Zusammenfassung
Das pluralistische Modell der Findung des Gemeinwohls, von dem man wird sagen dürfen, daß es weithin zum Selbstbild der Bundesrepublik geworden schien, findet sich seit der Mitte der sechziger Jahre in einer wachsenden Bedrängnis. Die Lehre begegnet einem mit zunehmender Schärfe und Deutlichkeit geäußertem Verdacht, nur die Verhüllungsideologie für eine ganz anders geartete Wirklichkeit zu sein. So formulierte etwa die Humanistische Studentenunion in ihrem Marburger Gesamtprogramm von 1967: »Wird an pluralistischen Konzeptionen festgehalten, verstärken sie das bestehende Herrschaftsgefälle, anstatt der Repression dienende Mechanismen abzubauen. Begreift man Humanismus als Durchsetzung gesellschaftlicher Freiheit, dann ist damit «Pluralismus» unvereinbar.« Oder ein anderes Zitat, ivon Paul Mikat in »Die Zeit« vom 3. 3. 1967: »Was ist die konzertierte Aktion? Sie ist die Vertonung der Formierten Gesellschaft«. Seither ist nicht nur die Kritik, sondern sind auch die Skrupel der am Pluralismuskonzept orientierten Interpreten der Gesellschaft der Bundesrepublik gewachsen. Es mag daher lohnend sein, die Situation etwas genauer zu betrachten. »Unter Pluralismus versteht man das gleichberechtigte, durch grundgesetzliche Garantien geschützte Nebeneinanderexistieren und —wirken einer Mehrzahl sozialer Gruppen innerhalb einer staatlichen Gemeinschaft… Der Pluralismus ist die spezifische Ausdruckform einer freiheitlichen Gesellschaftsverfassung in einer nicht mehr individualistisch-liberal, sondern kollektivistisch-sozial bestimmten Daseins weit1» so heißt es im weit verbreiteten Fischer-Lexikon »Staat und Politik», das eine ansehnliche Anzahl deutscher Politologen zu seinen Autoren zählt.
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Anmerkungen
Fischer Lexikon »Staat und Politik«, 2. Aufl. Frankfurt 1968, S. 254–256.
Vgl. insbes. Ernst Fraenkel, Der Pluralismus als Strukturelement der Freiheitlich-Rechts-staatlichen Demokratie. Verhandlungen des 45. Deutschen Juristentages, München-Berlin 1965, Bd. II, Sitzungsberichte; sowie ders. y Deutschland und die westlichen Demokratien, Stuttgart 1964.
Karl Löwenstein, Verfassungslehre, Tübingen 1959, insbes. Teil III.
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In: Jürgen Habermas u. a., Student und Politik, Neuwied 1961.
Helge Pross, Zum Begriff der pluralistischen Gesellschaft, in: Zeugnisse, Frankfurt 1963, S. 439 ff.
Ebda., S. 443.
Ebda., S. 445.
Walter Euchner, Zur Lage des Parlamentarismus, in: Gert Schäfer und Carl Nedelmann, Hrsg., Der CDU-Staat. Analysen zur Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik, 2. Aufl. Frankfurt 1969.
Ebda., S. 124–125.
Gemeinschaftsreferat Joachim Bergmann und andere zu »Herrschaft, Klassen Verhältnis und Schichtung«, in: Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft, Stuttgart 1969.
Wolfgang Müller und Christel Neusüß, Die Sozialstaatsillusion und der Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital, in: Sozialistische Politik, Heft 6/7, Berlin 1970.
Ebda., S. 16.
Hans Zacher, Freiheitliche Demokratie, Reihe Geschichte und Staat, Bd. 139/40, München und Wien 1969.
Ebda., S. 44.
Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1963.
Ebda., S. 44–45.
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Hans Freyer, Revolution von rechts, Jena 1931.
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Hans Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, Berlin 1931, S. 34.
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Erwin Scheuch, Verplante Freiheit oder die Zukunft des Pluralismus — Zur Kritik der »formierten Gesellschaft», Manuskript 1966.
Heribert Kohl, Pluralismuskritik in der BRD, Phil. Diss. Berlin 1968, S. 182.
Ernst Fraenkel, Vgl. Anm. 2, S. 13.
Vgl. z. B. Werner Hof mann, Stalinismus und Antikommunismus, Frankfurt 1967.
Wilhelm Krelle u. a., Überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer (Forschungsauftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung), Tübingen 1968. Vgl. insbes. Bd. 2, S. 377 ff.
Zum Phänomen der Randständigkeit vgl. schon John Kenneth Galbraith, Beobachtungen zum sog. Sozialen Gleichgewicht, in: /. K. Galbraith, The Affluent Society, New York 1958.
Insbes. Harold Laski, Foundations of Sovereignty, 2. Aufl. 1931, Zitate nach dem Vorwort dazu S. VI–IX.
Der vorliegende Aufsatz wurde abgeschlossen im Mai 1971.
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Fijalkowski, J. (1973). Pluralistische oder antagonistische Gesellschaft?. In: Albrecht, G., Daheim, H., Sack, F. (eds) Soziologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83511-6_34
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