anhand historischer Beispiele zum Ausdruck bringt.

    Google Scholar 

  39. Wealth of Nations, S. 456

    Google Scholar 

  40. The Theory of Moral Sentiments, S. 305

    Google Scholar 

  41. The Theory of Moral Sentiments, S. 234

    Google Scholar 

  42. Wealth of Nations, S. 687

    Google Scholar 

  43. Vgl. hierzu auch Andrew S. Skinner: Adam Smith: The Origin, Nature and the Functions of Government; Manuskript des Autors, bisher unveröffentlicht.

    Google Scholar 

  44. Wealth of Nations, S. 267

    Google Scholar 

  45. George J. Stigler: Smith Travels on the Ship of State. Essays, S. 237, 238

    Google Scholar 

  46. aaO., S. 246

    Google Scholar 

  47. Wealth of Nations, S. 782

    Google Scholar 

  48. Wealth of Nations, aaO., S. 788

    Google Scholar 

  49. The Theory of Moral Sentiments, S. 341

    Google Scholar 

  50. Vgl. z.B. Wealth Nations, S. 462, 493, 570

    Google Scholar 

  51. “sneaking art”, a.a.O., S. 493

    Google Scholar 

  52. Wealth of Nations, S. 324

    Google Scholar 

  53. aaO., S. 237

    Google Scholar 

  54. The Theory of Moral Sentiments, S. 86

    Google Scholar 

Download references

Authors

Editor information

Horst Baier

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 1977 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen

About this chapter

Cite this chapter

Mestmäcker, EJ. (1977). Die sichtbare Hand des Rechts. In: Baier, H. (eds) Freiheit und Sachzwang. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83753-0_17

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-83753-0_17

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-531-11397-5

  • Online ISBN: 978-3-322-83753-0

  • eBook Packages: Springer Book Archive

Publish with us

Policies and ethics