Zusammenfassung
Seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts werden im Rahmen der Förderung von Chancengleichheit linguistische Untersuchungen zu Bewerbungsgesprächen angefragt, um zur Aufdeckung sozial bzw. kulturell geprägter, unbewusster sprachlicher Mechanismen beizutragen (vgl. Gumperz/Jupp/Roberts 1979; Jupp/Roberts/Cook-Gumperz 1982). Linguistische bzw. gesprächsanalytisch orientierte Studien aus Ländern wie den USA (zum Beispiel Akinnaso/Seabrook Ajirotutu 1982), Schweden (Adelswärd 1988), Holland (Komter 1991), Israel (Adelswärd/Ziv 1995), Großbritannien (zum Beispiel Button 1992) und Deutschland (zum Beispiel Lepschy 1995; Kern 2000; Birkner 2001) befassen sich seit mehr als zwanzig Jahren mit der Untersuchung von Bewerbungsgesprächen. Die internationale Forschung verweist auf die globale Bedeutung von Kommunikation im Bewerbungsgespräch, denn in dieser gatekeeping-Situation (vgl. Erickson/Shultz 1982) entscheidet kommunikatives Verhalten über die Allokation von sozialen Gütern bzw. Positionen und über den Zugang zu institutionellen Milieus, wie Institutionen oder Organisationen (Knoblauch 1995: 183). Das weiter anhaltende Interesse, Bewerbungsgespräche zu untersuchen, zeigt auch, dass vor dem Hintergrund internationaler Entwicklungen, etwa der durch Migration entstehenden kulturell diversen Zusammensetzung von Gruppen in unterschiedlichen Lebens- und Arbeitszusammenhängen, bisherige Forschungsergebnisse unzureichend erscheinen. Beispielsweise wurde in Untersuchungen kulturell diverser Settings die Vorab-Setzung kultureller Relevanz grundsätzlich kritisiert.
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Literatur
Die Studien von Kern (2000) und Birkner (2001) sind Teile eines Forschungsprojekts und beziehen sich auf die gleiche Datenbasis (vgl. auch Kapitel 1. 2).
Weitere wichtige Arbeiten zu Bewerbungsgesprächen, auf die im nachfolgenden Überblick referiert wird, sind die von Grießhaber (1987a, b) im konzeptionellen Rahmen der Funktionalen Pragmatik (vgl. Ehlich/Rehbein 1979) durchgeführte Untersuchung sowie das linguistisch fundierte Handbuch von Roberts (1985) „The interview game and how it’s played“.
Komters (1991) Untersuchung basiert auf 35 Bewerbungsgesprächen für 16 verschiedene Stellen in zehn holländischen Organisationen aus Bereichen wie Sekretariat, Verkauf oder Küche. Der Studie von Adelswärd (1988) liegen 48 Audioaufnahmen von Bewerbungsgesprächen, die von zwei Einstellungsteams mit jeweils 24 Kandidaten geführt wurden, für Traineepositionen in einer großen schwedischen Firma zugrunde. Die Daten von Kern (2000) und Birkner (2001) bestehen aus 41 authentischen Bewerbungsgesprächen aus sieben deutschen Unternehmen fur Bereiche wie EDV, Sekretariat, Archiv.
Die Untersuchung von Akinnaso/Seabrook Ajirotuto (1982) beruht auf 12 im Rahmen eines Schulungskurses aufgezeichneten Bewerbungsgesprächen. Lepschys (1995) Materialbasis umfasst sieben, 15–20 Minuten lange Rollenspiele, die im Rahmen von Bewerbungstrainings erstellt wurden.
Von diesen gemeinsamen Grundlagen abweichend kennzeichnet Grießhaber (1987a: 24) das Bewerbungsgespräch als konkreten Fall des Diskurstyps,Entscheidungen treffen’.
Birkner (1997: 448) sieht darin eine „Überbetonung der Kooperation“, die im Zusammenhang mit der Praxis von Bewerbungstrainings als sinnvoller Zweckoptimismus fungiert. Vgl. dazu, dass das Ziel der sprechwissenschaftlichen Studie von Lepschy (1995), die Verbesserung der kommunikativen Lebensrealität der Bewerbenden, in die Leitfrage mündet, welche Handlungsmöglichkeiten Bewerbende haben, um gelingend an einem Bewerbungsgespräch teilzunehmen (ebd.: 16), und damit über den deskriptiven linguistischen Rahmen hinausgeht.
Bei Lepschy (1995) spielen Aspekte der Doppelstruktur des Bewerbungsgesprächs zwar im Hinblick auf indirekte Fragen eine gewisse Rolle, jedoch werden widersprüchliche Anforderungen an die Selbstdarstellung der Bewerbenden vor allem wegen der Annahme einer egalitären Ausgangslage der Beteiligten nicht entfaltet.
Roberts (1985) Kriterienkatalog vermittelt den Anschein einer unhinterfragten prädeterminierten Bewertungsgrundlage.
Akinnaso/Seabrook Ajirotutu (1982: 124) verweisen auf unter der Oberfläche liegende Bedeutungen als Quelle von Missverständnissen und Kommunikationsstörungen (vgl. Kapitel 1. 2).
