Skip to main content

Demokratie als postheroische Ordnung

  • Chapter
Kontingenz und Dissens

Part of the book series: Studien zur politischen Gesellschaft ((SZPOLGES,volume 5))

  • 87 Accesses

Zusammenfassung

Die Idee politischer Generalzuständigkeit, in der Politik die Position des heroischen Problemlösers der Gesellschaft einnimmt, erweist sich als Mythos des Machbarkeitsvoluntarismus’ Alteuropas. Das politische System kann sich nicht auf die Einheitssemantiken rationalen Wissens, einer apriorischen Lebenswelt oder intersubjektiven Konsenses stützen, sondern bekommt in der Beobachtung seiner Umwelt stets nur sich selbst zu Gesicht. Wir werden im Folgenden versuchen, die klassischen Ordnungsvorstellungen und Selbstbeschreibungen der Moderne durch systemtheoretische Konstruktionen zu ersetzen, die einen ungewohnten, gleichwohl weniger voraussetzungsreichen Blick auf die Funktion des Politischen ermöglichen.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 49.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 64.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Literatur

  1. Vgl. Schmitt, 1987,44.

    Google Scholar 

  2. Vgl. Luhmann, 1968, 711; 1981: PTW, 81ff; 1987: SA4, 105f.; 1994: WDG, 337; 1997: PDG, 57f. Das ist begriffsgeschichtlich deswegen interessant, weil die Funktionsbeschreibung trotz autopoietischer Wende, also trotz der Radikalisierung des Systembezugs Anfang der achtziger Jahre, konstant geblieben ist. Die Theorie sozialer Systeme unterscheidet zwischen Funktion, Leistung, Reflexion eines Teilsystems und zwar in bezug auf Gesellschaft, andere Teilsysteme und Selbstbezug. Die Bereitstellung dieser Funktion auf andere Funktionssysteme der Gesellschaft wird als Leistung bezeichnet. Vgl. hierzu auch Ulrich, 1994, 105ff.

    Google Scholar 

  3. Vgl. Easton, 1957, 385f. Diese Fortschreibung ist wahrscheinlich weitgehend Luhmanns Parsonscher Prägung zuzurechnen. Anders Reese-Schäfer (2000, 146), der diese Definition als „mittlerweile unbestrittenes Gemeingut der Politiktheorie“ bezeichnet.

    Google Scholar 

  4. Reichel (1999, 505) zitiert Goebbels: „Das Volk soll anfangen, einheitlich zu denken, einheitlich zu reagieren und sich der Regierung mit großer Sympathie zur Verfügung zu stellen. “ Vgl. zur Formierung der „Volksgemeinschaft“ ebd. 514ff

    Google Scholar 

  5. So kritisiert Willke (1987, 290; 1994, 25), daß die zunehmende Autonomisierung der Teilsysteme zur rücksichtslosen Durchsetzung systemischer Partialinteressen und zur ungehemmten Freisetzung negativer Externalitäten auf Kosten kollektiver Güter führt.

    Google Scholar 

  6. So etwa Scharpf, 1989, 16.

    Google Scholar 

  7. Erst im kommunikativen Kontext sozialer Systeme entsteht wiederum Handeln bzw. Nichthandeln, hätten politische Kommunikationen also soziale Konsequenzen. Diese unterliegen aber ihrerseits nicht der intentionalen Kontrolle der psychischen Systeme. Vgl. hierzu ausführlich SA 6.

    Google Scholar 

  8. Vgl. etwa WDG, 334ff.

    Google Scholar 

  9. PDG, 57.

    Google Scholar 

  10. Vgl. Luhmann, 1993d, 53. Würde die bindungserzeugende Wirkung des Politischen primär in der normativen und legitimierenden Kraft einzelner Entscheidungen liegen, geriete Politik zunehmend unter Druck sehr schnell zu entscheiden, ohne zu wissen woraufhin.

    Google Scholar 

  11. Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß sich Politik in unterschiedlichen Formen des physisch abgesicherten Zwangs bedient. Nur bedeutet Zwang in differenzierten Gesellschaften lediglich temporäre Dissensunterdrückung und keine erfolgreiche Form der Bindung sozialer und psychischer Systeme. „Wo Befehlen nicht mehr gehorcht wird, sind Gewaltmittel zwecklos“, hat Arendt (1987, 50) festgestellt. Luhmann vernachlässigt hier die bereits vollzogene Autlösung der Droh- und Bindungskraft politischer Macht und die zunehmende Selbstreferentialität des Politischen.

