Zusammenfassung
Technisch-industrielle Risiken verursachen in Politik und Verwaltung neue Steuerungsprobleme. Während in vielen Politikbereichen Entstaatlichung gefordert wird, drängen die Gefahren der technischen Zivilisation den Staat zu Aufgaben, auf die er in vieler Hinsicht nicht oder nur schlecht vorbereitet ist. Schleichende Gefährdungen wie das Waldsterben gehören in diesen Kontext ebenso wie die Risiken der Gentechnologie oder nuklearer Verseuchung. Sie unterscheiden sich von herkömmlichen Katastrophen und alltäglichen Risiken industrieller Arbeit oder des Straßenverkehrs dreifach: 1. durch den hohen Grad kollektiver Bedrohung, 2. durch ihre Unsichtbarkeit und deshalb Unfaßbarkeit für den Laien, und 3. durch die Paarung von geringster Eintrittswahrscheinlichkeit mit einer im schlimmsten Fall menschheitsbedrohenden Schadenswirkung. Für den modernen liberal-demokratischen Staat ist diese Konstellation deshalb fatal, da hier eine sehr hohe Betroffenheit der Bevölkerung mit mangelnder administrativer Handhabbarkeit des Problems zusammentrifft. In gewisser Weise ähnelt die Situation der des Katastrophenschutzes vor dem Gebrauch von Feuermeldern, Maschinenpumpen und Planierraupen und der Seuchenpolitik vor Luis Pasteur und Robert Koch. Der Staat der Risikogesellschaft (Beck 1986) befindet sich in der Lage der mittelalterlichen Stadt, die einer Feuersbrunst oder einer Seuche nur durch Vorbeugung, kaum aber durch Schadensbekämpfung beikommen konnte.
“Der Laie wird die Angst vor dem Unbekannten nicht ablegen können, daher wird von ihm bei Störfällen auch keine Unterstützung zu erwarten sein. So muß die Hauptverantwortung den Fachkräften zufallen, da es ihnen nichts ausmachen wird, unbekannte Strahlenfelder selbst auszumessen, bis der grobe Verlauf der Isodosen (Linien gleicher Dosis) festliegt. Erst dann können Hilfskräfte angesetzt werden. Denn ein ausgemessenes Strahlenfeld läßt sich beherrschen so daß auch im Ereignisfalle kein Anlaß zu einer Strahlenhysterie zu bestehen braucht, wie sie von gewisser Seite geschürt wird. Es gilt daher Aufklärungsarbeit zu leisten und Hilfswillige überall zu werben, denn das Leben mit der Kernwirtschaft ist nicht mehr auf zuhalten.”
Störfalltheoretiker 19701
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Literatur
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Drexler, A., Czada, R. (1987). Bürokratie und Politik im Ausnahmefall. In: Windhoff-Héritier, A. (eds) Verwaltung und ihre Umwelt. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83683-0_4
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