Lepschy (1995) stuft strukturelle Asymmetrie am stärksten zugunsten kooperativer Vorstellungen herab. Das zeigt sich in ihrer zentralen Charakterisierung des Bewerbungsgesprächs als „wechselseitige Verständigungshandlung“.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Lepschy (1995: 319 f.), die die thematische Phasierung und Strukturierung konventionell zu den Rechten der Einstellenden zählt, aber die Gestaltung der Sequenzstruktur, das heißt die lokale Gesprächsorganisation und Themenbearbeitung, als Steuerungsmöglichkeiten der Bewerbenden ansieht.
Von dieser Anordnung unterscheidet sich am stärksten die von Grießhaber (1987a: 27) vor dem methodischen Hintergrund der funktionalen Pragmatik (Ehlich/Rehbein 1979) herausgearbeitete Phasenstruktur (1 Gewinnung eines Eindrucks, 2 hypothetische Einschätzung, 3 hypothetisches Bild, 4 Entscheidung, 5a Ratifizierung, 5b Einweisungsvorbereitung, 6 Bekanntgabe).
Der Begriff,Passung` stammt aus der Personalwirtschaft (vgl. Krauß/Kurtz 1986: 380; Lepschy 1995: 75 f.).
Dass Komters Annahme, die Darstellung der zu besetzenden Stelle gehe der Selbstdarstellung der Bewerbenden voran, durchaus nicht die Regel ist, schreibt Birkner (2001: 87).
Im Rahmen ihrer Zieldefinition, wechselseitige Passungsüberprüfung, versucht Lepschy (1995), Möglichkeiten der gleichberechtigten Teilhabe der Bewerbenden an gesprächsorganisatorischen Prozessen wie dem Sprecherwechsel und der Themenentwicklung aufzuzeigen.
Die Maximen lauten: „Give credit. Be positiv. Be specific, but qualify. Be personal, but not too personal. Be relevant.“ (Adelswärd 1988: 102 )
Auf den aktiven Beitrag der Einstellenden zur Herstellung von Konvergenz (vs. Divergenz) verweist auch Grießhaber (1987a). Grießhaber stellt allgemein fest, dass die positive Beeinflussung des Bewertungssystems der Einstellenden durch die Bewerbenden wesentlich in Form einer Begründung erfolgt, die von den Einstellenden nicht explizit angefordert wird. Probleme türkischer Bewerber führt Grießhaber auf geringe Sprachkenntnisse sowie die kulturelle Nichtvertrautheit mit der Diskursart zurück, da die implizit verlangte Ebene der Begründung nicht realisiert und defensiv auf Initiativen der Einstellenden reagiert werde.
Vgl. dazu die richtungweisende Studie von Kern (2000). Kern untersucht Selbst-und Fremdperspektivierungen unter dem Gesichtspunkt „Kultur in Bewerbungsgesprächen“.
Die Studie von Grießhaber (1987a, b) basiert auf acht authentischen, zehnminütigen Bewerbungsgesprächen von deutschen und türkischen Bewerbenden für eine Lehrstelle im Lebensmitteleinzelhandel.
Das Konzept,Diskursstrategien` basiert auf der Annahme konventionalisierter Kontextualisierungsverfahren. In Kapitel 2. 1 wird die von Gumperz (1982a) begründete Kontextualisierungsforschung grundlegend ausgeführt.
Aufgrund dieser Effekte der Abwertung und Stereotypisierung, die im Zusammenhang mit gatekeeping-Situationen besonders zerstörerisch wirken können, wurden Kommunikationstrainings bevorzugt auf das Verhalten in Schleusensituationen, wie dem Bewerbungsgespräch, ausgerichtet. Beispielsweise entwickelten Gumperz und seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Trainingsprogramme zur Implementierung von Chancengleichheit für Angehörige von Minderheiten und für Angehörige der Mehrheitskultur, die häufig gatekeeper waren (vgl. Jupp/Roberts/Cook-Gumperz 1982: 256). Ziel der Trainings war die Entwicklung von Sensibilität, um eigenes Verhalten in Frage stellen zu können bzw. andere nicht nach eigenen Maßstäben zu beurteilen (vgl. Roberts/Sayers 1987). Die Trainingsprogramme wurden jedoch aus verschiedenen Richtungen kritisiert. Zum einen wurde in der Schulung von Minoritätsangehörigen Ethnozentrismus bzw. Anpassung an die Normen der Majoritätskultur vermutet (vgl. Singh/Martohardjono 1985). Zum anderen wurde aufgrund gehäufter Trainings von Angehörigen westlicher Kulturen im Hinblick auf den Umgang mit Angehörigen nicht-westlicher Kulturen als zugrunde liegende Annahme vermutet, dass Angehörige nicht-westlicher Kulturen nicht anpassungsfähig und inaktiv, demgegenüber Angehörige westlicher Kulturen flexibel, aktiv und dynamisch seien (vgl. Blommaert 1991; Auer 1998a).
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Pache, I. (2004). Revisionen: Bewerbungsgespräche in der linguistischen Forschung. In: Gefährdete Reziprozität. SPRACHWISSENSCHAFT. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-81317-6_2
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