    Google Scholar 

  12. Darauf verwies bereits Hondrich (1972, 9).

    Google Scholar 

  13. „Lineares Denken wird immer entweder den teleologischen Trugschluß (daß das Ende den Prozeß deteminiert) oder den Mythos von irgendeiner übernatürlichen Kontrollinstanz hervorbringen.“ Bateson, 1995, 80. Lewin (1993, 234f.) verweist darauf, daß das konzertierte Verhalten koevolvierender Systeme nicht auf Konsens basiert, sondern Ergebnis des dynamischen Verhaltens komplexer Systeme ist, in dem inviduelle Ziele stets weiterverfolgt werden.

    Google Scholar 

  14. Vgl. Marquard, 1981, 72. So definiert Hesse (1999, 205) „Handeln als Sich-tätig-zwischen-Alternativen-entscheiden.“

    Google Scholar 

  15. Siehe zum Pathos der Entscheidung auch III.4.

    Google Scholar 

  16. Der ambivalente Charakter dieser Funktionsbestimmung kann daher als ein zentrales Hindernis für die Anschluß- und Entwicklungsfähigkeit der Theorie des politischen Systems gelten. Luhmann (1984b, 102) relativierte die Definition der kollektiv bindenden Entscheidung zwar selbst einmal als teils zu weit, teils zu eng, hat sie aber nie weiter differenziert. In seiner letzten, erst posthum veröffentlichten Ausarbeitung zum politischen System, „Die Politik der Gesellschaft“, nimmt er nochmals eine Modifikation vor, in der er auf das „Bereithalten der Kapazität zu kollektiv bindendem Entscheiden“ (PDG, 57) abstellt. Damit wird die Funktion des Politischen zwar bereits potentialisiert und nicht mehr auf den Moment der Einzelentscheidung fixiert. Dennoch bleiben die oben aufgezeigten Widersprüche der kollektiven Bindung bestehen.

    Google Scholar 

  17. Entsprechend ist Grevens (1990/ 1999) Konzept einer „politischen Gesellschaft“ aus systemtheoretischer Sicht auf der Ebene politischer Selbstbeobachtung zu verorten. Siehe hierzu ausführlich IV.5.

    Google Scholar 

  18. Peter Fuchs (1992, 98) spricht in bezug auf die Systemrelativität von Gesellschaftsbeobachtungen der Teilsysteme vom „Insgesamt-von-ihnen-aus“.

    Google Scholar 

  19. Vgl. Giesen, 1991, 21 ff., 38ff. und passim sowie Baudrillard, 1978, 77.

    Google Scholar 

  20. Vgl. SS, 65. Auch Schimank (1993, 247) versteht die Funktionsbeschreibung sozialer Systeme lediglich als Reflexionskonzepte zur Herstellung eigener Identität und Legitimität. Allerdings befürwortet er einen generellen Verzicht auf die Funktionsbeschreibungen zugunsten von Beschreibungen sozialer Systeme als gesellschaftliche Akteure.

    Google Scholar 

  21. Vgl. auch Greven, 1999, 66. Analog zur Einheitsprojektion des Konsens-Aprioris der Handlungstheorie suggeriert die Dezisonsfixierung der Luhmannschen Definition eine dauerhafte, bindende Gültigkeit von Entscheidungen. Dabei ist die Dynamik und Reversibilität des autopoietischen Prozessierens sozialer Systeme bei Luhmann sonst diametral ausgearbeitet. Ob das nun wie hier als Restontologie und latenter Staatszentrismus, als theoriestrategisches Manöver oder schlicht als performativer Widerspruch beschrieben wird, ist sekundär.

    Google Scholar 

  22. Vgl. Easton, 1957, 387ff. Auch die ökologischen Probleme moderner Gesellschaft werden weder von „Vertretern“ der Natur noch einer vorsystemischen „Lebenswelt“ mit besonderer Nähe zur Bioontologie an die Politik herangetragen. Alle Formen politischen Protestes, von den ersten vereinzelten Mahnungen, über Bürgerinitiativen bis hin zu professionalisierten Protestorganisationen wie WWF und Greenpeace, werden innerhalb des politischen Systems erzeugt. Siehe hierzu IV.3.

    Google Scholar 

  23. Man könnte auch von temporärer Befriedung sprechen. Allerdings gemahnt der Begriff zu sehr an eine hier gerade nicht gemeinte bellizistische Auffassung von Dissens, wie sie in Schmitts Freund/Feind-Differenz aufscheint. Mit Giegel (1993, 9) läßt sich der Konsens über Dissens auch als „Ergebniskonsensus“ beschreiben. Diese Figur beansprucht im Gegensatz zum normativen Hintergrund- und Argumentationskonsens lediglich temporale und prozessuale Geltung. Der Dissens wird nicht aufgelöst, sondern lediglich kurzfristig ausgeblendet.

