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Sozialgeschichte und Wirtschaftsgeschichte Abgrenzungen und Zusammenhänge

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Zusammenfassung

Was dem wissenschaftlichen Laien als die erste Aufgabe jeder Wissenschaft erscheint, ihren Gegenstand, ihre Methoden und Ziele zu definieren, gehört für den Forscher zu den schwierigsten, befriedigend kaum zu lösenden Problemen, und es hat hervorragende Wissenschaftler gegeben, die sich dieser Aufgabe niemals unterzogen haben. Der gegenwärtig häufig gehörte Vorwurf, die etablierten Wissenschaftler reflektierten nicht genung auf ihre Methoden und deren (auch gesellschaftliche) Implikationen, mag richtig sein; er zeigt jedoch weniger ein Versäumnis der Forscher an als die Tatsache, daß diejenigen, die diesen Vorwurf erheben, selbst außerhalb der wissenschaftlichen Praxis stehen. Für den Wissenschaftler pflegt die Lösung eines bestimmten Problems im Vordergrund zu stehen; er sieht seinen jeweiligen Forschungsgegenstand sehr viel konkreter als der Laie und neigt dazu, seine Methoden den jeweiligen Bedürfnissen anzupassen — oder umgekehrt, sich den Problemen zuzuwenden, deren Lösung mit den von ihm beherrschten Methoden am ehesten möglich erscheint. Die Reflexion auf die Methoden und auf den Gegenstand selbst ist wohl geeignet, ihm die Grenzen seiner Erkenntnis vor Augen zu führen, kaum jedoch, die Forschung selbst voranzutreiben, es sei denn, sie führt zu einer Entscheidung, andere Theorien zugrunde zu legen, andere Forschungstechniken zu verwenden oder das Forschungsobjekt anders abzugrenzen. Bloße Erkenntniskritik begnügt sich, wie mit Recht bemerkt worden ist, mit dem Wetzen eines Messers, ohne es zum Schneiden zu benutzen. In der wissenschaftlichen Praxis aber kommt es auf den Schnitt an, denn dieser legt das Innere bloß. Sicher ist ein gut gewetztes Messer besser als ein stumpfes, aber das Wetzen allein garantiert noch nicht den richtigen Schnitt, und der gute Praktiker wird auch mit einem nur halbwegs gewetzten Messer noch immer bessere Ergebnisse erzielen als der Theoretiker, der sich nie an einem konkreten Gegenstand abgemüht hat.

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Anmerkungen

  1. Wegen der Besonderheiten in den Ländern, in denen der Marxismus Staatsideologie ist, siehe den Beitrag von Jürgen Kocka S. 491, und seinen Artikel »Sozial-und Wirtschaftsgeschichte«, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, Bd. 5, Freiburg 1972, sowie »Theorieprobleme der Sozial-und Wirtschaftsgeschichte. Begriffe, Tendenzen und Funktionen in Ost und West«, in: Hans-Ulrié Wehler, Hrsg., Geschichte und Soziologie, Köln/Berlin 1973.

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  2. Hierzu besonders Otto Brunner, Neue Wege der Sozialgeschichte, Göttingen 1956 (2. Aufl. als »Neue Wege der Verfassungs-und Sozialgeschichte, ebd. 1968).

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  3. Ein schönes Beispiel dafür ist Rudolf Vierhaus Ranke und die Soziale Welt, Münster 1957. 4 Führend in diesen Forschungen, für den er 1971 den Nobel-Preis in Nationalökonomie erhielt, ist Simon Kuznets. Aus seinen zahlreichen Veröffentlichungen seien nur genannt: Modern Economic Growth. Rate, Structure and Spread (Studies in Comparative Economics 7), New Haven/London 1966; The Economic Growth of Nations, Total Output and Production Structure, Cambridge/Mass. 1971. Für die USA s. die zahlreichen Studien des National Bureau of Economic Research. Für Großbritannien vor allem Phyllis Deane und Wesley A. Cole, British Economic Growth 1688–1959, Trends and Structure, Cambridge 1967. Für Deutschland: Walther G. Hoffmann u. a., Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin/Heidelberg/Göttingen 1965.

