Der amerikanische Traum

Zusammenfassung

Die Tiefenhermeneutik stellt eine sozialwissenschaftliche Methode dar, die von jener problematischen Form der angewandten Psychoanalyse zu unterscheiden ist, die gesellschaftliche Verhältnisse psychologisiert und pathologisiert. Die Ursache hierfür liegt darin, daß auf das Terrain des Sozialen Theoriefragmente erklärend angewandt und „das Ödipale“ oder „der Narzißmus“ in dem hinter dem kulturellen Sinnangebot stehenden Autor oder in den von ihm geschaffenen fiktiven Handlungsfiguren „entdeckt“ werden. Im Unterschied dazu subsumiert die tiefenhermeneutische Kulturanalyse (vgl. Lorenzer 1981, 1982, 1986; Würker 1990; Haubl 1991a und König 1992b) kulturelle Objektivationen nicht unter Theoriebruchstücke der psychoanalytischen Neurosenlehre und Metapsychologie, sondern sucht sie unter Zuhilfenahme der Methode des psychoanalytischen Interpretierens zu verstehen. Die Eigenart dieser Verfahrensweise hat Lorenzer im Unterschied zum logischen Verstehen von Sätzen und zum psychologischen Verstehen der Person des Sprechers — als ein „szenisches Verstehen“ von Beziehungsfiguren auf den Begriff gebracht -, die sich zwischen Analytiker und Analysand, zwischen Interpret und Text herstellen (vgl. Lorenzer 1970, S. 138ff.; 1974, S. 105ff.). Dabei geht es darum, daß der Interpret seine Lebensentwürfe als Vorannahmen einsetzt, um die in den kulturellen Sinnangeboten in Szene gesetzten Lebensentwürfe zu entziffern. Die Aufarbeitung der horizontalen Verstehensdifferenz zwischen den eigenen und den fremden Lebensentwürfen steht im Dienste der Aufdeckung der vertikalen Differenz zwischen den bewußten und den unbewußten Lebensentwürfen, die verhaltenswirksam, aber aus Sprache ausgeschlossen sind. Der sich auf bewußte Lebensentwürfe richtende Verstehensprozeß vermag die Grenze der Sprache dadurch zu überwinden, daß der Interpret sich auf eine „unmittelbare Teilhabe“ einläßt, indem er sich mit den Inhalten des kulturellen Angebots identifiziert und die Rollen übernimmt, die ihm zugespielt werden. Auf der Grundlage dieser erlebnismäßigen Anteilnahme vermag der Interpret die unbewußten Lebensentwürfe bewußt zu machen und damit auch szenisch zu verstehen. Wie in der von Lorenzer entwickelten tiefenhermeneutischen Literaturinterpretation geht es daher auch in der tiefenhermeneutischen Medienanalyse darum, daß der Forscher die eigene Subjektivität als Erkenntnisinstrument einsetzt, um über die Wirkung auf das eigene Unbewußte die über das Medienangebot in Szene gesetzten, aber aufgrund ihrer sozialen Anstößigkeit nicht verbaüsierbaren Lebensentwürfe zu verstehen.