Zusammenfassung
Obwohl Camillo Sittes katholisch-liberales Elternhaus in Wien zum deutsch-österreichischen Bildungsbürgertum gehörte, war es wegen des ausgeprägten künstlerischen Selbstverständnisses des Vaters nicht dem Zentrum der Wiener Gesellschaft zuzurechnen. Schon die Berufsbezeichnung des Vaters Franz Sitte als »Privatarchitekt« deutete auf die Spannung zwischen der Tradition des freien Baumeisters und dem Übergang zum modernen, staatlich geprüften Architekten hin.1 Der 1818 im nordböhmischen Weißkirchen geborene und 1876 in Wien gestorbene Vater war ein geachteter Kirchenbauer und Restaurator, aus dessen Ehe mit der dreizehn Jahre älteren, aus Niederösterreich stammenden Schuhmacherstochter Theresia Schabes am 17. April 1843 der einzige Sohn Camillo hervorging. Zeitgenossen berichten übereinstimmend von der frühen Mitarbeit Camillos im Atelier des Vaters, von dem er auch den Auftrag zum Bau der Wiener Mechitaristenkirche von 1871 an übernahm, einem der wenigen realisierten Bauwerke Camillo Sittes. Franz Sitte wollte, daß sein Sohn die Laufbahn eines freien Künstlerarchitekten einschlug. Als Camillo 1875 aus wirtschaftlichen Gründen wegen seiner bevorstehenden Heirat die Verbeamtung als Leiter der neugegründeten Salzburger Staatsgewerbeschule von 1875 annahm, reagierte der Vater äußerst enttäuscht.2
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Anmerkungen
Vgl. Carl E. Schorske, Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de siècle. (1980). Frankfurt am Main 1982, S. 62
Vgl. Robert A. Kann, Geschichte des Habsburgerreiches 1526–1918. (3. Aufl.) Wien, Köln, Weimar 1993, S. 315 f
Wolfgang Götz, Historismus. Ein Versuch zur Definition des Begriffes, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft. Band XXIV, Jahrgang 1970. S. 196–212, bes. S. 211
Über Sittes späten Entwurf einer Universalkunstgeschichte vgl. S. 171 ff
Wagner schrieb: »Unsere moderne Bildhauerkunst entkeimte nicht dem Drange nach Darstellung des wirklich vorhandenen Menschen, den sie durch seine modische Verhüllung kaum zu gewahren vermochte, sondern dem Verlangen nach Nachahmung des nachgeahmten, sinnlich unvorhandenen Menschen.« Richard Wagner, Das Kunstwerk der Zukunft, (1849), in: Gesammelte Schriften und Dichtungen. Verlag E.W. Fritzsch, 2. Aufl. Leipzig 1887, Bd. 3, 5.138
Albert Fuchs schrieb in seiner österreichischen Geistesgeschichte: »Auf dem Höhepunkt seiner Macht war der Liberalismus imstande, den römischen Glauben in den Intelligenzkreisen weit zurückzudrängen. Um 1870 existierte keine nennenswerte Literatur mit katholischer Orientierung, die gesamte »große« Presse war liberal, an den Universitäten lehrten in überwältigender Majorität liberale Professoren. Nur in gewissen städtischen Unterschichten (am wenigsten im eigentlichen Proletariat) und auf dem Lande erhielt sich die Anhänglichkeit an die Kirche.« Albert Fuchs, Geistige Strömungen in Osterreich 1867–1918. (1949). Wien 1984. S. 68
A. Teichlein, Zur Charakteristik Wilhelm von Kaulbach’s, in: Zeitschrift für Bildende Kunst, 1876, S. 264. Zitiert nach Michael Brix/Monika Steinhauser, Geschichte allein ist zeitgemäß. Historismus in Deutschland. Lahn-Gießen 1978. S. 272
C.S., Das Inquisitionsgericht von Kaulbach. Neues Wiener Tagblatt (NWT), 2. 1. 1871, Inv.-Nr. 136. Alle folgenden Zitate ebd.
Peter von Arbues, eigentlich Pedro de Arbues (um 1441–1485), Chorherr an der Kathedrale von Zaragoza, von 1481 an erster Inquisator für Aragonien, besonders gefürchtet wegen seines Fanatismus. Er wurde von der Kirche 1664 selig-und 1867 heiliggesprochen
C.S., Matejkos neuestes Bild. NWT, 10. 10. 1872, Inv.-Nr. 141. In diesem, eigentlich dem polnischen Historienmaler Jan Matejko (1838–1893) gewidmeten Artikel geht Sitte ausführlich auf Kaulbach ein.
