Zusammenfassung
I. Daß das liberale Rechtstaatsmodell auf der in unterschiedlichen politischen Formen institutionalisierten „Trennung von Staat und Gesellschaft“ beruht hat, kann man heute nicht mehr behaupten, ohne Widerspruch zu provozieren. Gerade die Herausbildung des Staatsinterventionismus neuer Art und die damit einhergehende Veränderung des gesellschaftlichen Wahrnehmungshorizonts hat die Sensibilisierung auch für die historischen, von der politischen und juristischen Theoriebildung früherer Epochen eher vernachlässigten Interventionsphänomene gesteigert. Ist nicht alles schon einmal dagewesen? Man denke nur an die preußischen Staatsmanufakturen, den Eisenbahnbau, Bismarcksche Sozialpolitik, die Einwirkungen ökonomischer Interessengruppen auf die preußisch-deutsche Wirtschaftspolitik und viele andere Beispiele. Ist nicht die Ablösung des „Trennungsdenkens“ durch ein „Interdependenzmodell“ (Assmann 1980b, 157) nur der längst überfallige, durch die quantitative Zunahme des Staatsinterventionismus bloß beschleunigte Abschied von einer immer schon realitätsfremden Dichotomie? So richtig der Hinweis auf die erhebliche Zahl staatlicher Interventionen in die ökonomische Struktur auch der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ist, so falsch und folgenreich für eine theoretisch informierte Begriffsbildung wäre der Schluß, daß unter den Bedingungen der Gegenwart der Staatsinterventionismus nur stärker zutage getreten wäre. Die ökonomischen Funktionen des Staates früherer Epochen sind ja z. B. von einem Otto Mayer nicht einfach übersehen worden, aber ihre weitgehende Zuordnung zum „fiskalischen Bereich“, in dem der Staat wie ein „Privatmann“ handelt, beruht eben auf der Vorstellung, daß der Staat damit den eigentlichen, durch die Form des staatlichen (Ordnungs-)Rechts zwar strukturierten, aber nicht materiell determinierten Bereich der ökonomischen Handlungsfreiheit und Gleichheit der Rechtssubjekte nicht tangiere. Dem wirtschaftlichen Staatsinterventionismus alter Art liegt — soweit es sich nicht um polizeistaatliche Residuen handelt — ein nicht nur im Reich der Ideen verbleibendes, sich vielmehr auch institutionell selbst definierendes und verwirklichendes Handlungsparadigma zugrunde, das sich auf den im Medium des Tausches über die individuellen Rechtssubjekte vermittelten Selbstvollzug der Vergesellschaftung bezieht. Daß der Staat als „Fiskus“ seinerseits in diesem Medium kommunizieren kann, bestätigt nur die Neutralität des Formalrechts: Die prinzipielle Trennung der Verwaltung von den ökonomisch handelnden Rechtssubjekten beschränkt die möglichen Grenzüberschreitungen durch die Form der Privatautonomie, hindert ihn aber nicht daran, in der Maske des Privatmanns von ökonomischer Handlungsfreiheit Gebrauch zu machen.
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Ladeur, KH. (1982). Verrechtlichung der Ökonomie — Ökonomisierung des Rechts?. In: Gessner, V., Winter, G. (eds) Rechtsformen der Verflechtung von Staat und Wirtschaft. Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, vol 8. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83661-8_4
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