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Zusammenfassung

Gesundheit und Krankheit sind fundamentale Differenzierungskategorien menschlichen sozialen Lebens; mittels der Kategorien “gesund” und “krank” beziehen sich Personen einer Gesellschaft auf physische Phänomene, aber auch auf Handlungs-, Verhaltens- und Erlebensaspekte, die sich als Resultate sozialer Formung verstehen lassen, darin auch Ergebnisse einer Auseinandersetzung mit und Aneignung von Dimensionen der (eigenen) Natur sind. Als solche sind es normative Begriffe, die ihre Grundlage in der Biologie des Menschen und seiner Leiblichkeit (als reflexives Verhältnis (1)) haben, dabei aber im zunehmendem Maße (wieder) auf psychische Prozesse bezogen werden (2). Der “Doppelcharakter” von Krankheit, “organisches Prozeßgeschehen und soziale Lebensform” (Keupp 1976, S. 19) gleichzeitig zu sein, verweist darauf, daß Krankheit in vielfältiger Weise sozialen Definitions- und Interpretationsprozessen unterliegt.

Es muß etwas mit ihm los sein denn so würde er sich nicht verhalten wenn nichts wäre also verhält er sich so weil etwas mit ihm los ist Er glaubt nicht, daß etwas mit ihm los ist weil ein Teil von dem, was mit ihm los ist ist, daß er nicht glaubt, daß etwas mit ihm los ist also müssen wir ihm helfen zu erkennen, daß die Tatsache, daß er nicht glaubt, daß etwas mit ihm los ist ein Teil von dem ist, was mit ihm los ist

(Laing 1972, S. 11)

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Notes

  1. Der Begriff der “Leiblichkeit” bezieht sich auf das von Plessner herausgestellte dialektische Verhältnis von “Körper sein” und “Leib haben”, fokussiert also die Aneignungsform der eigenen Natur. Diese wird in intersubjektiven Prozessen konstituiert; vgl. dazu W. Fischer 1982.

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  2. Vor allem in den sog. einfachen Gesellschaften wurde zwischen körperlichen und geistigen oder psychischen Krankheiten nicht scharf unterschieden; Krankheiten werden als “symbolischer Ausdruck innerer Konflikte oder gestörter Beziehungen zu anderen betrachtet, oft auch von beidem” (Frank 1985, S. 82).

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  3. Manning und Fabrega 1973, Fabrega 1974, Dubos 1965, Keupp 1976, etwas anders gerichtet auch Devereux 1974, Frank 1985.

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  4. Jedwede Definition von “Gesundheit” enthält normative Definitionselemente, die insbesondere dann problematisch werden, wenn sie inhaltlich gefüllt werden. Vor allem in bezug auf den Begriff der “geistigen Gesundheit” dürfte der “(…) Unsinn, der mit dieser (…) Kategorie getrieben worden ist, (…) kaum zu überschätzen sein” (Dreitzel 1980, S. 12). Dreitzel illustriert sehr nachhaltig diesen “Unsinn” an verschiedenen Definitionsversuchen in den amerikanischen Sozialwissenschaften sowie in der Diskussion von E. Fromm. Fromm schreibt: “Geistige Gesundheit ist durch die Fähigkeit zu lieben und zu schaffen gekennzeichnet, durch die Lösung von inzestuösen Bindungen an Sippe und Boden, durch das Gefühl der Identität, das auf der Selbsterfahrung als Subjekt und Agent der eigenen Kräfte beruht, durch einen Sinn für Realität innerhalb und außerhalb unserer Selbst, das heißt: durch die Entwicklung von Objektivität und Vernunft” (Fromm 1955, zit. nach Dreitzel, a.a.O. S. 10). Anhand der verschiedenen Definitionen bzw. Definitionsversuche kommt Dreitzel zu dem Ergebnis, daß darin “allein die allen Autoren gemeinsame Ideologie der Anpassung mit ihrem harmonischen, konfliktlosen und primitiv konformistischen Gesellschaftsbild (deutlich wird R.G.). Freilich unterscheidet sich Erich Fromm von ihnen nur dadurch, daß seine Sozialutopie weniger konservativ ist und schon durch ihre Verbindung mit einer Analyse des Kapitalismus ein höheres Niveau besitzt. Der Begriff der’ geistigen Gesundheit’ aber ist bei ihm nicht weniger verschwommen” (a.a.O., S.13). Die Definition von Canguilhem vermeidet diesen inhaltlichen Bezug, bezieht sich auch nicht dezidiert auf “geistige Gesundheit”, sondern generell auf die Fähigkeit des Individuums, sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen.