    Google Scholar 

  24. Vgl. mit überraschenden Parallelen auch Greven, 1999, 76. Auffällig ist die Ähnlichkeit zur Funktionsweise von Organisationssystemen, deren Operationen im Erzeugen und Wegarbeiten von Entscheidungsmöglichkeiten nach dem Prinzip von Überschuß und Repression besteht (Vgl. PDG, 286). Allerdings sind Organisationen auf einer vollkommen anderen Komplexitätsstufe angesiedelt und verfügen entsprechend über mehr und weniger, vor allem aber andere Spezifität. Der naheliegende Umkehrschluß, das politische System seinerseits als Metaorganisation aufzufassen, ist ein Erklärungsansatz für die hartnäckige Selbst-simplifizierung des Politischen als Staat und bürokratische Organisation. Vgl. zur funktionalen Äquivalenz symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien TDG, 107; Luh-mann, 1977c, 474 und Kneer. 1992, 90ff.

    Google Scholar 

  25. „Jeder Sinn ist widerspruchsfähig (...)“ und folglich dissensfähig. Vgl. SS, 494.

    Google Scholar 

  26. „Ein Konflikt ist die operative Verselbständigung eines Widerspruchs durch Kommunikation. Ein Konflikt liegt also nur dann vor, wenn Erwartungen kommuniziert werden und das Nichtakzeptieren der Kommunikation zurückkommuniziert wird.“ SS, 530. Da die Erzeugung von Unsicherheit lebensweltlicher Vertrautheit abdinglich ist, muß Habermas entsprechend konsensuelle Politik präferieren. Vgl. hierzu auch Bonacker, 1997, 76ff. und Easton, 1957,388.

    Google Scholar 

  27. PDG, 91. In gewisser Weise kann man Luhmanns Konfliktbegriff als Übergangsbegriff vom Schmittianischen Krieg zum postheroischen Dissens begreifen. Vgl. Schmitt, 1987, 35

    Google Scholar 

  28. Luhmann (SS, 536) formuliert das noch sehr vage: „So mag an den Konfliktthemen eine Verweisung auf Politik erkennbar sein und mit ihr ein Anhaltspunkt für mögliche Unterstützung durch Außenstehende.“ So im übrigen auch Greven (1999, 78) im Hinblick auf seinen Begriff der „politischen Gesellschaft“. Wir kommen darauf zurück.

    Google Scholar 

  29. Vgl. auch Luhmann, 1993d, 56. Politische Rationalität reagiert entsprechend leicht auf generalisierbare Dissense mit extern attribuierten Ursachen, während bspw. das Recht erst auf rechtlich codierbare, die Wissenschaft auf Dissense entlang von wahr/unwahr reagiert.

    Google Scholar 

  30. Vgl. zur Ausdifferenzierung des Rechtssystems mit der Leistung der Konfliktregulierung und der Funktion der „Stabilisierung“ normativer Erwartungen RDG, 156ff. und 218ff. Habermas (1993, 406) kritisiert die Aufteilung von Recht und Politik auf zwei Systeme, sieht er die Politik damit der normativen Kontrolle des Rechts entzogen.

    Google Scholar 

  31. Nach Teubner besteht (1999, 20) die Aufgabe des Rechts darin, Konflikte so zu verfremden, daß sie formal entschieden werden können. Vgl. auch LDV, 100ff.

    Google Scholar 

  32. PDG, 211f. (Hervorhebung durch den Verfasser). Frappierend die semantische Nähe zu Schmitt (1987, 33ff.) einerseits und zu Eppler (1998, 12) andererseits. Vgl. auch Hösle, 1991, 21. Auch Greven (1999) betrachtet den symbiotischen Mechanismus Gewalt als physisch verankerten Grund für den Primat des Politischen. Wir kommen darauf unter IV.5. zurück.

    Google Scholar 

  33. Damit wird nicht ausgeschlossen, daß sich Kommunikationen als gewaltsam beobachten lassen. Hier geht es aber um den physischen Aspekt des Angriffes auf Leben und die Inhibierung von Kommunikation. Vgl. zu dem Begriff des „symbiotischen Mechanismus“ u.a. SS, 337ff.; PDG, 40; TDG, 142; Luhmann, 1988b, 60ff.

    Google Scholar 

  34. Vgl. etwa Luhmanns (PTW, 45ff. und SA4, 148) These des offiziellen Machtkreislaufs und des inoffiziellen Gegenkreislaufs, in dem das »Publikum« seine Macht verwirklicht. Vgl. auch Mehlich, 1983, I48f.

