Traditionelles und neues Verfassungsdenken in Großbritannien

Zusammenfassung

Großbritannien, das Musterbeispiel für ein Land mit einer von Kontinuität geprägten Verfassungsentwicklung, erlebt seit der Wahl von 1997 und dem Antritt der Regierung Blair “a period of unprecedented constitutional change” (Hazell 1999b: 230). Die neue Regierung brachte bereits im Parlamentsjahr 1997/98 zwölf Gesetzesvorschläge ein, denen ein verfassungsändernder Charakter zugesprochen wurde. Damit stellte sie einen Rekord in der britischen Verfassungspolitik und Parlamentsgeschichte auf (Haze11/Cornes 1999: 3). Seither sind zahlreiche weitere Gesetzesvorschläge gefolgt und z. T. bereits verabschiedet worden.¹ “We are”, so der Premierminister, “committed to a comprehensive programme of constitutional reform” (Blair 1997). Es enthält

• weit reichende Autonomierechte für die kleineren Nationen im Vereinigten Königreich (Selbstregierung für Schottland und Nordirland sowie Selbstverwaltung für Wales);

• die schrittweise Einführung einer regionalen Verwaltungs- und Politikebene in England;

• eine Reform der kommunalen Selbstverwaltung und die Rückkehr zu einer einheitlichen Administration für London;

• eine Reform der Arbeitsweise des Unterhauses;

• die Einrichtung einer neuen Zweiten Kammer, die an die Stelle des vom Erbadel geprägten House of Lords treten soll;

Eine erste Fassung dieses Aufsatzes ist in der Zeitschrift Politische Studien unter dem Titel “Verfassungskritik und Verfassungsreform in Großbritannien” erschienen (51. Jg., Heft 371, Mai/Juni 2000, S. 82–97). Ich danke André Kaiser, Klaus Stolz und Helmut Weber für die kritische Durchsicht und Kommentierung des damaligen Textes. Selbstverständlich liegt die Verantwortung für die neue Fassung allein bei mir.