Zusammenfassung
In der Erwachsenenbildung hat das Paradigma der Lebensweltorientierung seit Beginn der 80er Jahre verstärkt Beachtung gefunden. Es gilt als ein Korrektiv einerseits verhaltenstheoretisch orientierter, andererseits aber auch subjektivistisch verkürzter Theoriemodelle, indem es die kollektiv vorgeprägten, der individuellen Veränderung jedoch prinzipiell zugänglichen Deutungsmuster der sozialen Wirklichkeit ins Zentrum des Interesses rückt. In fast synonymer Begriffsverwendung wird unter Verweis auf die phänomenologische Tradition von „Teilnehmerorientierung“, „Deutungsmusteransatz“, „Lebensweltbezug“ oder „Lebensweltorientierung“ gesprochen. Müller (1986) versucht eine Abgrenzung der Begrifflichkeit und will Teilnehmerorientierung als die „bescheidenere“ Alternative verstanden wissen, nämlich als bloßes Mitbeteiligungsangebot an die Teilnehmer hinsichtlich der Themenauswahl und der didaktischen Entscheidungen. Davon abgehoben unterscheidet er den Lebensweltbezug, zunächst in einer „instrumentellen Sichtweise“ als Berücksichtigung der Lernvoraussetzungen, Lernfähigkeiten, Lernbarrieren und Erwartungshorizonte der Teilnehmer. Als eine zweite „instrumentelle Sichtweise“ beschreibt er den Lebensweltbezug als Auswahlprinzip für die Kursinhalte. Lebensweltbezug wäre demnach ein Konkurrenzprinzip zu systematischem Wissenserwerb, der sich an den Vorgaben gesellschaftlicher Qualifikationen für die Arbeitswelt oder an der Systematik des wissenschaftlichen Wissens orientiert. Von all dem abgesetzt will Müller jedoch von echter Lebensweltorientierung nur dann sprechen, wenn Erwachsenenbildung zu einem „neuen Verständnis erwachsenenpädagogischen Handelns“ (1986, S. 233) findet und sich als Hilfe bei der deutungsmustergeleiteten Realitätsbewältigung versteht, die bisherigen Muster in Frage stellt oder sogar sprengt und auch für Krisenerfahrungen sorgt, in denen Identitäten aus den ehemals festgefügten Fugen geraten können. Kaiser (1990, S. 14) präzisiert die praxisrelevanten Prinzipien lebensweltorientierter Ansätze dahingehend, daß damit „Vorstellungen von der Ganzheitlichkeit, Unmittelbarkeit, Authentizität menschlicher Erfahrung verbunden“ seien.
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Barz, H., Tippelt, R. (1994). Lebenswelt, Lebenslage, Lebensstil und Erwachsenenbildung. In: Tippelt, R. (eds) Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83532-1_7
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