    Google Scholar 

  35. Arendt, 1987, 57. Vgl. zur Differenz von Macht und Gewalt auch 44ff. insb. 52f Aus unserer Sicht ist deshalb der Krieg nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, wie Carl von Clausewitz zitiert wird, sondern die Negationsseite der Unterscheidung von Krieg und Frieden des militärischen Systems. Das politische System ist zwar in der Entscheidung zum Krieg mit dem militärischen System strukturell eng verkoppelt und dient mithin seiner Ko-Legitimation, so wie das Recht die Politik kolegitimiert. Kriegsverlauf und Kriegsende unterliegen aber einer gänzlich eigenen Systemrationalität, wie sich am Beispiel der Kosovo-Intervention der NATO zeigen läßt. Vgl. hierzu auch Schmitt, 1987,34.

    Google Scholar 

  36. Vgl. Schmitt, 1987, 59ff. Man kann motivlose Gewalt mit Gewinn als Glaubens- oder Angstrhetorik beobachten oder auch psychologisch als Verhaltenspathologie beschreiben, in systemtheoretischer Beobachtung scheint dissenslose Gewalt allerdings im höchsten Maße unwahrscheinlich, wie auch Baecker (1996a, 100) feststellt: „Gewalt ist immer Absicht.“ Baecker (106) hat dem Gewaltbegriff gleich jenen der Kommunikation als Differenz gegenübergestellt, weswegen Gewalt folglich auch nicht „im System“ vorkommen kann.

    Google Scholar 

  37. Das allerdings nur, wie sich historisch zeigen läßt, über beschränkte Zeiträume und dann nie total. Eine allumfassende Kontrolle aller Kommunikationen wurde nicht einmal in Huxleys oder Orwells Gesellschaftsfiktionen erreicht. „Der Antagonismus ist nicht abgeschafft,“ wie Gauchet in bezug auf den Stalinismus (1990a, 220) treffend formuliert, „sondern lediglich verboten.“ Der Totalitarismus trägt vielmehr „(...) sein Scheitern als Bedingung seiner Durchsetzung in sich, insofern er sich nur durch das hindurch herstellt, was ihm widerspricht.“ „Es hat nie einen Staat gegeben, der sich ausschließlich auf Gewaltmittel hätte stützen können“, schreibt Arendt (1987, 51). Hätte Eppler (1998, 206) genauer gelesen, wäre ihm dieser dissensuelle Impetus der Theorie des politischen Systems nicht entgangen. In der Unausrottbarkeit des Politischen jedenfalls stimmen wir vollends mit ihm überein.

    Google Scholar 

  38. Etwa Scharpfs (1988, 18) Gleichsetzung der differenztheoretischen Ausarbeitung des Politischen bei Luhmann und Schmitt, Schelskys (1983, 79ff.) Vorstellung einer sachlichen, konsensuellen und lediglich durch Massenmedien zum Freund/Feind-Denken getriebenen Politik oder auch bei Eppler, 1998, 15.

    Google Scholar 

  39. Vgl. Schmitt, 1987, 26, 33 und 45 sowie SA3, 267.

    Google Scholar 

  40. Vgl. PTW, 82; Schmitt, 1996a, 13ff. Vgl. hierzu auch Arendt, 1987 56f.

    Google Scholar 

  41. Bereits Fraenkel bekämpfte in der Verteidigung des Pluralismus den totalitaristischen Homogenitätsfetischismus im Schmittianismus und im Neo-Rousseauismus als „vulgärdemokratische Irrlehre“. Vgl. Fraenkel, 1972, 147ff.; 1973, 390ff. In ungewollter Parallelität zum Manichäismus Schmitts läßt sich auch bei Habermas ein sozialer Zusammenhang nur dadurch zum Konsens homogenisieren, indem man den Dissens externalisiert. Der „Feind“ kann anonymisiert einerseits wie bei Schmitt als Gruppe, Rasse, Nation, aber eben auch verschwörungstheoretisch als inhumane, geradezu kafkaeske Systemwelt projiziert werden. Tatsächlich externalisieren auch heute noch rechts- wie linkspopulistische Gruppen politische Dissense, um in der rigorosen Exklusion des Heterogenen das eigene Klientel zu homogenisieren. Herzinger (1995, 110) schreibt in einem luziden Beitrag über die „Neue Rechte“ : „Und in der Tat: Die Parallelen zwischen »rechter« und »lin-ker«Zivilisationskritik sind so groß, daß eine Grenzziehung entlang dieser vertrauten ideologischen Scheidelinie immer schwerer fällt.“ Vgl. mit ähnlichem Tenor Gauchet, 1990a, 216.

