Zusammenfassung
Museen und ihre Probleme werden — sofern ihre Analyse unter soziologischem Aspekt erfolgt — bislang im Zusammenhang mit ihrer Bedeutung für die Öffentlichkeit gesehen 1. Ein integrierter Bezugsrahmen, der die institutionelle Problematik des Museumswesens verdeutlicht und Untersuchungen zugänglich madit, fehlt. Ein solcher Bezugsrahmen soll hier entwickelt werden 2.
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Anmerkungen
Vgl. etwa Hans L. Zetterberg, Social Theory and Social Practice, New York 1962, und: Pierre Bourdieu, L’amour de l’art. Les musées et leur public, Paris 1966.
Der im folgenden vorgelegte analytische Versuch bezieht sich auf das gegenwärtige Museums-wesen. Nicht berücksichtigt werden öffentlich zugängliche Privatsammlungen und Kunsthallen mit Wechselausstellungen.
Wenn der Bereich naturkundlicher Museen gegenüber kulturhistorischen Sammlungen vernach-lässigt wird, so ist die Ursache im Interesse des Verfassers an symbolisierten Objekten zu suchen. Auch ohne explizite Erwähnung ist die nachfolgende Diskussion teilweise auf naturkundliche Museen übertragbar.
Edward Shils, Tradition, in: Comparative Studies in Society and History 13 (1971), S. 122–159 passim.
Ausführliche Darlegungen zum Symbolbegriff finden sich u. a. bei: /. A. Ponsioen, Symbole im sozialen Leben, Köln und Opladen 1962; Horst. Helle, Symbolbegriff und Handlungs- theorie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 20 (1968), S. 17–38.
Ein eindrucksvolles Beispiel für die rasche Veränderung in der Bedeutung kultureller Objekte und für differentielle Möglichkeiten des Einbaus kunsthandwerklicher Produkte in unterschied-liche kulturelle Kontexte gibt: René König, Die Rolle der weißen Händler in der Entwicklung des indianischen Kunsthandwerks im Südwesten der Vereinigten Staaten, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 19 (1967), S. 1–24.
Einen Hinweis auf diesen Zusammenhang mag die Schätzung von Kunsthistorikern geben, daß von den hölzernen Altarbildern im Deutschland vor 1500 nur etwa 2 Prozent erhalten sind. Vgl. F. Stuttmann und G. von der Osten, Niedersächsische Bildschnitzkunst des späten Mittelalters, Berlin 1940, S. 65.
Als Beispiel für häufige Reproduktion von Objekten bei relativ gleichbleibender Tradition sei die chinesische Architektur erwähnt. Vgl. H. S. Lloyd u. a., Baukunst, Gütersloh 1966, S. 79 f.
Von 876 deutschen Museen, deren Gründungs jähr identifizierbar ist, wurden 241 in der Zeit vor 1900, 210 zwischen 1900 und 1920 und insgesamt 425 nach 1920 gegründet. Quelle: Kaysers Führer durch Museen und Sammlungen, Heidelberg und München 1961. Aus dem Jahre 1964 liegen Schätzungen vor, denen zufolge in den Vereinigten Staaten in jeder Woche zwei neue Museen eröffnet wurden. Vgl. American Association of Museums, Hrsg., A Statistical Survey of Museums in the US and Canada, Washington, D. C., 1965.
Vgl. etwa die Arbeit der UNESCO im kulturhistorischen Bereich. Als ein Beispiel unter vielen sei erwähnt: UNESCO, Protection of Mankind’s Cultural Heritage (sites and monuments ), Paris 1970.
Dieser Zusammenhang wurde bereits frühzeitig gesehen. Vgl. Gustav Klemm, Zur Geschichte der Sammlungen für Wissenschaft und Kunst in Deutschland, 2. Aufl. Herbst 1838.
Trotz aller frühen kunstgeschichtlichen Ansätze läßt sich die Verfestigung der Kunstgeschichte als Fach erst in der Mitte des 19. Jh. nachweisen. Vgl. etwa: E. Heidrich, Beiträge zur Geschichte und Methode der Kunstgeschichte, 1917.
Zur Problematik dieses »Öffentlichkeitsbezuges« von Museen siehe u. a. Gert von der Osten, Museum und Öffentlichkeit, aus: Museum und Kunst, Beiträge für Alfred Hentzen, Hamburg 1970, S. 137 - 162.
Übrigens zeigt sich selbst im Fall der Bewertung von »Heiltumsschätzen« durch heutige Kleriker die grundsätzliche Bestrebung, kunsthistorische Kriterien gegenüber religiösen Bezügen zu betonen. Entsprechend werden Reliquien gegenüber den Reliquienbehältern obsolet. Vgl. u. a. Rainer Rückert (Bearbeiter), Der Schatz vom Heiligen Berg Andechs, Kloster Andeais 1967.
Deutscher Museumsbund und ICOM (der internationale Museumsrat) mit seinen ent-sprechenden Nationalkomitees.
Vgl. u. a. Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum Aushau der wissenschaftlichen Ein-richtungen, III, Band 2, 1965, S. 21 ff.
Vgl. Zur Überführung privater Sammlungen in die »öffentliche Hand« Gudrun Calov, Museen und Sammler des 19. Jahrhunderts in Deutschland. In: Museumskunde, 38. Band, 1969, S. 1–3.
