Zusammenfassung
Der Einfluss des cultural turn auf die Verfassungstheorie wird insbesondere daran deutlich, dass Verfassungen nicht mehr allein in ihrer erwartungsstabi-lisierenden Funktion als Normen, sondern auch als Folie und unmittelbarer Bezugspunkt von gesellschaftlichen Selbstverständigungsdiskursen thematisiert werden. Der Unterschied von kulturwissenschaftlich vorgehenden Studien im Forschungsfeld der Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit zu klassischen Zugangsweisen spiegelt sich deshalb in einer Verschiebung des Analysefokus von der instrumenteilen zur symbolischen Dimension von Verfassungen. In diesem Forschungsfeld werden die Akzente durchaus unterschiedlich gesetzt (2.).1 Zuerst ist daran zu erinnern, wie bereits Georg Jellineks „Allgemeine Staatslehre„ erste Hinweise darauf liefert, weshalb die Sittlichkeit einer Gesellschaft durch Verfassungen symbolisch zum Ausdruck gebracht werden kann (2.1). Anschließend wird an Peter Häberles „Verfassungslehre als Kulturwissenschaft“ demonstriert, wie kulturelle Unterschiede durch funktional äquivalente Lösungen für die gleichen instrumenteilen bzw. staatsrechtlichen Probleme in den verschiedenen Verfassungen symbolisiert werden (2.2). Dagegen lässt sich an Marcelo Neves’ Theorie der „Symbolischen Konstitutionalisierung“ zeigen, inwieweit der von Murray Edelman entwickelte Begriff der symbolischen Politik auf Verfassungen angewendet werden kann, um die Institutionalisierung normativ wirkungsloser Verfassungen zu erklären (2.3).
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des von Hans Vorländer geleiteten Projekts „Verfassung als institutionelle Ordnung des Politischen“ am Sonderforschungsbereich 537 „Institutionalität und Geschichtlichkeit“ der TU Dresden.
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Brodocz, A. (2004). Die symbolische Dimension konstitutioneller Institutionen. Über kulturwissenschaftliche Ansätze in der Verfassungstheorie. In: Schwelling, B. (eds) Politikwissenschaft als Kulturwissenschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80964-3_7
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