    Google Scholar 

  42. Vgl. Schmitt, 1987, 38f. Kaum zu vermittelnde Diskrepanzen finden sich vor allem zwischen „Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat“ und der Theorie Sozialer Systeme. Vgl. auch Zolo, 1987, 118. An diesem Bruch in der Theorie hat sich der überwiegende Teil der Funktionalismuskritik von Habermas über Lyotard bis hin zu radikaldemokratischen Ansätzen entzündet, ohne daß er je dezidiert herausgearbeitet wurde. Man kann Luhmann hier durchaus eine ausgefeilte Doppelstrategie unterstellen, in der er mit politischen Thesen erfolgreich provozierte, um sich bei entsprechenden Gegenangriffen auf den postnormativen und konstruktivistischen Teil der Theorie zurückzuziehen, um dort den jeweiligen Kontrahenten auf erkenntnistheoretisches Glatteis zu führen. Die Theorie sozialer Systeme ist für Luhmanns politische Restnormativität jedoch keineswegs prädestiniert. So argumentiert der Gesellschaftstheoretiker Luhmann an vielen Stellen (etwa TDG, 50) differenztheoretisch gegen seine eigenen politischen Beobachtungen.

    Google Scholar 

  43. So dezidiert bei Wirtz, 1999, 175ff. „Weil Luhmann ganz auf Entscheidung setzt und Schmitt darüber den Code des Politischen autbaut, berühren sich beide an empfindlicher Theoriestelle“ (182). Wir werden allerdings unter III.4. zeigen, daß sich die Ansätze Schmitts und Luhmanns trotz semantischer Rückgriffe wechselseitig ausschließen und Dezisionismus und Pluralismus keineswegs antagonistisch gedacht werden müssen.

    Google Scholar 

  44. Dissensmanagement als politische Torrn von Marquards (Vgl. 1981, 18f.) Begriff des Kontingenzmanagements. Auch in der pragmatischen „Dissensethik“ Christoph Hubigs (1995, passim) begegnet man dem Begriff. Allerdings bleibt Hubig in der Kritik der konsensorientierten Diskursethik von Apel, Habermas oder Searle auf halben Wege stehen.

    Google Scholar 

  45. Insofern ruft bspvv. das Wirtschaftssystem nicht etwa nach politischen Entscheidungen. Diese Forderung ist eine politische Kommunikation auch dann, wenn sie einer Unternehmensorganisation zugerechnet wird. Im übrigen muß der Konsens nicht so absolut gedacht werden, daß er vollkommen unmöglich erscheint. Schließlich haben sich im Zuge der funktionalen Differenzierung mit den symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien und den Einheitssemantiken der Teilsysteme jene Mechanismen herausgebildet, die kommunikative und gekoppelte kognitive Beobachtungen akkordieren. Die funktional äquivalente Reduktion von Komplexität erhöht die Annahmebereitschaft von Selektionsofferten, überführt unspezifischen Dissens, der sich schon aus den systemischen Selektionsdifferenzen erklärt, in konditionierten Dissens. Als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium erzeugt Macht mithin konsensuelle Bedingungen für das, was politisch, und zwar exklusiv, beobachtet werden kann und was nicht. Vgl. Schimanks (1993, 238) Unterscheidung von „Relevanzdissens“ und „Behauptungsdissens“.

    Google Scholar 

  46. Das wird auch durch die radikale Temporalisierung der sozialen Wirklichkeit deutlich, nach der Systemelemente Ereignisse sind, die in ihrer Entstehung schon wieder verschwinden. Soziale Systeme weisen keine stabilen Komponenten auf, sie basieren auf „basaler Unruhe“, also auf dynamischer Stabilität. Vgl. Luhmann, 1988a, 137.

    Google Scholar 

  47. Willke, 1993b, 99. Willke (1996a, 49) spricht sogar vom „Primat des Dissens“ als »Bewegungsgesetz« komplexer, eigendynamischer Sozialsysteme“. Das macht es umso unverständlicher, weshalb Willke mit erheblichen argumentativen Aufwand jenen intermediär moderierenden Supervisionstaat zu begründen sucht, der die vermeintlichen Systemantagonismen der Teilsysteme konsensuell koordinieren soll. Siehe hierzu ausführlich IV.1.

    Google Scholar 

  48. Und so erklärt auch Moufte (1993, 152): „A project of radical and plural democracy has come to terms with the dimension of conflict and antagonism within the political and has to accept the consequences of the irreducible plurality of values.“

    Google Scholar 

  49. Anders Liibbe (1979), der den Konsens zum Grundsatz und den Dissens zum legitimen Sonderfall erklärt.

    Google Scholar 

  50. Lyotard, 1994, 177. Vgl. in bezug auf den Drang zum Konsens als Wille zum Einen auch Jaspers, 1963, 126f. Metaphorisch formuliert zieht der unerreichbare Konsens den Dissens durch die Kommunikation wie die vorgebundene Möhre das Maultier über die Landstraße. Um die Bedeutung des Dissens theoretisch zu fassen, werden Dissens und Konsens in das Bedingungsverhältnis von Differenz und Einheit eingepaßt. Da jeder Konsens allenfalls Ausgangspunkt für neuen Dissens ist, ist das Strukturprinzip sozialer Ordnung im starken Widerspruch zur Konsenstheorie der Dissens. Analog zur Differenz von Einheit und Differenz müssen wir deshalb auch von einem wissenschaftlichen Dissens über das Verhältnis von Konsens und Dissens ausgehen. Vgl. auch Willke, 1993b, 106. Vgl. auch Kohler, 1990, 54 und Stekeler-Weithofer, 1995, 197f.