Für 100 deutsche Museen liegen Angaben über die Rechtsträger vor. Die Verteilung ist wie folgt: Deutschland Rechtsträger Museen Kommunen 50 Bund, Länder 26 Stiftungen 18 Privat 6 Quelle: Jürgen Rave, Die Werbung der Museen, Diplomarbeit am werbewissenschaftlichen Institut der Universität Köln, 1968, S. 19. Auch für die Vereinigten Staaten ist die Mehrzahl der Museen an nichtprivate Rechtsträger angeschlossen. USA Rechtsträger Museen (in Prozent) 50 36 11 3 Non-profit-organizations Government agencies Educational institutions Business and religious organizations Quelle: Lola E. Rogers, Museum and Related Institutions, Washington, D. C., 1969.
Vgl. La commission du muséum et la création du musée du Louvre (1792-93), in: Archives de l’art français, Nouvelle Periode, Bd. III, Paris 1909.
Zur fachinternen Diskussion um die Öffentlichkeitsfunktion der Museen vgl. Gert von der Osten, op. cit.; Gerhard Bott, Hrsg., Das Museum der Zukunft, Köln 1970.
Es sei nochmals hervorgehoben, daß die vorgeschlagene Deutung weder auf Privatsamm-lungen noch auf vereinzelte Spezialsammlungen anwendbar ist, sondern sich auf das Museums-wesen bezieht: auf die Institutionalisierung von zahlreichen, auf ähnliche Ziele gerichteten Orga-nisationen mit ähnlicher interner Struktur.
Ein Anschluß von Museum an Universitäten ist nur bei einigen Sammlungen bestimmter Museumstypen festzustellen. Neben historischen Gründen, die an dieser Stelle nicht dargelegt werden können, läßt sich aus dem theoretischen Ansatz folgendes ableiten: Die Ausdifferenzierung von Tradition hat - wie besprochen - den Übergang von Partikularbezügen auf allgemeine Öffentlichkeit vollzogen. Diese, die »Allgemeinheit« repräsentierende Funktion von Sammlungen, ist Folge des Verlustes eines symbolischen Direktbezugs und enthält eine Tendenz zur Selbständigkeit solcher u. a. »repräsentierender« Organisationen.
Das andere Extrem eines solchen Zusammenhangs bilden Wissensbereiche ohne ausgeprägten historischen und materiellen Objektbezug; hier fehlen selbstverständlich Sammlungen der in Frage stehenden Art. Bei diesen Fadibereidien läßt sich die Tendenz zum Aufbau nicht uni-versitätsgebundener Dokumentationszentren (historischer und kontemporärer Art) erkennen, die eine Reihe ähnlicher Strukturprobleme in ihrer Beziehung zum betreffenden Wissensbereich aufzuweisen scheinen.
Beispiele sind historisch frühe Museen, die der Institutionalisierung einer Einzelwissenschaft an den Universitäten voraufgingen.
Dies scheint für einige ethnologische Museen und kulturhistorische Spezialsammlungen zu-zutreffen.
Vgl. Wilhelm Schäfer, Naturwissenschaftliche Museen als Forschungsstätten, Frankfurt/M. 1964.
Gottfried Wilhelm Leibniz, Gesamtausgabe Reihe 4, Bd. 1, Darmstadt, S. 538; Baillet, La vie de M. Descartes, Bd. 2, Paris 1961, S. 433 f. (nach freundlicher Mitteilung von Professor Klemm, München).
Es ist möglich, daß der universale Rahmen entsprechend im »Bildungswesen« - d. h. speziell in didaktischer Forschung - gesehen wird.
Heiner Treinen, Museumsbesuch. Anhang: Eine Technik zur Analyse des außerästhetischen Symbolgehalts von Kunststilen, Verv. Manuskript 1965. Zur Ablehnung neuerer Kunstströmun-gen durch ein breites Publikum siehe: Duncan F. Camer on Le public joue cartes sur table, in: Le Courier, UNESCO, XIVe année, mars 1971, S. 15–31.
Paul Ortwin Rave, Geschichtlicher Sinn und historische Museen, Frankfurt/M., Schriften des historischen Museums, IX, S. 5–18.
Vor allem bei solchen Museen, deren universale Rahmen keinen direkten historischen Objektbezug besitzen.
Diese Situation mag für eine Anzahl mit Universitätsforschung verbundener vor- und frühgeschichtlicher Sammlungen zutreffen.
Dies gilt für einen Teilbereich naturkundlicher Museen.
Etwa im Fall technischer Museen.
Eine Schwierigkeit der Verbindung zur schulischen Bildungsarbeit folgt aus der Tatsache, daß zwar ein institutionalisiertes Museumswesen besteht, nicht aber eine Systematik der regionalen Verteilung von Museen bestimmter Typen, und schon gar nicht von Museen mit ähnlichem Sammlungsbestand. Dies zu erreichen, ist - aus den voraufgegangenen Ableitungen erkennbar - kaum möglich. Da jedoch das Bildungswesen und seine Lehrpläne überregional relativ systematisiert sind, können Abrufe relevanter, in Museen vorhandener Anschauungsmaterialien nur erfolgen, wenn einzelne Museen selbst an Schulen aktiv werden. Eine dauerhafte institutionell verankerte Zusammenarbeit wird nur in Einzelfällen erfolgreich sein. Klassenbesuche in Museen scheinen dementsprechend eher expressiven Charakter zu tragen; doch soll hiermit die mögliche Bedeut-samkeit der ersten Kontakte von Schülern mit Museen keineswegs unterbetont werden.
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Treinen, H. (1973). Ansätze zu einer Soziologie des Museumswesens. In: Albrecht, G., Daheim, H., Sack, F. (eds) Soziologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83511-6_20
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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