Zusammenfassung
Wer in unseren Breitengraden an Verträge denkt, sieht sich in der Warteschlange im Supermarkt. Die vertraute Situation an der Ladenkasse offenbart die Alltäglichkeit von Konsensen, d.h. der Einigung aller Beteiligten, die als ein zentraler und, wie es zunächst scheint, verbindender Baustein in Vertrags- wie auch Diskurstheorien fungiert2. Bestünde diese Gemeinsamkeit tatsächlich, so würde sich darin eine Chance bieten, um zwischen den bisher unversöhnlichen Forschungsrichtungen der rationalen Entscheidung einerseits (rational choice), also demjenigen Paradigma, das diverse Strömungen der ökonomischen Theorie nach wie vor eint, und diskursiver Rechtsbegründung andererseits, verstanden als Basistheorie des demokratischen Verfassungsstaates3, zu vermitteln. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich das vermeintlich Gemeinsame und Verbindende aber als trügerisch. Die Theoriegruppen unterscheiden sich nicht nur grundlegend in ihrem Konsensverständnis, sondern der Konsens spielt im normativen Begründungsprogramm der Theorien auch eine weit weniger tragende Rolle als es deren Kennzeichnung als ‘Konsenstheorien’ zunächst vermuten läßt. Beginnend mit der Situation an der Ladenkasse soll diese konvergenzskeptischen These im folgenden belegt werden.
Der Beitrag ist Zuerst erschienen in Rechtstheorie 34 (2002). S. 43–59. Wir danken für die freundliche Genehmigung des wiederabdrucks.
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Tschentscher, A. (2003). Der Konsensbegriff in Vertrags- und Diskurstheorien. In: van Aaken, A., Schmid-Lübbert, S. (eds) Beiträge zur ökonomischen Theorie im Öffentlichen Recht. Ökonomische Analyse des Rechts. Deutscher Universitätsverlag. https://doi.org/10.1007/978-3-322-81480-7_6
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