Hermann Schlösser (1832–1894), deutschrömischer Historien-, Akt-, Bildnismaler und Bildhauer
C.S., Kunstbericht. NWT, 20.1. 1873, Inv.-Nr. 142
Über die österreichische Literatur vgl. Robert A. Kann, Geschichte des Habsburgerreiches 15261918, a.a.O., S. 338
C.S., Makart. Eine Studie. NWT, 19.8. 1871, Inv.-Nr. 135. Der Text setzt sich in der ersten Hälfte aus einem veröffentlichten Bericht im NWT und in der zweiten Hälfte aus einem Manuskript Sittes zusammen. Alle folgenden Zitate ebd.
Die erste Weltausstellung fand 1851 in London statt; danach folgten Paris 1855, London 1862, Paris 1867. Die erste Ausstellung, die Sitte selber besucht hat, war vermutlich Wien 1873, also sieben Jahre nach seiner Schrift über Makart. Vgl. S. 140 ff
Den Mangel an Modellfreiheit kritisiert Sitte bei Makart, aber auch bei Böcklin in dem Aufsatz: C.S., Ein merkwürdiges Bild. NWT, 4. 10. 1887. Inv.-Nr. 247. Vgl. S. 125 ff
C.S., Aus dem Künstlerhause. NWT, 29. 1. 1874, Inv.-Nr. 130
Vgl. Allan Janik, Stephen Toulmin, Wittgensteins Wien. (1973) München 1984, S. 41–81. Obwohl die Autoren überwiegend einen späteren Zeitraum darstellen, zählt ihr Kapitel über »Das Wien Kaiser Franz-Josephs, Stadt der Widersprüche« zu einem der besten Rückblicke auf die sogenannte »gute alte Zeit« vor dem Fin de siècle.
Aus der Vielzahl der Literatur über Kunsttheorie im 19. Jahrhundert seien stellvertretend zwei Überblickswerke genannt: Ernst Meumann, Einführung in die Ästhetik der Gegenwart. (1908). Leipzig 1919. 5.11 f.; Stephan Nachtsheim, Kunstphilosophie und empirische Kunstforschung 1870–1920. Berlin 1984. S. 34 ff
C.S., Unter Platonikern. NWT, 21.3. 1874, Inv.-Nr. 149
Auch bei Böcklin kritisiert er den »Zwiespalt zwischen idealem Stoff und realistischer Form«, vgl. C.S., Ein merkwürdiges Bild. NWT, 4. 10. 1887, Inv.-Nr. 247
So thematisierte beispielsweise der einflußreiche Kunstkritiker Friedrich Pecht (1814–1903) vor allem die immanenten Gesetze der Wahrscheinlichkeit, Glaubwürdigkeit und Logik des Bildes als ästhetische Kriterien. Vgl. Michael Bringmann, Friedrich Pecht. Maßstäbe der deutschen Kunstkritik zwischen 1850 und 1900. Berlin 1982. S. 120 f
C.S., Kunstbericht. Vierte internationale Ausstellung I. NWT, 16.4. 1872, Inv.-Nr. 140. Alle folgenden Zitate ebd.
Vgl. Martin Seel, Eine Ästhetik der Natur, Frankfurt am Main 1991, S. 23 f
Pradilla y Ortiz (1848–1921), Historienmaler, bekannt für seine tiefenräumlich aufgebauten, theatralischen Bilder. Daneben malte er auch kleinformatige, realistische Genreszenen, über die Sitte hier spricht.
C.S., Die Ausstellung im Künstlerhause. NWT, 2.4. 1892, Inv.-Nr. 166
Vgl. Klaus Herding, Realismus als Widerspruch. Die Wirklichkeit in Courbets Malerei, Frankfurt 1978
C.S., Die Sensations-Venus. NWT, 12.2. 1872, Inv.-Nr. 138. Alle folgenden Zitate ebd.
C.S., Ein merkwürdiges Bild. NWT, 4. 10. 1887, Inv.-Nr. 247. Alle folgenden Zitate ebd.
Vgl. Jochen Schmidt, Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750–1945. Darmstadt 1985, 2.Band, S. 169 ff
Vgl. Otto Stelzer, Die Vorgeschichte der abstrakten Kunst. A.a.O., S. 37
Ernst Brücke, Schönheit und Fehler der menschlichen Gestalt. Wien 1891, S. 2
Vgl. Zeitschrift für bildende Kunst I. 1866. 5. 247
Vgl. Detta und Michael Petzet, Die Richard Wagner-Bühne Ludwigs II. München 1970, S. 228–243. Über die Bühnenbilder der Brüder Bruckner vg. Michael Petzet, Das Brücknersche Atelier in Coburg und der erste Bayreuther »Ring« von 1876, in: Beiträge zur Denkmalkunde. Tilmann Breuer zum 60. Geburtstag. Arbeitsheft 56. Bayrisches Landesamt für Denkmalpflege. München 1991, S. 79–105
C.S., Hoffmanns Landschaften im Saale der Handelsakademie. NWT, 5.6. 1873, Inv.-Nr. 144. Folg. Zit. ebd.
