Zusammenfassung
Die Verhandlungen um die neuen internationalen Beziehungen haben in einer Reihe von Bereichen bereits begonnen. Wenn die letzten Jahre auch durch eine harte und manchmal bittere Konfrontation zwischen den marktwirtschaftlichen Industrieländern und der Dritten Welt gekennzeichnet waren, so gibt es doch eine Reihe von ermutigenden Anzeichen dafür, daß Politiker auf beiden Seiten des „Armutsvorhangs“ beginnen, sich der durch die weltweiten gegenseitigen Abhängigkeiten erzeugten gemeinsamen Interessen bewußt zu werden und bei der Lösungssuche eine neue Flexibilität zu zeigen. In diesem Kapitel wollen wir die bei den Verhandlungen um eine neue Weltordnung erzielten Fortschritte und die Positionen und Verpflichtungen der großen Parteien kurz umreißen.
„… Es ist reines Wunschdenken anzunehmen, das Problem der weltweiten Armut könne durch fallweise, im wesentlichen marginale Anpassungsschritte gelöst werden. Bei der Bewältigung der Aufgaben, mit denen sich die internationale Gemeinschaft konfrontiert sieht, muß sie eine neue Entschlossenheit zu schnellen und großzügigen Maßnahmen zeigen“.
Commonwealth Expert Group, 1975
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Anmerkungen
Henry Kissinger sagte vor der Versammlung: „Wir glauben, daß eine wirkungsvolle Entwicklungsstrategie sich auf fünf Hauptbereiche konzentrieren sollte: — Erstens müssen wir in internationaler Zusammenarbeit das Problem anpacken, grundlegende wirtschaftliche Sicherheit zu gewährleisten. Die Vereinigten Staaten schlagen Schutzmaßnahmen gegen wirtschaftliche Erschütterungen vor, durch die die Entwicklungsländer besonders verwundbar sind: starke Rückgänge der Exporterlöse durch internationale Angebots-und Nachfrageschwankungen, Nahrungsmittelknappheiten und Naturkatastrophen.
-Zweitens müssen wir die Grundlagen zu einem schnelleren Wachstum legen. Die Vereinigten Staaten schlagen Schritte vor zur Erleichterung des Zugangs der Entwicklungsländer zu den Kapitalmärkten, zur Ausrichtung und Anpassung neuer Technologien an die Bedürfnisse der Entwicklungsländer und zur Erzielung von Abkommen über die Bedingungen für Auslandsinvestitionen.
-Drittens müssen wir die Möglichkeiten der Entwicklungsländer im Welthandelssystem verbessern, damit Erlöse an die Stelle von Hilfe treten können.
-Viertens müssen wir die Handels-und Investitionsbedingungen bei wichtigen Rohstoffen verbessern, von denen viele Entwicklungsländer wirtschaftlich abhängig sind, und wir müssen durch eine Verbesserung von Nahrungsmittelproduktion und-Verfügbarkeit ein Beispiel geben.
-Fünftens sollten wir uns den besonderen Problemen der ärmsten Länder zuwenden, auf die sich die gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse am verheerendsten auswirken; dabei sollten wir die Verantwortung auf die alten und neuen reichen Geber verteilen.“ Nach sorgfältiger Prüfung dieser Vorschläge überlegten einige Entwicklungsländer, ob sich in ihnen der Wunsch nach Aushandlung einer neuen Ordnung widerspiegelte oder ob sie in Wahrheit nur einen Versuch zur Rettung der alten Ordnung darstellten. Sie fanden es zum Beispiel schwierig, den Geist der Vorschläge mit dem des vorher, im Jahre 1975, eingeführten US-Handelssystems zu vereinbaren. Dieses Gesetz droht Ländern Strafmaßnahmen an, die versuchen, die Kontrolle über ihre Naturschätze durch Nationalisierungsmaßnahmen zu erlangen, und zählt Restriktionen gegen die Länder auf, die versuchen sollten, ihre Verhandlungsposition gegenüber den Industrieländern durch ein kollektives Vorgehen als Mitglieder von Rohstoffkartellen zu verbessern.
Interview mit Henry Kissinger im Time Magazine vom 27. Oktober 1975.
In Luxemburg am 14. Oktober 1975 abgehaltenes Treffen, das von vielen als „Fiasko“ bezeichnet wurde. Der niederländische Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit gab seiner Enttäuschung darüber Ausdruck, daß keine Ergebnisse erzielt worden waren und bezog sich auf die „harte“ Haltung einiger EWG-Länder.
Renmin Ribao, Honggi und Jiefangjun Bao: Nothing is Hard if you Dare to Scale the Heights, Leitartikel zum Neujahrstag 1976, Peking.
L’Unità, Rom, Dezember 1974.
Special Task Force of Third World Forum: Proposals for a New International Economic Order, Mexiko, 21.-24. August 1975.
Auf viele Länder der Dritten Welt trifft es einfach nicht zu, daß bei einer Zunahme der Güter und Dienste im System diese sich so umverteilen lassen, daß ein größerer sozialer Nutzen erzielt wird. Dies liegt an wenigstens drei Gründen: 1. verfügen die armen Länder nur über dürftige Instrumente zur Einkommensumverteilung. Der Anwendungsbereich des Steuersystems ist allgemein sehr begrenzt. Selbst bei einer extrem ungleichen Einkommensverteilung läßt sich über die direkte Besteuerung wenig erreichen. Selbst wenn zum Beispiel in Indien 60 % des Einkommens 20 % der Bevölkerung zufließen, bedeutet dies immer noch ein Pro-Kopf-Einkommen von 300 $ für die Reichen; damit liegen sie noch immer unter der Besteuerungsgrenze von 400 $. Mit anderen Worten, Einkommensübertragungen von einem Sektor auf den anderen lassen sich über den Besteuerungsmechanismus in den armen Ländern nur in sehr beschränktem Maße durchfuhren. 2. erfolgen Einkommensströme nicht immer in Form von Geld, sondern häufig in Form von Gütern und Diensten. Sie werden durch die anfängliche Einkommensverteilung beeinflußt. Wenn die Gesellschaft ihr Einkommen nun in Form von Luxusvillen und Autos erhöht hat, wie soll man diese in billige Wohnungen und öffentliche Verkehrsmittel verwandeln, wenn man von der direkten Übernahme durch die Armen absieht? 3. sind die Institutionen, die das Wachstum erzeugen, hinsichtlich seiner Verteilung nicht neutral. Wenn also die Wachstumsinstitutionen durch starke Disparitäten beim Landbesitz und durch Konzentration des Industrievermögens gekennzeichnet sind, wird der Wachstumsprozeß sie weiter stärken, und sie werden allen Versuchen widerstehen, ihnen Macht und Privilegien durch methodische Reformen zu nehmen.
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© 1977 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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Tinbergen, J. (1977). Fortschritte bei den Verhandlungen um eine neue Ordnung. In: Wir haben nur eine Zukunft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83714-1_4
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-83714-1_4
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