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  5. Daß dies keineswegs selbstverständlich ist, zeigt Göckenjan (1985) in einem historischen Zugriff: “Die historischen Streifzüge haben gezeigt, daß Gesundheit und Medizin in den älteren Sichtweisen nicht zusammen gehörten, geradezu entgegengesetzte Konzepte sind. (…) Die Medizin macht in der bürgerlichen Welt auf sich aufmerksam, nicht, weil sie manche Krankheiten heilen kann, weil sie Mittel kennt, die Schmerzen lindern — das können auch andere (…). Die Medizin (…) macht auf sich aufmerksam, weil sie für die gegenständliche Natur der Menschen ein Modell entwickelt, das diesseitige Erlösung hoffen läßt” (a.a.O., S. 407).

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  6. Die Ausdifferenzierung eines medizinischen Systems ist auch eine Grundlage des Parsonsschen Modells der “Krankenrolle” (Parsons 1968). Gesundheit ist bei ihm definiert als “der Zustand optimaler Leistungsfähigkeit (…) für Erfüllung der Aufgaben und Rollen, für die ein Individuum sozialisiert worden ist” (a.a.O., S. 344). Gesundheit ist damit definiert im Hinblick auf die Beteiligung des Individuums am sozialen System. Krankheit ist “abweichendes Verhalten” und als solches illegitim. Sie wird nur dadurch teilweise und bedingt legitimiert, daß das Individuum der Anforderung der Krankenrolle nachkommt. Krankheit ist bei Parsons “ein sozial institutionalisierter Rollentyp (…) charakterisiert durch die ihr zugeordnete verallgemeinerte Störung der Fähigkeit des Individuums zur normalerweise erwarteten Aufgaben-und Rollenerfüllung (…)” (a.a.O., S. 345). Für die Rolle des Kranken gilt, daß der Betroffene als für seine Krankheit nicht verantwortlich gesehen wird und deshalb zeitweilig von seinen üblichen Pflichten entbunden ist. Zugleich ist er aber verpflichtet, sich aktiv um seine Genesung zu bemühen und kompetente Hilfe zu suchen, mit den medizinischen Instanzen bzw. dem Arzt zu kooperieren und aktiv zusammenzuarbeiten. Indem der Kranke in eine systematische Beziehung zu den therapeutisch-klinischen Instanzen gebracht wird, ist die Krankenrolle verbunden mit einer Position der Abhängigkeit (a.a.O., S. 348).

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  7. Damit gerät ihr z.T. auch ihre eigene Geschichte aus dem Blick, wie sie in den sozialmedizinischen Denkfiguren (z.B. Virchow, Grotjahn) angelegt ist; vgl. dazu Dep-pe/Regus 1975. Ansätze zu einer differenzierten Sichtweise hat es in der Medizin immer wieder gegeben, ohne daß sich diese jedoch durchsetzen konnten. Zu einem dem naturwissenschaftlichen Paradigma verbundenen und dies gleichzeitig reflektierenden Krankheitsbegriff vgl. Rotschuh 1975.

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  8. Gleichzeitig wird “Gesundheit” zu einem “Wert ohne Maß” (Luhmann 1983); so definiert die Weltgesundheitsorganisation “Gesundheit” als einen “Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens” (WHO Definition 1980).