C.S., Josef Hofmanns [sic!] Reisebilder. Constitutionelle Vorstadt-Zeitung, 29. 10. 1886, Inv.Nr. 248
C.S., Joseph Hoffmann. NWT, 18. 1. 1900, Inv.-Nr. 176
Georg Simmel, Philosophie der Landschaft (1913), in: Das Individuum und die Freiheit. Berlin 1984. S. 133
Dabei handelt es sich allerdings um eher metaphorische Umschreibungen und nicht um strukturelle Analogien. C.S., Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. (1889) Braunschweig/ Wiesbaden 1983. Die Musikmetaphern finden sich auf den Seiten 12, 17, 51, 162, 199.
Vgl. Kurt Schawelka, Klimts Beethovenfries und das Ideal des »Musikalischen«, in: Jürgen Nautz/ Richard Vahrenkamp (Hg.), Die Wiener Jahrhundertwende. Einflüsse, Umwelt, Wirkungen. Wien, Köln, Graz 1993. S. 559 ff. Die weitere Entwicklung hin zur modernen Musik und Kunst bei: Dieter Bogner, Musik und bildende Kunst in Wien, in: Karin von Maur, Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts. München 1985. S. 346 ff
Hans Belting, Die gemalte Natur, in: Kunst um 1800 und die Folgen. Werner Hofmann zu Ehren. München 1988. S. 170
Joachim Ritter, Landschaft. Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft, in: Subjektivität. Frankfurt am Main 1974. S. 153 f
Richard Wagner, Das Kunstwerk der Zukunft, in: Gesammelte Schriften und Dichtungen. Verlag E.W. Fritzsch, Leipzig 1887. Bd. 3, 5.146 f. Über Sitte und Wagner vgl. S. 81 ff
Vgl. Stefan Kunze, Richard Wagners Idee des »Gesamtkunstwerks«, in: Helmut Koopmann/J.A. Schmoll gen. Eisenwerth. Beiträge zur Theorie der Künste im 19. Jahrundert. Frankfurt a.M. 1972. Bd. 2. S. 214
C.S., Beobachtung über bildende Kunst, besonders über Architectur, vom Standpuncte der Perspective. Unveröff. Ms. dat. v. 12.2. 1868. Inv.-Nr. 249. Vgl. S. 117 ff.
Eine umfassade Darstellung von Schinkels Panoramen bei Franz Kugler, K.F. Schinkel. Eine Charakteristik seiner Künstlerischen Wirksamkeit. Berlin 1842, S. 18 u. S. 137–152. Überblicksdarstellungen bei Hermann Pundt, Schinkels Berlin. Frankfurt/Berlin/Wien 1981. S. 116–119; ebenso bei Stephan Oettermann, Das Panorama. A.a.O., S. 158–160
Vgl. Elisabeth Pfeil, Großstadtforschung. Entwicklung und gegenwärtiger Stand. Hannover 1972. S. 313
Einer der ersten, der sich vom zweidimensionalen Wahrnehmungsraster und dem damit verbundenen Bedeutungszwang freimachte, war Schinkel. Als Theater-und Panoramamaler kam er zu,malerischen` Eindrücken.« Stefan Fisch, Stadtplanung im 19. Jahrhundert. Das Beispiel München bis zur Ara Theodor Fischer. München 1988, S. 132
C.S. Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. Wien 1889. Reprint der 4. Auflage von 1909. Braunschweig/Wiesbaden 1983
Vgl. Daniel Wieczorek, Camille Sitte et les débuts de l’urbanisme moderne. Brüssel 1981. S. 184. Wieczorek leitet diese, dem Strukturalismus entstammende Kategorien aus Sittes Hauptwerk ab und zieht überdies Prinzipien aus Wölfflins »Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen« heran.
Vgl. Ernst Meumann, Einführung in die Ästhetik der Gegenwart. Leipzig 1908.3. Aufl. 1919. S. 18 f
Adolf von Hildebrand, Das Problem der Form in der bildenden Kunst. 1893. Neuauflage BadenBaden/Strasbourg 1961. S. 18
Es ist in seinem (Hildebrands, A.d.V.) Buch von durchaus einfachen Dingen die Rede, von Dingen, die vielleicht mancher selbstverständlich findet. Sie waren auch einmal selbstverständlich, und der künstlerische Instinkt fand das Richtige, ohne daß es in ein Gesetz formuliert zu werden brauchte. Heutzutage aber scheint dieser Instinkt in weiten Kreisen fast völlig verloren oder verdorben zu sein.« Heinrich Wölfflin, Ein Künstler über Kunst (1893), in: Kleine Schriften. Basel 1946. S. 84
Rights and permissions
Copyright information
© 1998 Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig/Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Mönninger, M. (1998). Malerei, Landschaft, Bühnenbild. In: Vom Ornament zum Nationalkunstwerk. Vieweg+Teubner Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-83017-3_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-83017-3_2
Publisher Name: Vieweg+Teubner Verlag
Print ISBN: 978-3-322-83018-0
Online ISBN: 978-3-322-83017-3
eBook Packages: Springer Book Archive