Zusammenfassung
Was sind die Voraussetzungen für apokalyptische Erzählungen kurz vor der Jahrtausendwende? Ich frage nach einer empfundenen Endzeit vor der Jahrtausendwende und danach, wie die Menschen mit der von ihnen selbst verursachten Bedrohung der Welt umgehen. Welche medialen Konstrukte gibt es, die die Krisen und Gefahren von Welt und Gesellschaft thematisieren? Und welche Rolle spielt dabei das apokalyptische Denken und seine historische Tradition? Wie erscheint es in den Medien, und welche Geisteshaltung verbirgt sich dahinter?
Ich sage Euch in Wahrheit, das ist nicht nur das Ende von diesem, sondern auch und zuerst von jenem, es ist das Ende der Geschiche, das Ende des Klassenkampfes, das Ende der Philosophie, der Tod Gottes, das Ende der Religionen, das Ende des Christentums und der Moral (was die größte Naivität war), das Ende des Subjekts, das Ende des Menschen, das Ende des Abendlandes, das Ende des Ödipus, das Ende der Welt, Apocalypse now, ich sage euch in der Sintflut, dem Feuer, dem Blut, dem erderschütternden Beben, dem Napalm, das aus Hubschraubern vom Himmel fällt, so wie die Prostituierten, und dann auch das Ende der Literatur, das Ende der Malerei, der Kunst als Sache der Vergangenheit, das Ende der Psychoanalyse, das Ende der Universität, das Ende des Phallogozentrismus und was weiß ich noch alles.
Jacques Derrida 406
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Derrida, Jacques: Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philosophie, in: ders.: Apokalypse, Graz/Wien 1985, S. 55.
Nietzsche, Friedrich: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, Unzeitgemässe Betrachtungen, zweites Stück, Werke in drei Bänden, erster Band, München 1966, S. 266.
Vor allem die Konvergenz verschiedener Technologien zu überkomplexen Systemen macht präzise Prognosen unmöglich. Vgl. Eurich, Claus: Die Megamaschine, a.a.O., S. 103.
Lyotard, Jean-Francois: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Wien 1994 (3. Aufl.)
Sennett, Richard: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 1998.
Ebd., S. 155 f. Sennett bezieht sich auf Rorty, Richard: Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt am Main 1997 (4. Aufl.), S. 14 f.
Fukuyama, Francis: Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir? München 1992, S. 11 u. 13. Fukuyama hat eine unter Historikern seit Jahrzehnten diskutierte These vom “Posthistoirè aufgegriffen, radikalisiert und popularisiert. Vgl. Niethammer, Lutz: Posthistoire. Ist die Geschichte zu Ende? Reinbek bei Hamburg 1992.
So etwa Laszlo, Ervin: Das dritte Jahrtausend, Frankfurt am Main 1998.
Vgl. Busse, Tanja: “Wir sind die Alten. Ein biographisches Hörmosaik der Rentnergeneration.” Radiofeature in der Reihe “Zeitfragen” v. 28.2.1999, DeutschlandRadio Berlin.
Adams, Douglas: The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy, New York o. J., Zitate: S. 35, 2 u. 51.
Steinen, Heinz: Aus der Geschichte der Gewalt und der Untergänge. Wie und warum uns die Jugend beunruhigt, in: Merkur Nr. 597, 12/1998, 52. Jg., S. 1127.
Graf, Guido: “Keine Angst”. Radiobeitrag in der Reihe “Am Abend vorgestellt” v. 18.7.1997, WDR 3.
Graf bezieht sich u.a. auf Birkerts, Sven: Die Gutenberg-Elegien. Lesen im elektronischen Zeitalter, Frankfurt am Main 1997, Kaplan, Robert: Reisen an die Grenzen der Menschheit. Wie die Zukunft aussehen wird, München 1996.
Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main 1986, S. 13.
Ich habe den Begriff Risiko nach der Definition von Wolfgang Bonss als souveränen und kalkulierenden Umgang mit Unsicherheit eingeführt im Unterschied zur Gefahr,der man unwillentlich ausgesetzt ist (vgl. Kap. 4.2). Ulrich Beck macht diese Unterscheidung nicht. Er betrachtet die gesellschaftliche oder globale Dimension von Risiko als von Menschen hergestellter Unsicherheit.
Derrida, Jacques: No apocalyse, not now, in: Apokalypse, Graz/Wien 1985, S. 102.