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  9. Einen Überblick geben Brede 1974, von Uexhüll 1979, Zepf 1981, wobei letzterer zugleich auch konstatiert, wie oberflächlich psychosomatische Medizin bislang rezipiert worden ist: “Durchaus werden die psychosomatischen Abteilungen heute an universitären Institutionen toleriert, allerdings nur solange, wie der praktisch ausschließlich naturwissenschaftliche Zugriff auf die menschliche Krankheit durch sie nicht in Frage gestellt wird, die Belange der klinischen Kernbereiche, der inneren Medizin und der Chirurgie, durch ihre Existenz nicht beeinträchtigt werden, solange also, wie alles beim alten bleibt. Jeder Kliniker, der etwas auf sich hält, wird heute in Vorlesungen, Festvorträgen, auf Fortbildungsveranstaltungen und im Unterricht am Krankenbett zwar betonen, wie wichtig der “psychosomatische Aspekt” sei. In seiner Alltagspraxis jedoch bleibt er unverändert einer strikt somatologischen Sicht auf menschliche Krankheit verpflichtet. (…) Der Geist der Kliniken als Forschungs-, Lehr-und Behandlungsstätte (…) bleibt von den gleichsam mit einer “Cosmetic pad” aufgetragenen psychosomatischen Farbtupfern unberührt, die im übrigen, den Regeln guter Kosmetik entsprechend, äußerst sparsam appliziert werden. Die personellen, sachlichen und finanziellen Aufwendungen für die somatischen Bereiche der klinischen Medizin dürfen jedenfalls durch die Bedürfnisse der psychosomatischen Medizin nicht eingeschränkt werden” (a.a.O., S. 13f.).

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  10. Vgl. dazu Abholz 1976, Geissler/Thoma 1979, Badura 1983.

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  11. Die These, daß es sich bei Geisteskrankheiten um Krankheiten im konventionellen medizinischen Sinn handelt, ist sehr polemisch und engagiert von Szasz, selbst Psychiater, angegriffen und zurückgewiesen worden (Szasz 1961, 1963 u. 1973). Er bestreitet einmal die Möglichkeit von Kausalerklärungen psychischer Störungen aufgrund von Erkrankungen des Nervensystems und zeigt zum anderen auf, daß der “Mythos der Geisteskrankheit” den Blick verstelle auf die soziale Genese von Geisteskrankhciten bzw. darauf, daß es sich hierbei vor allem um “problems in Irving” handelte (Szasz 1973, S. 23).

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  12. Vgl. dazu vor allem die umfassenden Studien von Foucault (1969) und Dörner (1969).

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  13. Voraussetzung dafür ist die gesellschaftliche Konstruktion des “Geisteskranken”, wie sie sich im Übergang zum 19. Jahrhundert vollzieht; vgl. dazu Foucault 1969, Dörner 1969, Castel 1979.

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  14. Der entscheidende Problembereich, um den es hier geht, liegt dabei nicht darin, daß es nicht auch “Geisteskrankheiten” aufgrund hirnpathologischer Befunde gibt; hier geht es vor allem um jene “Geisteskrankheiten” im Sinne von emotionaler Gestörtheit und/oder verstandesmäßiger Verwirrung, wie sie in der Psychopathologie unter dem Namen der “Psychosen”, des “schizophrenen” und “manisch-depressivem Formenkreis” verhandelt werden und für die eine organische Verursachung angenommen wird, ohne daß ein solcher Nachweis bislang erbracht werden konnte.

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  15. Die Gleichsetzung von somatischen und psychischen Krankheiten ist dabei nie voll gelungen; insbesondere die Diagnose erweist sich als ein vieldeutiger Prozeß. Die wichtigste Kompetenz der Ärzte scheint nämlich in Intuition und Beobachtungsgabe zu liegen, d.h. objektivierbare Kriterien, um “unanschauliche psycho(patho)logische Gegebenheiten” abzulesen “am Ausdruck und Verhalten des Patienten” (Bauer u.a. 1980, S. 1) sind kaum gegeben. Kritisch dazu: Rosenhan 1973, Dörner 1975, Schied/Finzen 1977.

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  16. Vor allem in den Analysen von Foucault (1969), Dörner (1969), Köhler (1977), Castel (1979) wird der politische Charakter der psychiatrischen Intervention als soziale Kontrolle aufgewiesen.

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  17. An dieser Stelle sei nur auf den “Abriß der Psychoanalyse” (Freud 1941, Bd. 18) hingewiesen, wo die grundlegenden Thesen zusammengefaßt sind. Die Bedeutung Freuds in der Geschichte der (dynamischen) Psychiatrie wird indes aus seinen eigenen Arbeiten kaum deutlich; hier ist insbesondere auf die Arbeit von Ellenberger (1985) hinzuweisen. Mit der Psychoanalyse verbindet sich nicht nur eine neue Perspektive auf psychische Störungen und eine neue Behandlungsmethode, sondern auch eine massive Kritik der normativen Struktur der eigenen Kultur, insbesondere hinsichtlich der Regelung der Sexualität. Nicht zuletzt dies dürfte zu der zunächst einsetzenden Abwehr und massiven Ablehnung der Theorie Freuds beigetragen haben.

