Zusammenfassung
Im Strafvollzug gewannen seit den 70er Jahren (Aus-)Bildungsangebote und —maßnahmen aus mehreren Gründen zunehmend an Bedeutung. Im Zuge der Strafrechtsreform wurde der Anwendungsbereich der Freiheitsstrafe weiter zurückgedrängt. In den Strafvollzug (=Justiz-Vollzug), werden jetzt großenteils vorbestrafte und Rückfalltäter mit meist erheblichen beruflichen und sozialen Defiziten eingewiesen. Empirische Erhebungen lassen überproportional hohe Anteile an Sonderschülern, Schulabbrechern und Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung erkennen (Hilkenbach 1987; Kerner 1992). Oft treffen diese Defizite, begünstigt durch Störungen in der Sozialisation und im familiären Umfeld, mit geringer Belastbarkeit und Frustrationstoleranz, also mangelnder sozialer Handlungskompetenz, zusammen. Weitere Problemgruppen rekrutieren sich aus alkohol- und drogenabhängigen sowie aus nichtdeutschen Gefangenen anderer soziokultureller Herkunft; die letztere Gruppe stellt inzwischen einen Anteil von mehr als 15% aller Insassen. Daher sind viele Gefangene schon von ihrer Vorgeschichte und Persönlichkeitsentwicklung her den Anforderungen der Leistungsgesellschaft nicht (ausreichend) gewachsen, namentlich ungleich stärker als andere von Arbeitslosigkeit betroffen und/oder von Sozialhilfe abhängig. Damit wird zugleich der verhängnisvolle Kreislauf von Strafverbüßung, mangelnder sozialer Integration und erneuter Straffälligkeit gefördert. Freilich läßt sich (wiederholte) Kriminalität nicht einfach in monokausaler Weise auf Fehlen beruflicher Qualifikationen, Bildungsdefizite und Arbeitslosigkeit zurückführen; sie ist vielmehr in komplexeren Entstehungszusammenhängen zu sehen (Mey 1986). Insofern dürfen auch Schaffung und Wahrnehmung entsprechender kompensatorischer Angebote der Erwachsenenbildung im Strafvollzug nicht auf die Funktion bloßer Rückfallprophylaxe verkürzt werden; sie müssen stattdessen zunächst einmal von ihrer Aufgabe der Identitätsfindung und Persönlichkeitsstabilisierung her begriffen werden, die ihren eigenständigen (verfassungsrechtlichen) Wert in der Anerkennung und Respektierung der Menschenwürde hat.
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Literatur
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© 1994 Leske + Budrich, Opladen
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Müller-Dietz, H. (1994). Weiterbildung von Strafgefangenen. In: Tippelt, R. (eds) Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83532-1_43
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