    Google Scholar 

  51. Lyotard, 1994, 16 und 33f. Luhmann (LDV, 28) begreift Legitimität als „(...) generalisierte Bereitschaft, inhaltlich noch unbestimmte Entscheidungen innerhalb gewisser Toleranzgrenzen hinzunehmen.“ Vgl. zum Legitimitätsbegriff auch Weber, 1980, 17ff.

    Google Scholar 

  52. Vgl. Zolo, 1997, 90ff.

    Google Scholar 

  53. Vgl. exemplarisch Scharpf, 1972, 267ff. Daß Luhmann nicht viel von Partizipation hält, zeigt sich an seinem provokanten Begriff des »Publikums“, der allerdings realiter die überwiegend passive Haltung des demokratischen Citoyens recht gut bezeichnet. Vgl. auch GDG, 921 und zur Kritik Eppler, 1998, 161 und Waschkuhn, 1987, 221ff. Eine gewisse Renaissance verzeichnet die Figur der Partizipation in den Diskussionen über die Möglichkeiten elektronischer Teilhabe an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozes-sen. Vgl. hierzu etwa Mutius, 2000, 84ff., Marschall, 2001, 38ff. und kritisch Maresch in: Münker/Roesler, 1997, 131ff. sowie Rötzer, 1998. Das folgenreiche Problem des Mißverhältnisses von Problemkomplexität und der Reduktion auf interaktiv abfragbare Entscheidungsvorlagen bleibt allerdings weitgehend ausgeblendet und bietet schon als Problemkonstruktion Stoff für eine eigene Abhandlung.

    Google Scholar 

  54. Wir kommen darauf unter IV.3. zurück.

    Google Scholar 

  55. Vgl. Sarcinelli, 1987, 222ff.

    Google Scholar 

  56. Dubiel (1994, 244ff.) spricht von der „Herrschaftsparanoia“ der kritischen Theorie, die in ihrem historischen Kontext gleichwohl nachvollziehbar erscheint. Der Topologisierung des Dissenses zwischen innen und außen etwa bei Etzioni (1975, 21lf.), der Kritik entsprechend als „Input“ begreift, unterliegt ein genuin harmonistisches Politikverständnis. Vgl. auch Marquards (1981, 33) Kritik der Kritik und zur Lust am kalkulierten Tabubruch Enzensberger (1993, 203).

    Google Scholar 

  57. Vgl. Horkheimer/Adorno, 1997, etwa 43ff. und passim, Vgl. auch Jaspers, 1956, 8. Eine zweifelsohne instruktive Theorie des Besserwissen ist die klassisch kritische Theorie mit ihrem elitären Selbstverständnis eines „Exils in Permanenz“ (Martin Jay, zit. nach Dubiel, 1994,240).

    Google Scholar 

  58. Bei Etzioni (1975, 28) heißt es schon 1968: „Aktiv sein, heißt verantwortlich sein“ und führt die aktive Gesellschaft geradewegs zur „Verantwortungsgesellschaft“ (1997). Vgl. auch Reese-Schäfer, 2000, 44. Beck (Die Zeit, Nr. 22 vom 25. 5. 2000) spricht entsprechend von Zivilgesellschaft als „zivilcouragierte Gesellschaft“, in der sich die Individuen einmischen. Vgl. auch Beck, 1996a.

    Google Scholar 

  59. Vgl. hierzu auch Lübbe (1971, 103ff.), der Hegel als etatistischen Kronzeugen der Ständedemokratie gegen Zivilgesellschaft und direkte Volkssouveränität einführt.

    Google Scholar 

  60. Münkler (1994, 3ff.) verweist auf das Bedingungsverhältnis von Zivilgesellschaft und Bürgertugend (virtu), nachdem eine Zivilgesellschaft ohne aktive Bürger unmöglich scheint. Luhmann (LDV, 191f.) hält das zu verzeichnende Desinteresse des Bürgers indessen für durchaus funktional.

    Google Scholar 

  61. Vgl. zur Analyse von Aufmerksamkeit als knappes Gut Luhmann, 1974b; Mer-ten/Westerbarkey, 1994 und Sarcinelli, 1987, 91ff. und 205ff.