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  4. Es ist hier nicht der Ort, auf die konzeptuellen und statistischen Schwierigkeiten einzugehen, die solche Arbeiten zu überwinden haben. Sie konnten z. B. für Deutschland nur durch kühne Annahmen und die Konstruktion zahlreicher Zahlenreihen geleistet werden, die in historischen Quellen selbst nicht zur Verfügung stehen. Ihre Qualität beruht auf der Sorgsamkeit mit der solche synthetischen Größen zusammengesetzt werden. Hoffmann und seine Mitarbeiter haben dabei den größten Erfindungsreichtum bewiesen, der sie aber auch der härtesten Kritik aussetzt. Kuznets, Deane und Cole sind vorsichtiger vorgegangen, haben bescheidenere, aber auch sicherere Ergebnisse erzielt.

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  5. In den 1960er Jahren ist besonders die Rolle der Eisenbahnen beim Ansatz des modernen Wirtschaftswachstums, die die traditionelle Wirtschaftsgeschichte als selbstevident ansah, kritisch untersucht worden. S. u. a. Robert Fogel, Railroads and American Economic Growth: Essays in Econometric History, Baltimore 1964. Albert Fishlow, American Railroads and the Transformation of the Ante-Bellum Economy, Cambridge, Mass., 1965. Paul H. Cootner, The Role of the Railroads in United States Economic Growth, in: Journal of Economic History 23 (1963), S. 477–521. B. R. Mitchell The Coming of the Railway and United Kingdom Economic Growth, in: The Journal of Economic History 24 (1964), S. 315–336. Deutsche Übersetzung in: Rudolf Braun, Wolfram Fischer, Helmut Groβkreuz, Heinrich Volkmann, Hrsg., Industrielle Revolution. Wirtschaftliche Aspekte, Köln/Berlin 1972, S. 356–374. Inzwischen sind mehrere Versuche unternommen worden, die gesamte amerikanische Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts unter Anwendung expliziter Wachstumsmodelle und statistischer Verfahren neu zu interpretieren. Einen Überblick über diese Literatur gibt die auf den neuesten Stand gebrachte Fassung meines Aufsatzes »Die Wirtschaftsgeschichte in den Vereinigten Staaten von Amerika. Bemerkungen zu ihrem gegenwärtigen Stand und ihren Entwicklungstendenzen«, ursprünglich in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 119 (1963), S. 377-404. Neue Fassung in: W. Fischer, Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 1), Göttingen 1972, S. 40–59. Ein Versuch, die gleichen Methoden auf England anzuwenden, ist Donald N, McCloskey Hrsg., Essays in a Mature Economy, London 1971.

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  6. Zu den Klassikern gehören außer den im Text selbst genannten »Erfindern« dieser Zyklen vor allem Arthur Spiethoff Die wirtschaftlichen Wechsellagen, 2 Bde., Tübingen 1955. W. C. Mitchell, Business Cycles and their Causes, New York 1927. Joseph A. Schumpeter Business Cycles, 2 Bde., New York und London 1939 (deutsche Übersetzung: Konjunkturen, 2 Bde., Göttingen 1953).

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  7. Wilhelm Abel, Agrarkrisen und Agrarkonjunkturen. Eine Geschichte der Land-und Ernährungswirtschaft Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter, 2. Aufl., Hamburg 1966 (1. Aufl. 1935).

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  8. G. E. Barnett Hrsg., Two Tracts by Gregory King, Baltimore 1936. A. Oncken, Hrsg., Œuvres économiques et philosophiques de F. Quesnay, Paris 1888. Izumi Hishima, The Tableau économique of Quesnay: Its Analysis, Reconstruction, and Application, in: Kyoto University Economic Review 30 (1960), S. 1–46. Leopold Krug Betrachtungen über den National-Reichtum des Preußischen Staats und über den Wohlstand seiner Bewohner, 2 Bde., Berlin 1805. C. F. W. Dieterici, Der Volkswohlstand im Preußischen Staate. In Vergleichungen aus den Jahren vor 1806 und von 1828 bis 1832, sowie aus der neuesten Zeit, nach statistischen Ermittlungen und dem Gange der Gesetzgebung, aus amtlichen Quellen dargestellt, Berlin/ Potsdam/Bromberg 1846.