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  18. Quer zur Psychoanalyse entwickelten sich in der (klinischen) Psychologie konkurrierende Konzepte, in denen vor allem der Gesichtspunkt des Lernens betont wurde sowie eine Reihe von “Mischkonzepten”, die sowohl den (Sozial-)Behaviorismus als auch die orthodoxe Psychoanalyse ablehnten und in der Kritik beider eine dritte Psychologie zu errichten suchten (“Humanistische Psychologie”). Hier wird von einer sehr viel weniger strikten Trennung von Gesundheit und Krankheit ausgegangen, werden die Grenzen fließend konzipiert. Diese sehr elastische “soziale Konstruktion” von psychischer Störung verführt gleichzeitig zu der Annahme, daß “jedes Verhalten behandelt werden kann, auch wenn die Person, die zum Gegenstand dieser Behandlung bestimmt ist, nicht an Geistesstörungen im traditionellen Sinn leidet und relativ gut toleriert wird” (Jervis 1978, S. 108). Dem Aufstieg der Psychologie und dem Prozeß ihrer Professionalisierung werden diese Bemerkungen natürlich in keiner Weise gerecht; diese verkürzte Betrachtung ist lediglich dadurch zu rechtfertigen, daß im Mittelpunkt dieser Arbeit nicht die verschiedenen (psychologisch begründeten) Therapieansätze stehen, sondern die Institutionalisierungsformen, in denen sich die Bearbeitung psychischer Störung vollzieht. Zum Professionalisierungsprozeß der Psychologie vgl. Obermeit 1980 und Ottersbach 1980.

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  19. Auch dies ist eine systematische Vereinfachung, die jedoch auf die Mehrzahl der psychologischen Ansätze bezogen werden kann.

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  20. Vgl. dazu auch Kap. 1.2. Klassische Studien im Rahmen eines solchen Untersuchungsansatzes sind Dunham/Faris 1939 und Hollingshead/Redlich 1958, eine zusammenfassende Übersicht findet sich in: Dohrenwend/Dohrenwend (1981). Zur kritischen Diskussion der Ansätze vgl. Keupp 1972, S. 12ff.

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  21. Klassische Texte: Lemert 1951, Becker 1964 u. 1973, Matza 1969, Goffman 1972, Scheff 1973, Schur 1973, Davis 1975; den Klassikern schließt sich eine Flut von Einzelveröffentlichungen und Sammelbänden sowohl im englischen als auch im deutschen Sprachraum an, auf deren Bibliographie hier verzichtet werden kann. Eine kritische Aufarbeitung in: Keckeisen 1974, Ferchhoff/Peters 1981, Albrecht 1982, Steinert 1985.

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  22. Es gibt kaum eine Darstellung, die das Gemeinte besser kennzeichnet als Goff-mans Abhandlung zum “Normalitätsschauspiel” (Goffman 1974), in dem die Handelnden wechselseitig nach “Alarmzeichen” Ausschau halten, nach Anzeichen dafür, daß der andere ihnen mißtraut, während das eigene Mißtrauen verborgen wird und es gleichzeitig vermieden wird, selber Alarmzeichen zu setzen, um die eigene “Normalität” nicht in Frage stellen zu lassen. Im Verhalten “Normalität” zu produzieren, bedeutet vor allem, keine besondere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, als jemand zu gelten, für den besondere Kontrollen unnötig und überflüssig sind. “Mead hatte nur darin unrecht, daß er glaubte, die einzigen relevanten Anderen wären diejenigen, die dem Individuum anhaltende und besondere Aufmerksamkeit zu schenken bereit seien. Es gibt jedoch noch andere Andere, nämlich jene, die ein Interesse daran haben, in ihm jemand zu finden, der nicht alarmierend ist und dem sie keine Aufmerksamkeit zu schenken brauchen, damit sie sich ungestört anderen Angelegenheiten zuwenden können. Das Individuum muß also teilweise für es selbst zu jemandem werden, dessen Erscheinung die ihm gegenüberstehenden anderen als normal ansehen können. Die Fähigkeit als jemand zu erscheinen, der ohne Gefahr unbeobachtet gelassen werden kann, ist tief verwurzelt. Es gibt nichts, was tiefer, nur einiges, was genauso tief verankert ist” (Goffman 1974, S. 367).