    Google Scholar 

  62. Daß das kein Grund für stagnative Selbstzufriedenheit ist und vor allem die Parteien noch einen langwierigen Transformationsprozeß hin zu transparenten und flexibel agierenden »Dissensordnern« vor sich haben, bleibt davon unbenommen. Die vielfältige Kritik an der mangelnden Transparenz und Offenheit der politischen Institutionen, vor allem der Parteien, ist also durchaus berechtigt, verfehlt aber das Kernproblem politischer Teilhabe. So verzeichnet die jüngste Shell-Studie, daß die Generation der nach 1965 Geborenen ein „hohes System-Vertrauen“ besäßen und gar keine prinzipiellen Veränderungen wünschten (Vgl. Warnecke, Tilmann: Vor der feindlichen Übernahme? Eine Diskussion über die Zukunftschancen des Faches, in: Der Tagesspiegel, 9. 5. 2000). Vgl. zur Abwendung Jugendlicher von den Parteien auch Wiesendahl, 2001, 7ff. Entsprechend ist ein sinkendes Systemvertrauen in die Parteiendemokratie als Ganzes vor allem bei stark „outputorientierten“ Wahlbürgern zu verzeichnen und korelliert im übrigen stets mit dem Niveau (politischer) Bildung. Vgl. Hennig, 1997, 165ff., insb. 188.

    Google Scholar 

  63. Vgl. PDG, 253ff. und LDV, 185f. Daß eine Verlangsamung durch ganzheitliche Partizipation, in der sozusagen jeder alles macht, aus lebensweltlicher Perspektive oftmals gewünscht wird, mag nachvollziehbar sein. Nur sollte soziale Evolution nicht einfach mit technischer Beschleunigung gleichgesetzt werden. Fraenkel (1972, 147) spricht hier in ironischer Anspielung auf Rousseau von „Bauerngemeinschaften Schweizer Kantone“.

    Google Scholar 

  64. Vgl. Kelsen, 1981, 31. Zolo (1987, 81) geht sogar soweit, konkrete Partizipation als „Nonsens“ zu bezeichnen. Luhmann erkennt eine weitgehende Egalisierung politischer Macht bereits in der Etablierung prozessualer Legitimationsformen. Vgl. LDV, 197f.

    Google Scholar 

  65. Damit unterscheidet sich die systemtheoretische Position ganz grundlegend von konservativen Beurteilungen, wie etwa jene Croziers, Huntingtons und Watanukis (1975, 157ff), die in den Partizipationsbestrebungen die Gefahr eines „Overload“, einer De-Legitimierung politischer Autorität und einer Fragmentierung des Common Sense befürchten. Habermas’ Kritik am Bestandserhaltungsfunktionalismus der Systemtheorie basiert auf der vereinfachenden Gleichsetzung von Zweckrationalität und Systemfunktionalismus. Soziale Systeme sind aber nicht zweckrational im Sinne von normativen Zielen, sondern nur in bezug auf die Form ihrer Reduktion von Komplexität zur Selbstreproduktion. Vgl. Habermas, 1985, 411, Mehlich, 1983, 143ff. und Luhmann, 1988b, 114.

    Google Scholar 

  66. Vgl. zu diesem Begriff McConnels Scharpf, 1991, 623.

    Google Scholar 

  67. Vgl. zum Repräsentationsbegriff Weber, 1980, 171f. Kelsens (1981, 65) Semantik der Vermittlung des „politischen Affekts der Masse“ qua Repräsentation trägt allerdings noch einen vernehmbar elitistischen Unterton. In ähnlicher Diktion Weber, 1980, 868. Zwar sind auch heute noch bestimmte Berufsgruppen für die Ausübung eines parlamentarischen Mandats prädestiniert und ist der Zugang damit keineswegs egalisiert, doch kann sich mit dem aktiven Wahlrecht zumindest prinzipiell jeder nominieren lassen. Vgl. hierzu auch Beyme, 1993, 105ff.

    Google Scholar 

  68. Auch für Kelsen (1981, 27) sind Demokratie und Parlamentarismus untrennbar verbunden: „Darum ist die Entscheidung über den Parlamentarismus die Entscheidung über die Demokratie. “ Vgl. auch Palonen (1998, 31 und 316). Anders Schmitt, demzufolge sich Demokratie und Parlamentarismus ausschließen. Vgl. zu Schmitts homologisch-monadischen Demokratiebegriff auch Bohret, 1979, 222f. und Kelsen, 1981, 10f. Vgl. zur Differenz von Demokratie und Liberalismus auch Hayek, 1996, 239f.