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  9. S. jedoch W. Whitney, The Structure of the American Economy in the Late Nineteenth Century, New York 1973. Beispiele regionaler Studien für Deutschland sind: Friedrich W. Henning, Die Wirtschaftsstruktur mitteleuropäischer Gebiete an der Wende zum 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des gewerblichen Bereichs, in: W. Fischer, Hrsg., Beiträge zu Wirtschaftswachstum und Wirtschaftsstruktur im 16. und 19. Jahrhundert (Schriften des Vereins für Socialpolitik N.F. 63), Berlin 1971, S. 101–167. Otto Büsch, Industrialisierung und Gewerbe im Raum Berlin/Brandenburg 1800–1850. Eine empirische Untersuchung zur gewerblichen Wirtschaft einer hauptstadtgebundenen Wirtschaftsregion in frühindustrieller Zeit, Berlin 1971. Peter Czada, Die Berliner Elektroindustrie in der Weimarer Zeit. Eine regionalstatistischwirtschaftshistorische Untersuchung, Berlin 1969.

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  10. Raymond W. Goldsmith Financial Structure and Development, Studies in Comparative Economics 9, New Haven/London 1969. J. S. Bain International Differences in Industrial Structure, Studies in Comparative Economics 6, New Haven/London 1966.

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  11. S. vor allem Alfred D. Chandler Jr., Strategy and Structure, Chapters in the History of the American Industrial Enterprise, New York 1966, und die Aufsatzsammlungen von Fritz Redlich, Der Unternehmer. Wirtschafts-und Sozialgeschichtliche Studien, Göttingen 1964, und Steeped in Two Cultures. Selected Essays, New York/Evanston 1971. Für England: Sidney Pollard, The Genesis of Modern Management: A Study of the Industrial Revolution in Great Britain, London 1965.

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  12. Es ist hier nicht möglich, die große Anzahl guter, quellenmäßig fundierter und durchaus kritischer Firmengeschichten auch nur annähernd zu erwähnen. Es muß aber darauf aufmerksam gemacht werden, daß sie sehr viel größer ist, als meist angenommen wird. Erwähnt seien nur die mehrbändigen Geschichten von Standard Oil (Hidy, Larsson) Unilever (Wilson), Courtaulds (Coleman), die Geschichten einzelner Versicherungsgesellschaften und Banken, vor allem Schwedens, der Schweiz und Hollands (Søderlund, Hildebrand, Jöhr, De Jong).

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  13. Diesem Tatbestand trägt die didaktisch sehr geschickte Arbeit von Edward Shorter Rechnung: The Historian and the Computer. A Practical Guide, Englewood Cliffs, N.J., 1971, deren Ziel nicht nur ist, den Historiker, auch den politischen Historiker, in die Anwendungsmöglichkeiten des Computers in der historischen Forschung (z. B. Wahlverhalten, soziale Herkunft, Interessenbestimmtheit, Abstimmungsverhalten von Abgeordneten) einzuführen, sondern ihm auch die Angst vor dem Computer zu nehmen.

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  14. Richard Tilly, Soll und Haben. Recent German Economic History and the Problem of Economic Development, in: The Journal of Economic History 29 (1969), S. 298–319.

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  15. Knut Borchardt, Regionale Wachstumsdifferenzen in Deutschland im 19. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung des West-Ost-Gefalles, in: Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift für Friedrich Lütge, Stuttgart 1966, S. 325–339. Daran anschließend die interessanten Überlegungen des Hoffmann-Schülers Helmut Hesse, Die Entwicklung der regionalen Einkommensdifferenzen im Wachstumsprozeß der deutschen Wirtschaft vor 1913, in: W. Fischer Hrsg., Beiträge zu Wirtschaftswachstum, a.a.O., S. 261–279. Sie zeigen exemplarisch, in welcher Weise der Ökonom wirtschaftshistorische Problemlösungen argumentativ vorbereitet.