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  23. Der Karrierebegriff ist vor allem durch Becker und Goffman verbreitet worden.

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  24. Nicht zuletzt dies rief Kritik an der Etikettierungstheorie hervor, zugespitzt in der Formulierung, daß das handelnde Subjekt hier auf einen “Reaktionsdeppen” reduziert werde; vgl. von Trotha 1977.

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  25. Der Paradigmabegriff wird hier im Sinne Kuhns (1967) gebraucht, meint mit diesem, daß theoretische Modelle auf dem Konsensus relevanter Fachgruppen beruhen. In diesen werden Plattformen geschaffen, “die von einer bestimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft als Grundlage für ihre weitere Arbeit anerkannt werden” (a.a.O., S.28).

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  26. Diese “Medizinalisierung” ist vor allem im Bereich der Kinderpsychologie auffällig; vgl. dazu Keupp 1982, Box 1981, Conrad/Schneider 1980.

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  27. Schon Jaspers hat in seiner “allgemeinen Psychopathologie” die Schwierigkeiten einer medizinischen Bestimmung von Gesundheit und Krankheit in diesem Bereich folgendermaßen gekennzeichnet: “Was gesund und was krank im allgemeinen bedeutet, darüber zerbricht sich der Mediziner am wenigsten den Kopf (…) Was krank im allgemeinen sei, das hängt weniger vom Urteil der Ärzte, als vom Urteil der Patienten ab und von den herrschenden Auffassungen der jeweiligen Kulturkreise” (Jaspers 1942, S. 652). Gemeinsam ist den verschiedenen Bedeutungen des Begriffs Krankheit, ein virtuelles Werturteil zu sein: “Krank heißt unter irgendeinem, aber keineswegs immer gleichen Gesichtspunkt schädlich, unerwünscht, minderwertig” (ebd.). “Krank ist ein allgemeiner Unwertbegriff, der alle möglichen Unwerte umfaßt” (a.a.O., S. 655).

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  28. Einen Überblick gibt: Reimann 1973, sowie Heinrich/Müller 1980.

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  29. Vgl. dazu z.B. Mutz 1983, Bonß u.a. 1985, Wambach u.a. 1980, Wambach 1983, Hellerich 1985. Die Dimension sozialer Kontrolle ist auch bei Castel 1979, Castel u.a. 1982 zentral.

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  30. Dabei gehen wir davon aus, daß nicht nur in der “Selbstgefährdung”, sondern auch in der “Fremdgefährdung” — so die wesentlichen offiziellen Einweisungsgründe in die Psychiatrie — Leiden liegt und Leiden erwächst; dies wird allerdings dann problematisch, wenn auf Seiten der Abweichenden kein subjektiver Leidensdruck vorliegt. Hier ist jedoch ein Bereich angesprochen, in dem es um die Grenzziehung zwischen Strafrecht und Psychiatrie geht, ein Bereich, den wir hier nicht weiter verfolgen können. Vgl. dazu Eisenbach-Stangl/Stangl 1984.

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  31. Der Versatz mit Theoriestücken marxistischer Gesellschaftskritik wie z.B. bei Cooper (1972) hebt diese Beschränkung nicht auf; hier wird lediglich “Familie” und “Kapitalismus” in der Form in bezug zueinander gesetzt, daß die Familie die zentrale Vermittlungsinstanz für Unterdrückung, Ausbeutung und Entfremdung in der kapitalistischen Gesellschaft sei.

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  32. So z.B. Lidz, der zwar durchaus sieht, daß die Familienformen gesellschaftlich geprägt sind — die Abweichungen davon aber werden in die Individuen verlegt, ihrer gesellschaftlichen Genese kommt keine Aufmerksamkeit zu (z.B. Lidz 1976, S. 79).

