Zusammenfassung
Schon in den frühen Grammatiken und Gesprächsbüchern in den Sprachen des Baltikums, d. h. seit dem 17. Jahrhundert, tauchen hin und wieder kleinere Folkloretexte, Sprichwörter, Rätsel oder einzelne Strophen von Volksliedern auf. Sie dienen als Sprachmuster oder auch als Beweis dafür, daß in diesen Sprachen Poetisches und Philosophisch-Weises ausdrückbar sei. Bisweilen finden sich auch kleinere Lieder oder Strophen von Liedern in Berichten über Reisen durch das Baltikum, in Chroniken und anderen historischen Werken. Das Wissen um den Reichtum und die Vielfalt der Überlieferung der Volksdichtung war schon früh verbreitet und drang durch Lessing und Herder zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in das Bewußtsein einiger deutscher Dichter und Literaten. Aber Anerkennung und Wertschätzung der dichterischen Qualitäten dieser Texte durch ein größeres Lesepublikum erfolgten nur zögernd und setzten sich erst mit dem Siegeszug der Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts allgemein durch. So ist es nicht verwunderlich, daß in den baltischen Ländern einzelne Folkloretexte schon verhältnismäßig früh aufgezeichnet und in Einzelfällen auch ästhetisch hoch eingeschätzt wurden, daß aber die Mehrzahl derer, die sich mit den einheimischen Sprachen beschäftigten und an der Herausbildung der Schriftsprachen mitwirkten, den Folkloretexten sehr reserviert gegenüber standen, in ihnen den Ausdruck einer primitiven Gesinnung sahen, sie allenfalls in abgewandelter Form zu didaktischen Zwecken verwandten und bestrebt waren, an ihre Stelle Übersetzungen aus den europäischen Kunstliteraturen oder nach deren Muster in den einheimischen Sprachen neu geschaffene Texte zu setzen.
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Scholz, F. (1990). Die Sammlung von Folkloretexten und ihre Einschätzung als nationale Literatur. In: Die Literaturen des Baltikums. Abhandlungen der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, vol 80. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83713-4_7
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-83713-4_7
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-05097-3
Online ISBN: 978-3-322-83713-4
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