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  16. Die Möglichkeiten der »counterfactual history« hat am kühnsten bisher Robert W. Fogel in seiner Studie über die Rolle der Eisenbahnen im amerikanischen Wirtschaftswachstum erprobt, indem er nicht nur das tatsächliche »Social Saving« durch die Einführung der Eisenbahnen zu messen versucht hat (durch Transportkostensenkungen etc.), sondern auch die Möglichkeit einer »Welt ohne Eisenbahnen« theoretisch durchdacht und die daraus folgenden Veränderungen im Transportwesen (Ausbau der Kanäle und Straßen, frühere Entwicklung des Motors etc.) zu berechnen versucht hat.

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  17. Die Ergebnisse eines interessanten Versuchs, den Ozean zu überspringen und die Methoden der »New Economic History« auf England anzuwenden, hat seinen Niederschlag in dem in Anm. 6 erwähnten, von McCloskey herausgegebenen Sammelband gefunden.

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  18. Das ist das Grundanliegen von Otto Brunner Land und Herrschaft, Wien 1939, 3. Aufl., 1943, ders., Adeliges Landleben und Europäischer Geist, Salzburg 1949, sowie ders., Neue Wege der Sozialgeschichte, Göttingen 1956, bzw. »Neue Wege der Verfassungs-und Sozialgeschichte«, Göttingen 1968.

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  19. Über die Entstehung des Feudalismusbegriffs s. O. Brunners Mainzer Akademieabhandlung: Feudalismus. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte. Wiesbaden 1959. Eine engagierte Kritik an der unbedachten Verwendung des Kapitalismusbegriffs bietet Friedrich A. v. Hayek, Hrsg., Capitalism and the Historians, Chicago 1954.

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  20. S. bes. seine Auseinandersetzung mit Heinrich Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters, Weimar 1940, 4. Aufl. 1953.

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  21. Die Problematik der Verwendung solcher Begriffe im Unterschied zu sowohl genaueren wie auch neutraleren Begriffen wird im Titel, aber auch in der Einleitung und Kapitel I,1 von J. Kockas Monographie über die Sozialgeschichte der industriellen Angestelltenschaft klar: Unternehmensverwaltung und Angestelltenschaft am Beispiel Siemens 1847–1914. Zum Verhältnis von Kapitalismus und Bürokratie in der deutschen Industrialisierung, Stuttgart 1969.

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  22. Der Modellfall einer solchen Studie ist noch immer die Anwendung der Parsonsschen. strukturell-funktionalen Analyse auf die englische Baumwollindustrie während der Industriellen Revolution bei Neil J. Smelser, Social Change in the Industrial Revolution, Chicago 1959.

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  23. So z. B. Bert F. Hoselitz, Wirtschaftliches Wachstum und sozialer Wandel, Berlin 1969, unter zahlreichen Arbeiten von Reinhard Bendix und Martin Lipset Social Mobility in Industrial Societies, Berkeley, Calif., 1959, sowie Aufsätze in den Zeitschriften »Economic Development and Cultural Change«, »Comparative Studies in Society and History«, »Past and Present« oder den französischen »Annales«.

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  24. Einzelne ermutigende Beispiele gibt es selbstverständlich, z. B. die Arbeiten von Charles Tilly, der sich vorwiegend der französischen Sozialgeschichte zugewandt hat und nach einer Dissertation über die Vendée in der französischen Revolution (Cambridge, Mass., 1964) nun an Problemen des sozialen Konflikts im 19. und frühen 20. Jahrhundert, aber auch an dem Problem der Entstehung des modernen Staates arbeitet.