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  33. In “Die widerspenstigen Puritaner” weist Erikson in einer Analyse historischen Materials (den drei “Verbrechenswellen”, die eine puritanische Kolonie im ersten Jahrhundert ihres Bestehens durchlief) auf, wie sehr die Arten der Abweichung mit den kulturellen Grenzen zusammenhängen; Abweichung wird hier nicht nur als negative Regelverletzung aufgefaßt, sondern — in der Tradition von Durkheim und G.H. Mead — als positive Funktion, durch die bestehende Normen verstärkt werden, gleichzeitig auch als Bedingung sozialen Wandels. Die Grenze zwischen “Verbrechen” und “psychischen Störungen” wird hier nicht gezogen, sie ist gesellschaftlich nicht ausdifferenziert. Die drei “Verbrechenswellen” beziehen sich auf den “Antinomistenstreit”, die “Invasion der Quäker” und auf den “Hexenwahn” bzw. die “Hexenverfolgung”. Die These, daß jede Gesellschaft den ihr charakteristischen Stil abweichenden Verhaltens hat, daß “jede ihre eigenen Mechanismen (hat), um Menschen für die Positionen der Abweichler zu nominieren und um den Personenverkehr zu den Grenzpositionen und zurück zu regeln” (Erikson 1978, S. 171), verweist auf die Bedeutung kulturvergleichender Untersuchungen für den gesamten Bereich der Abweichungen, auch für den der “psychischen Störungen”.

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  34. Eine neuere Analyse dieses Prozesses im Kontext einer Beratungsstelle hat U. Bittner (1981) auf der Grundlage einer Konversationsanalyse von Erstgesprächen erstellt.

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  35. Manche Schätzungen gehen sogar bis zu 80 Prozent — so zitiert in Keupp (1981, S. 35). Bei den epidemiologischen Arbeiten sind jene, die in den Kliniken selbst erstellt werden, d.h. die Raten Behandelter erfassen, von jenen zu unterscheiden, die als Feldstudien angelegt sind und die die “wahre Prävalenz” der psychischen Störung in der Bevölkerung zu erfassen suchen. Solche Studien sind bislang dünn gesät. Dazu: Finzen/Schädle-Deininger 1979, Wittchen 1980, Hinterhuber 1982, Schepank 1982, Schepank 1984, Weyerer/Dilling 1984, Dilling/Weyerer/Castel 1984; für die USA: Dohrenwend u.a. 1980.

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  36. Hier gilt eine ähnliche Problematik wie bei praktisch allen Statistiken — sei es die Kriminalstatistik oder die Armutsstatistiken. Statistische Erhebungen sind nicht mehr oder weniger objektive Abbildungen gesellschaftlicher Realität, sondern Ergebnis eines je spezifischen Herstellungsprozesses. Auch psychische Störungen gehören zu der Kategorie “soziale Probleme” und unterliegen denselben Entstehungs-und Prozedie-rungsbedingungen, in die zudem eine Vielzahl von unterschiedlich motivierten (standes-und professions-)politischen Interessen eingehen. Vgl. dazu: Spector/Kitsuse 1977, sowie Kitsuse/Cicourel 1964. Zur kritischen Diskussion der Sozialepidemiologie vgl. Keupp 1972, S. 12ff., 1981 u. 1982.

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  37. In diesem Zusammenhang wird immer wieder die “Arbeitslosigkeit” als Risikogröße bestimmt; gleichzeitig jedoch wächst das Risiko mit Belastungen durch Arbeit. D.h. das Krankheitsrisiko steigt sowohl durch die Arbeit als auch ohne Arbeit. Vgl. dazu die Diskussion der “Belastungsmodelle” bei Bonß/Keupp/Koenen 1984.

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  38. Im Unterschied zu den hier aufgerufenen Studien kommen Huber u.a. (1979) dagegen zu dem Schluß, daß gerade in dem Bereich schwerer psychischer Störungen die Schichtvariable ätiologisch keine Rolle spielt. Das gehäufte Auftreten schizophrener Erkrankungen in unteren Sozialschichten wird von ihm vielmehr als Folge eines sozialen bzw. ökonomischen Ausgliederungsprozesses während des Krankheitsverlaufs verstanden.