Wetzel, Michael: “Apocalypse now”. Der Wahrheitsbegriff der Postmoderne? in: Derrida, Jacques: Apokalypse, a.a.O., S. 138.
Kniesche, Thomas W.: Die Genealogie der Post-Apokalypse. Günter Grass’ “Die Rättin”, Wien 1991, S. 53 ff.; Grass, Günter: Die Rättin (1986), Reinbek bei Hamburg 1988.
Hans Lenk erklärt das am Beispiel des Doppelspalt-Experiments. Vgl. Lenk, Hans, a.a.O., S. 202 ff.
Baudrillard, Jean: Der symbolische Tausch und der Tod (1976), München 1991, S. 114.
Baudrillard, Jean: Videowelt und fraktales Subjekt, in: Ars Electronica (Hg.): Philosophien der neuen Technologie, Berlin 1989, S. 114.
Vgl. Eurich, Claus: Die Megamaschine, a.a.O., S. 11 ff. u. Beck, Ulrich: Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit, Frankfurt am Main 1988, S. 9 f.
Sontag, Susan: Die Katastrophenphantasie, in: Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen, Hamburg 1968, S. 245.
Vgl. Busse, Tanja: “Wir sind die Alten. Ein biographisches Hörmosaik der Rentnergeneration”, a.a.O.
Goebel, Johannes/Clermont, Christoph: Die Tugend der Orientierungslosigkeit, Berlin 1997, S. 45. Vgl. auch Schulze, Gerhard: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/New York 1996.
Josef Früchtl beschreibt Indifferenz, Ambivalenz und (überlebensnotwendige) Ignoranz als typische Existenzformen der postmodernen Großstadtbewohner. Vgl. Früchtl, Josef: Gesteigerte Ambivalenz, in: Merkur Nr. 594/595, Heft 9/10 1998, S. 771 u. 777.
Jugendwerk der deutschen Shell (Hg.): Jugend ‘87, Opladen 1997, S. 18.
Ebd., S. 14; vgl. auch Busse, Tanja/Soldt, Rüdiger: “Die Kinder der Ära Kohl”, Radiofeature in der Reihe “Zeitfragen” v. 25.10.1998, DeutschlandRadio Berlin.
Sommerfeld, Caroline: Der Habitus der postmodernen Gleichgültigkeit, in: Krause, Peter/Schwelling, Birgit (Hg.): Gleichgültigkeit und Gesellschaft. Interdisziplinäre Annäherungen an ein Phänomen, Berlin 1998, S. 59. Zum Habitus-Begriff vgl. Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am Main 1982, S. 277 ff.
Ebd., S. 64 f. Vgl. auch Rorty, Richard: Kontingenz, Ironie und Solidarität, a.a.O., S. 14 u. Bauman, Zygmunt: Flaneure, Spieler und Touristen, Hamburg 1997.
Eco, Umbert: Postmodernismus, Ironie und Vergnügen, in: Welsch, Wolfgang (Hg.): Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Weinheim 1988, S. 76.
Showalter, Elaine: Hysterien. Hysterische Epidemien im Zeitalter der Medien, Berlin 1997, S. 13.
Radkau, Joachim: Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, a.a.O.
Vgl. Showalter, Elaine, a.a.O., S. 22 und Radkau, Joachim, a.a.O., S. 13.
Diese Schwierigkeit macht es kompliziert, über die Konstruktion von Hystorien zu schreiben, ohne die Glaubwürdigkeit der Betroffenen zu berühren. Showalter berichtet von feindseliger Kritik einiger Feministinnen an ihren Analysen (vgl. ebd., S. 213).
Bruckner, Pascal: Ich leide also bin ich. Die Krankheit der Moderne, Berlin 1997, S. 13 u. 91.
Vgl. die Literaturangaben zu Keupp, Heiner: Das Ende der atomaren Gelassenheit, in: Psychologie heute ( Hg. ): Wieviel Katastrophe…, a.a.O., S. 21–33.
Rights and permissions
Copyright information
© 2000 Deutscher Universitäts-Verlag GmbH, Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Busse, T. (2000). Apokalypse 1999: Zur apokalyptischen Befindlichkeit vor der Jahrtausendwende. In: Weltuntergang als Erlebnis. DUV Sozialwissenschaft. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83453-9_7
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-83453-9_7
Publisher Name: Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8244-4438-0
Online ISBN: 978-3-322-83453-9
eBook Packages: Springer Book Archive