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  25. Es kann hier nicht der Versuch gemacht werden, eine bibliographische Einführung in die historische Démographie zu geben. Dazu sei auf die einschlägigen Artikel im Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, der International Encyclopaedia of the Social Sciences und auf die Zeitschriften dieses Faches wie die französische »Population« oder die »Population Studies« verwiesen. Das beste Lehrbuch deutscher Sprache ist immer noch Gerhard Mackenroth, Bevölkerungslehre, Berlin/Heidelberg/New York 1953. Gute Einführungen mit Bibliographien der neueren englischen und französischen und einem Teil der (leider meist älteren) deutschen Literatur sind: E. A. Wrigley, Population and History, Toronto/New York 1969 und T. H. Hollingsworth, Historical Demography, Ithaca, N.Y., 1969. Einen guten Überblick gibt auch der Sammelband von D. V. Glass und D. E. C. Eversley, Hrsg., Population in History. Essays in Historical Demography, London 1965 sowie die den »Historical Population Studies« gewidmete, stark methodologisch orientierte Ausgabe von Daedalus Journal of the American Academy of Arts and Sciences, Spring 1968. Die beste Anleitung in die neuesten Forschungstechniken der historischen Démographie, besonders die Familienrekonstitution, gibt L. Henry, Manuel de démographie historique, Genf/Paris 1967.

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  26. Genauer gesagt war es natürlich nicht die Heimarbeiterschaft an sich, sondern das bereits vorhandene soziale Gefüge der Textilindustrie, zu dem ebenso die Unternehmerschaft gehörte, die Kapital akkumulierte und die technische Innovation betrieb. Daß auch natürliche Faktoren, beispielsweise das Vorhandensein von Wasserkraft, eine Rolle spielten, versteht sich von selbst. Mit welchen verschiedenartigen Methoden man die Zusammenhänge von ländlicher Heimindustrie und Bevölkerungswandel erforschen kann, zeigen die Monographien von R. Braun, Industrialisierung und Volksleben: Die Veränderungen der Lebensformen in einem ländlichen Industriegebiet vor 1800 (Zürcher Oberland), Erlenbach-Zürich-Stuttgart 1960, und: Sozialer und kultureller Wandel in einem ländlichen Industriegebiet (Zürcher Oberland) unter Einwirkung des Maschinen-und Fabrikwesens im 19. und 20. Jahrhundert, Erlenbach-Zürich-Stuttgart 1965, einerseits und Franklin Mendels, Industrialization and Population Pressure in Eighteenth Century Flanders, Diss. an der Univ. of Wisconsin, 1969, andererseits. Braun arbeitet die Veränderungen der Verhaltensweisen vorwiegend durch die genaue Interpretation der Äußerungen, vor allem aber der tatsächlichen Lebensgewohnheiten der Industriearbeiterschaft heraus, Mendels durch die statistische Untersuchung von Zusammenhängen zwischen Veränderungen der Produktions-und der Bevölkerungsstruktur. Allgemeiner zu dem Problem des Zusammenhanges von Heimindustrie und Bevölkerungswandel: F. Mendels Proto-Industrialization: The First Phase of the Industrialization Process, in: Journal of Economic History 32 (1972), S. 241–261, und W. Fischer Rural Industrialization and Population Change, in: Comparative Studies in Society and History, 16, Heft 2 (1973).

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  27. Diese Frage ist besonders für die englische Arbeiterschaft der industriellen Revolution seit langem heftig umstritten. Einen Überblick über die Kontroverse während der 1950er Jahre gibt die Aufsatzsammlung W. Fischer und Georg Bajor Hrsg., Die Soziale Frage. Neuere Studien zur Lage der Fabrikarbeiter in den Frühphasen der Industrialisierung, Stuttgart 1967.

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  28. Zu dem wichtigen Faktor der Veränderung der Nahrungsgewohnheiten haben jüngst ein Historiker und ein Volkskundler wertvolle Beiträge geliefert: Hans Jürgen Teuteberg und Günter Wiegelmann, Der Wandel der Nahrungsgewohnheiten unter dem Einfluß der Industrialisierung (Studien zum Wandel von Gesellschaft und Bildung im Neunzehnten Jahrhundert, Band 3), Göttingen 1972. Vgl. jedoch das pessimistische Urteil Teutebergs über die Möglichkeit einer »zuverlässig quantifizierenden und generalisierenden Darstellung der Ernährung bei den einzelnen Sozialschichten« vor Beginn des 20. Jahrhunderts, ebd., S. 63.