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  39. Die Interpretationen, die auf der Basis solcher Korrelationsstatistiken gemacht werden, sind außerordentlich weitreichend: sie reichen von der “Erklärung” der schichtspezifischen Verteilung durch den “Mechanismus sozialer Selektion”, daß nämlich die “natürliche” gesellschaftliche Auslese dazu führe, daß sich in den unteren Schichten eben jene Menschen sammelten, die die ungünstigste konstitutionelle Ausstattung aufwiesen, über die “Victimisierungshypothese” (die Lebensbedingungen der Unterschicht liegen über dem Wert zumutbarer Belastung) bis hin zu immer weiter differenzierten Thesen wie z.B. der “Verletzbarkeitshypothese” oder der Hypothese “additiver Belastung”. In den letzteren wird angenommen, daß die soziale Lebenslage einer Person Konsequenzen hat für die systematisch produzierten Belastungen, für die sozialen Ressourcen und auch für die persönlichen Möglichkeiten, auf die Belastung zu reagieren. Vgl. dazu Keupp 1982, S. 27ff., sowie Faltermeier 1982.

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  40. Brenner hat dabei vor allem die psychiatrische Verarbeitung der mit der Konjunkturschwankung steigenden ökonomischen Belastung (steigende Arbeitslosigkeit) untersucht, weniger die handlungsmäßige Verarbeitung durch die betroffenen Individuen.

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  41. Wir verstehen hier sowohl Struktur als auch Inhalt von Identität als subjektiven Niederschlag und Verarbeitung der realen Beteiligung am sozialen Leben, d.h. als Ausdruck eines sozialen Musters, einer sozial lebbaren und lizensierten Form von Orientierung, Selbstverständnis und Handeln. Die Formationen von Identitäten reflektieren mithin wesentliche Strukturen und Inhalte von Institutionalisierungen und Vergesellschaftungsprozessen. Vgl. dazu Gildemeister/Robert 1987. Die folgenden Ausführungen im Text lehnen sich — z.T. wörtlich — an die dortigen Ausführungen an.

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  42. Schon Durkheim (1973, Orig.: 1897) sah in seiner bahnbrechenden Studie zum Selbstmord in der Schwächung der sozialen Bindungen und in den Veränderungen der Integrationsform die “sozialen Gründe” des Suizids; dabei gehen seine Ausführungen sowohl in die Richtung einer kausalen Interpretation als auch in die Richtung einer Morphologie. Seine kausale Interpretation bezieht sich ausschließlich auf die Ätiologie der Suizidrate: die “sozialen Gründe” erklären nicht den einzelnen Suizid bzw. wer ihn begeht.

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  43. Man wird — sieht man in die sozialgeschichtliche Literatur — kaum davon ausgehen können, daß sich in den letzten 100 Jahren die aus den Lebenslagen resultierenden Belastungen “objektiv” erhöht haben. Sie haben sich allerdings offenbar auch nicht vermindert, sondern vor allem verschoben.

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  44. Im Zusammenhang mit depressiven Syndromen steigen auch die Suizidraten (Suizid und Suizidversuche) — in einer auf das Mannheimer Gebiet bezogenen Untersuchung wurde ein Ansteigen der Suizidquoten zwischen 1967 und 1976 um etwa 100 Prozent festgestellt. Vgl. Will 1985 und die dort aufgerufenen Quellen.

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  45. Die hier diskutierten Ansätze von Problemlösungen beziehen sich auf die institutionelle Form, in der sie sich vollziehen, nicht auf inhaltliche Fragen der Therapie psychischer Störungen. Der in der neueren Zeit konstatierten “Inflation der Therapie-formen” (Nagel/Seifert 1979), in vielen Fällen ein pragmatischer Eklektizismus unterschiedlichster Ansätze, ist jedoch gemeinsam, daß sie sich auf bestimmte institutionelle Formen stützt, bzw. sich in bestimmten institutionellen Formen vollzieht, ohne daß deren Bedeutung i.d.R. in den sich ausdifferenzierenden therapeutischen Ansätzen, Modellen und Praktiken reflektiert wird. Einen Überblick über verschiedene Therapieansätze geben Frank (1985) sowie Kovel (1977).

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  46. Vgl. hierzu auch die Analyse Sculls (1980), der zeigt, daß bereits im 19. Jahrhundert eine Dekarcerationsbewegung bestand, die sich jedoch zu dieser Zeit nicht durchsetzen konnte.

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  47. Vgl. auch hier die großen sozialgeschichtlichen Analysen von Dörner 1969, Foucault 1969, Köhler 1977. Eine besondere Rolle spielt dabei die von allen hervorgehobene “Arbeitstherapie”.

