Zusammenfassung
1994 — ein halbes Jahrzehnt bevor 1999 die deutschen Wissenschaftsorganisationen mit einem Memorandum zur „Förderung des Dialogs von Wissenschaft und Gesellschaft“ den Versuch unternehmen, ihre Verabschiedung aus der Öffentlichkeit zurückzunehmen — entschlossen sich vier deutsche Museen und Ausstellungshäuser und ein schweizer Museum mit dem Gemeinschaftsprojekt „Gen-Welten“ an die Öffentlichkeit zu treten.2 Für diese Idee sprachen eine Reihe gewichtiger Gründe: Die Radikalität des Streits, die Schärfe der öffentlichen Kontroversen, der rituelle Züge zeigende Schlagabtausch um die neue „zivilisationsprägende Wissenschaft“. (Koch, 1999, 58) Biowissenschaft mit ihren kulturellen und gesellschaftlichen Herausforderungen legten die Überlegung nahe, einen Ort für Diskurs und Auseinandersetzung jenseits der üblichen Institutionen zu bieten. Die zahlreichen Zukunftsentwürfe über genmanipulierte Natur und genmanipuliertes Lebensdesign, in grellen Farben von Kritikern und Gegnern gleichermaßen ausgemalt, riefen Ängste ebenso wie Heilserwartungen in der Öffentlichkeit hervor. In dem Maße, wie sich die Erkenntnis verbreitete, dass der Ausbau der Gentechnik alle angeht, wuchsen Unsicherheit, Skepsis und Misstrauen gegen die Berichte und Verlautbarungen aus den Lagern der Befürworter wie der Kritiker. Die Diskussion um Pro und Contra der Gentechnik hatte für die Öffentlichkeit ein hohes Maß an Undurchschaubarkeit erreicht. Dass die Welt der Forschung und ihre Experten zudem innige Verbindungen mit der Welt des Geschäfts und Marktes im „Zeitalter der Bio-Macht“ (Emmrich, 1999) eingegangen waren, blieb angesichts der in rascher Folge spektakulär aufgemachten Berichte und Selbst-Inszenierungen gentechnischer Forscher und „Gen-Jäger“ zumal im Themenbereich Tier- und Menschenklonierung der Öffentlichkeit nicht verborgen. Das stabilisierte Skepsis und Misstrauen gegenüber den Verheißungen aus der Expertenwelt, verstärkt zudem noch durch völlig konträre Aussagen aus den beiden Lagern zu ein und dem gleichen gentechnischen Sachverhalt und ihren behaupteten Folgen. Den in der Öffentlichkeit brodelnden Debatten um Gutes und Schlechtes der Gentechnik ein öffentliches Forum im musealen Raum zur Gewinnung rationellerer Sichtweisen und eigener Urteilsfähigkeit zu bieten, erschien plausibel.
„Wie etwas funktioniert, ist die Kinderfrage, die durch Besuch von Technikmuseen, Schulunterricht, Zeitungs- und Buchlektüre ausreichend beantwortet werden kann. Die berechtigte Frage des Bürgers ist diejenige nach Anwendungen, Kosten, Gewinnen, Nebenwirkungen, Zusammenhängen (...) Hier liegt der Bedarf an Aufklärung.“ (Aus einem Zirkelbrief für die Mitglieder der Preußischen Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert)1
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Zitierte Literatur
Albrecht, Jörg: Reisen durch die Welt der Gene, in: DIE ZEIT, Nr. 17, April 1998
Emmrich, Michael: Prometheus in der Lindenstraße. Fünf Museen schicken ihre Besucher durch „Gen-Welten“., in: Frankfurter Rundschau, April 1998
Emmrich, Michael (Hg.): Im Zeitalter der Bio-Macht. 25 Jahre Gentechnik — eine kritische Bilanz, Frankfurt am Main, 1999
Gegenworte. Zeitschrift für den Disput über das Wissen, 3. Heft, Frühjahr 1999
Koch, Claus: Ein Publikum, das diesen Namen verdient, haben die Wissenschaften nicht, in: Gegenworte, a.a.O., S.58
Lorenz, Renate: Eingetragene Warenzeichen. Gentechnikkritik & Kunst/ Ausstellungspraxis, in: Ressler, Oliver: geGen-Welten. Widerstände gegen Gentechnologien, Wien, 1998
Ressler, Oliver: Gen-Welten, in: Gen-ethischer Informationsdienst, GID, Nr. 131, Februar 1999
Weingart, Peter: Aufklärung „von oben“ oder Pflege des Dialogs. Die plötzliche Entdeckung von „Public Understanding of Science“ in Deutschland, in: Gegenworte, a.a.O., S.64
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Seltz, R. (2000). Gen-Welten. Leben aus dem Labor?. In: von Schell, T., Seltz, R. (eds) Inszenierungen zur Gentechnik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83357-0_8
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