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  29. Fast jedes der vielen Werke Jürgen Kuczynskis beweist die Schludrigkeit seiner Argumentation und statistischen Verfahrensweise. S. z. B.: Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1800 bis zur Gegenwart, 3. Aufl., Berlin 1947, S. 48, 69, 75. Einen sehr umsichtigen Überblick über die noch mageren Ergebnisse der Forschung zum Lebensstandard der deutschen frühindustriellen Arbeiterschaft gibt K. H. Kaufhold in seinem Beitrag »Handwerk und Industrie 1800–1850«, in: Wolfgang Zorn, Hrsg., Handbuch der deutschen Sozial-und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 2, voraussichtlich Stuttgart 1973. Für Handwerkereinkommen s. Klaus Assmann und Gerhard Stavenhagen Handwerkereinkommen am Vorabend der industriellen Revolution, Göttingen 1969, und Dietrich Saalfeld Handwerkereinkommen in Deutschland vom ausgehenden 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Wilhelm Abel und Mitarbeiter, Handwerksgeschichte in neuer Sicht, Göttingen 1970.

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  30. Vgl. Walter G. Hoffmann und J. Heinz Müller, Das deutsche Volkseinkommen, 1851–1957, Tübingen 1959, und die entsprechenden Teile in W. G. Hoffmann u. a., Das Wachstum der deutschen Wirtschaft, Berlin/Heidelberg/New York 1965, S. 89–102 u. 456–516; Th. S. Orsagh, The Probable Geographical Distribution of German Income, 1882–1963, in: Zeitschrift für die Gesamte Staatswissenschaft 124 (1968), S. 280-311.

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  31. Otto Brunner, Neue Wege der Sozialgeschichte, S. 19 u. 82.

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  32. Werner Conze, Sozialgeschichte, ähnlich auch H. Mommsen Sozialgeschichte. Beide in: H.-U. Wehler Moderne deutsche Sozialgeschichte, Köln/Berlin 1966, 4. Aufl. 1972, S. 19–34. Fernand Braudel La longue durée, in: Annales 13 (1958), S. 225–253, ders., Sur une conception de l’histoire sociale, ebd. 14 (1959), S. 308–319; ders. Écrits sur l’histoire, Paris 1969, S. 41–83 und S. 175–191.

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  33. Ich verzichte darauf, die ältere Literatur über die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Geschichtswissenschaft von Droysen über Dilthey, Max Weber, Troeltsch bis zu Hintze und Meinecke zu zitieren. Daß die Verstehenslehren im Prinzip noch immer gültig seien und auch für die Sozial-und Wirtschaftsgeschichte gelten, behauptet F. Redlich in mehreren Aufsätzen zur »Epistemology and Methodology of Economic History« in Abwehr des Anspruchs der »New Economic History«, daß für die Wirtschaftsgeschichte die gleichen methodologischen Prinzipien gelten wie für die Ökonomie. F. Redlich Steeped in Two Cultures, New York 1971, S. 307–416.

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  34. Vgl. H.-U. Wehler, Hrsg., Geschichte und Psychoanalyse, Köln/Berlin 1971; Theodor W. Adorno u. a., The Authoritarian Personality, New York 1950; D. C. McClelland, The Achieving Society, Princeton 1961; B. F. Skinner Beyond Freedom and Dignity, New York 1971.

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  35. Vgl. einen interessanten Beitrag dazu in einem Sammelband über The Evolution of International Management Structures, hrsg. von Harold F. Williamson voraussichtlich 1973.

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  36. Ich habe diese Formulierung in Umkehrung der treffenden Definition der empirischen Sozialforschung durch Helmut Schelsky als »Sozialgeschichte der Gegenwart« (in seinem Buch Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, Düsseldorf/Köln 1959, S. 74) zum ersten Mal in meinem Aufsatz »Innerbetrieblicher und sozialer Status der frühen Fabrikarbeiterschaft«, in: F. Lütge, Hrsg., Die wirtschaftliche Situation Deutschlands und Österreichs um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 1964, gebraucht. Wieder abgedruckt in W. Fischer, Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung, Göttingen 1972, S. 258–284, bes. S. 259.

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Fischer, W. (1972). Sozialgeschichte und Wirtschaftsgeschichte Abgrenzungen und Zusammenhänge. In: Ludz, P.C. (eds) Soziologie und Sozialgeschichte. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83551-2_6

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