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  48. Die Diskussion in der Bundesrepublik erweist sich dabei als stark “importgeprägt” (Bonß u.a. 1985, S. 19); die grundlegenden Ideen kamen aus den USA (“community mental health centers”), Großbritannien (die Antipsychiatrie Coopers, sowie die Versuche zu therapeutischen Wohngemeinschaften bei Laing), Italien (Auflösung der Anstalt; “demokratische Psychiatrie”, Basaglia, Jervis) und Frankreich (vor allem Foucaults ideologiekritische Diskursanalysen). Der Verlauf und die Diskussion des Verlaufs der Psychiatriereform in der Bundesrepublik Deutschland hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß eigene Reformideen fehlten, so daß vielfach aus angloamerikani-scher, italienischer und/oder französischer Perspektive über die Reform geredet wurde. Die Gestalt des Reformvorschlags selbst erweist sich als Mixtur unterschiedlichster Ansätze — als eine “bunte Speisekarte” (Rebell 1976, S. 116) von Verbesserungsvorschlägen.

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  49. Einen Überblick über die kritische Einschätzung der Psychiatrie-Enquete gibt Mutz 1983, S. 249-262.

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  50. Dabei erweist sich die Enquete freilich in Konzept und Umsetzung auch als abhängig vom bestehenden System der Sozialversicherung und den dort festgelegten Definitionen von Gesundheit und Krankheit; vgl. dazu B. Riedmüller 1978 u. 1981.

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  51. Vgl. dazu Wolff 1978 sowie Bonß u.a. 1985, S. 195ff.

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  52. Vgl. dazu die Institutionenanalyse eines ambulant arbeitenden Sozialpsychiatrischen Dienstes bei Bonß u.a. 1985, S. 193–276. Die hier verfolgte Frage, inwieweit mit der Entstehung dieses neuen Institutionentypus ein “neuer”, ein “sozialpsychiatrischer” Handlungstyp entstanden ist, läßt vor allem eine neue Form der “Fürsorge” sichtbar werden, die zwar auf die harten Formen der (bürokratischen) Kontrolle nicht verzichten kann, aber primär in der persönlichen Dimension realisiert wird, durch persönliche Abhängigkeit der Klienten gekennzeichnet ist.

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  53. Die hier anzusiedelnde Diskussion um eine immer subtiler werdende soziale Kontrolle in der Therapiegesellschaft” ist dabei nicht ausgestanden; die Möglichkeit ihrer Ausdehnung und Realisierung trifft aber auf massive finanzielle und sozialpolitische Beschränkungen und Einschränkungen. Zur “Therapiegesellschaft” vgl. Castel u.a. 1982, Wambach u.a. 1980, Hellerich 1985, kritisch: Bopp 1985, sowie Eisenbach-Stangl/Stangl 1984.

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  54. Die Diskussion um das Therapieziel “Anpassung” durchzieht alle sich kritisch verstehenden Ansätze und Analysen zur Therapie bzw. zur psychosozialen Versorgung. Ein Überblick über die verschiedenen Positionen in den verschiedenen Therapieformen gibt Kovel 1973, S. 263ff. M.E. hat I. Gleiss dieses Problem auf einen Therapieform-unabhängigen Nenner gebracht, wenn sie schreibt: “Anpassung als Therapieziel (bedeutet) überhaupt nur die Herstellung der Fähigkeit, sich in bestehenden Verhältnissen zu orientieren, darin zu leben und zu arbeiten und die objektiven Widersprüche in einer Weise zu verarbeiten, die zumindest nicht die Flucht in eine Scheinwelt notwendig macht” (I. Gleiss 1975, S. 49). Wenn sie diese Bestimmung auch in einem völlig anderen theoretischen Kontext stellt und völlig anderes begründet, so hat doch Freud wohl etwas ähnliches gemeint, als er schrieb, es gehe bei der Therapie darum, “hysterisches Elend in gemeines Unglück” zu verwandeln, um sich auf dieser Grundlage besser zur Wehr setzen zu können. (Freud 1941, Bd. 1, S. 311).

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Gildemeister, R. (1989). Gesundheit und Krankheit. In: Institutionalisierung psychosozialer Versorgung. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83601-4_2

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