„Jumps — Cuts — Links“. Ästhetische Antizipationen der neuen Medien

Zusammenfassung

„Dieses wird jenes töten. Das Buch wird das Gebäude töten“, so läßt Victor Hugo seinen Erzdechanten in Notre Dame de Paris räsonnieren.¹ Dieser verleiht mit solchen Worten, so erläutert der Erzähler, zweierlei Ausdruck: seiner Angst vor den Auswirkungen des Buchdrucks auf den Bestand der Kirche, zugleich aber der Aussicht auf die künftig leichtere Verbreitung des Worts und die neue Form menschlichen Denkens, die die Buchdruckerkunst beflügeln werde. Die Worte des Erzdechanten sind in unserem Jahrhundert wiederholt nachgesprochen worden, zuerst von Béla Balázs, der in seiner frühen Theorie des Films von 1924 dem Kinematographen nun die Rolle zuschreibt, die im Roman Hugos die Druckerkunst gegenüber den Kathedralen innehatte. Einsinnig aber statt doppelsinnig ist die Aussage hier: Der Kinematograph, von dessen Wirkung auf die menschliche Kultur Balázs so überzeugt war wie Hugo von der der Druckerpresse, werde der „begrifflichen Kultur“, die der Buchdruck befördert hatte, eine „neue Wendung zum Visuellen“ mitteilen.² Der Kunst des Kinematographen aber verblieben gerade noch drei Jahrzehnte, bis sie sich ihrerseits durch das rasche Ausbreiten des Fernsehens in ihrer Existenz in Frage gestellt fand. Und heute droht, will man Schlagzeilen und Konferenztiteln Glauben schenken, dem Fernsehen eine gleiche Verdrängung, wie sie der Film durch das Fernsehen erfahren hatte. In den Mittelpunkt der Medienentwicklung ist der Computer gerückt; ein „Ende des Fernseh-Zeitalters“ und die „Zukunft der Television im Internet“ werden allenthalben beschworen. Die Erfahrungen aber, die wir seit Hugos Zeiten mit dem Wandel der Medien haben, sind ja andere als die von Tötungsaktionen, gänzlichen Verdrängungen oder Ablösungen — und dies in mehrfacher Hinsicht.