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Part of the book series: Konstruktionen von Normalität ((KONST,volume 4))

  • 227 Accesses

Zusammenfassung

Normalität hat in meinem Leben von früher Kindheit an immer eine Rolle gespielt. Aufgewachsen in den 1950er und 60er Jahren in einer Familie, die — mütterlicherseits — davon geprägt war, sich nach der Flucht/Vertreibung aus Schlesien im Westen Deutschlands neu zu orientieren, soziale und ökonomische Verluste zu verkraften, sich in jeder Hinsicht neu einzurichten und in diesem Sinne ihr Leben zu normalisieren, wurde uns Kindern (Mädchen) allem voran ein angepasstes, sozial unauffälliges Verhalten nahe gelegt. Der Grad der sozialen Kontrolle in den ländlichen Strukturen Westfalens war allgemein hoch, und die Migranten (Flüchtlinge/Vertriebene) waren — das bekamen sie auf diese oder jene Weise zu spüren — von der einheimischen Bevölkerung nicht eben gerufen worden. Da hieß es beim kindlichen Austesten möglicher riskanter Verhaltensweisen schnell einmal: „Bist du denn noch normal?“ oder „Du bist wohl nicht normal“. Die Normalitätsgrenzen für das kindliche, später jugendliche Verhalten wurden klar gezogen, Extravaganzen waren in jeder Hinsicht unerwünscht. Aus dieser Beschränkung auf den inneren Kreis der Normalität resultierten meinerseits eine innerliche Kritik an der empfundenen Enge der Normalität und ein deutliches Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Nicht-Normalen, Fremden und mit nicht-normalen, ungewöhnlichen Menschen. Unterstützt wurde mein kindliches Interesse auf Seiten der väterlichen Familie durch die Konfrontation mit einer chronisch kranken (im heutigen Sinne auch körperbehinderten), pflegeabhängigen Großmutter, die — biographisch gesehen — mir die Möglichkeit bot, mit Anderssein, Nicht-Linearem, Nicht-Normalem konkret und angstfrei umzugehen. Das gesellschaftlich vorherrschende Muster der Orientierung an der Durchschnittsnorm bei gleichzeitiger Ablehnung allen sozialen Abweichens verkehrte sich bei mir im Laufe der Jahre — durch weitere prägende Erlebnisse mit dem gesamten Komplex von Krankheit/Behinderung — tendenziell ins Gegenteil. Positiv verstärkt wurde die Abkehr von der Durchschnittsnorm zunächst (wenn auch noch indirekt) durch die Studentenbewegung, später aber vor allem durch die Frauenbewegung der 70er Jahre, die geradezu dazu einlud, soziale Grenzen kritisch zu betrachten, auszutesten und kollektiv zu verschieben.

„ Normalität kommt vor. Sie bedeutet etwas. Es ist anzunehmen und davon auszugehen, dass sie vor allem Grenzen setzt. Sie betrifft auch diejenigen, die nichts von ihr wissen wollen. Die Grenzen verschieben sich oft. Es kommt zu partiellen Ausschlüssen wie zu partiellen Eingliederungen. Manche sagen, es bestehe keine Grenze, sie sei zumindest unscharf. Ich kann das als Entschuldigung nicht anerkennen. Oft wird auch mit Grenzwerten operiert, die Erweiterungen oder Präzisierungen darstellen. Doch die Begriffe lösen die Grenze nicht auf die Realität holt sich ihr Recht. Behindertenpädagoglnnen machen simulative Grenzüberschreitungen, dabei wird die Grenze als Legitimationsproblem fixiert.“

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© 2004 Leske + Budrich Opladen

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Schildmann, U. (2004). Einleitung. In: Normalismusforschung über Behinderung und Geschlecht. Konstruktionen von Normalität, vol 4. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80953-7_1

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-80953-7_1

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-8100-3951-4

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