    Google Scholar 

  69. Im Gegensatz zum Neo-Hobbesianismus Zolos (1997, 87) halten wir komplexe Gesellschaften mit demokratischen Mitteln nicht etwa im besonderen Maße für schwer regierbar, sondern erkennen in der parlamentarischen Demokratie die ihnen angemessene politische Form. Anders Greven (1999, 144ff), der die modernisierungstheoretische Grundannahme, daß gewaltsame Unterdrückung auf Modernisierungs- bzw. Differenzierungsdefiziten beruht, ablehnt. Vgl. zur Kritik des Luhmannschen Demokratiebegriffs Wirtz, 1999, 185f. und Röhrich, 1977, 74ff.

    Google Scholar 

  70. Lefort, 1990a, 291 (Einfügung durch den Verfasser). Unter dieser Perspektive erklärt sich die augenfällige Korellation zwischen zunehmender funktionaler Differenzierung der Welt-gesellschaft und dem sukzessiven Niedergang totalitärer politischer Systeme. So erkannte bereits Fraenkel (1973, 349): „Die Komplexität des autonom-pluralistischen Rechtsstaats steht in einem nicht zufälligen Gegensatz zur Simplizität der heteronom-monistischen, daß heißt aber totalitären Diktatur.“ China oder auch Rußland sind in dieser Hinsicht daher eher retardierende Transformationskandidaten.

    Google Scholar 

  71. Welsch, 1987, 182.

    Google Scholar 

  72. Das konzediert auch Beyme (1993, 209). In Luhmanns Werk findet sich ein ungeklärtes Verhältnis zum Legitimitätsbegriff. Einerseits hält er (1981, 79) den Begriff insgesamt nicht mehr für adäquat, andererseits ist er zentraler Bestandteil seines Selbstlegitimationskonzeptes des Politischen (LDV; Luhmann, 1981) und beschreibt (GDG, 470) ihn als Kontingenzformel des Politischen. Ähnlich Willke, 1996a, 44. Zolo (1987, 75) geht indessen sogar soweit, in der Produktion von Legitimität die zentrale Funktion des Politischen zu sehen.

    Google Scholar 

  73. Scholz (1982, 132ff.) weist darauf hin, daß es Luhmann zwar um Bestandserhaltung geht, allerdings um die Bestandserhaltung der Institutionalisierung alternativer Möglichkeiten. Vgl. zu Parsons’ Entwicklung von einer weberianisch geprägten Handlungstheorie zur normativistischen strukturfunktionalistischen Systemtheorie Hesse, 1999, 181ff.

    Google Scholar 

  74. Dennoch verstand sich die außerparlamentarische Opposition in bester System-Topologie stets auch als außersystemische Opposition und „(...) geriert sich so, als ob (sie) die Gesellschaft gegen ihr politisches Svstem zu vertreten hätte“ (GDG. 856).

    Google Scholar 

  75. C. und E. U. von Weizsäcker (1984, 183) erkennen analog im „Fehler“ die treibende Kraft der Evolution.

    Google Scholar 

  76. Laski, 1972a, 75.

    Google Scholar 

  77. Zolo (1987, 82) zufolge heißt Demokratie heute daher vor allem Reversibilität von Entscheidungen.

    Google Scholar 

  78. Luhmann (SA4, 127 und 140) erkennt in der Enthierarchisierung der politischen Machtbeziehungen durch die „Spaltung der Spitze“ die „kühnste Errungenschaft“ des politischen Systems. Damit werde das Problem von überlegener und unterlegener Macht zwar nicht aufgelöst, aber relativiert. Die oberste Gewalt wird durch das Schwanken der Wählergunst labilisiert. Aber „es wäre eine Selbsttäuschung, sie jetzt der öffentlichen Meinung als dem heimlichen Souverän oder gar dem Volk zuzusprechen. Der Strukturgewinn liegt vielmehr in der Labilität als solcher und in der dadurch erzeugten Sensibilität des Systems. “ Vgl. auch Luhmann, 1968, 718; 1984b, 112f.

    Google Scholar 

  79. Vgl. SA4, 128. Die Tatsache der Existenz von Demokratie löst ihre Unwahrscheinlichkeit nicht auf, sondern macht sie lediglich latent. Vgl. auch ÖK, 206 und zur Machtsummenkonstanz demokratischer Wahlen LDV, 176f.

    Google Scholar 

  80. Vgl. zur Entstehung der Demokratie Luhmann, 1984b, 109ff.

    Google Scholar 

  81. Vgl. SA4, 145; Luhmann, 1969d, 28f. und Willke, 1993a, 218ff Diese Selbstlegitimation von Rechtsnormen entwickelte sich im Übergang vom ontologischen Naturrechtsbegriff zum Rechtspositivismus. „Die sozial und weltanschaulich nicht mehr homogene Gesellschaft, die sich nicht mehr auf allseits für verbindlich gehaltene Werte verständigen kann, nimmt Zuflucht zu der Verbindlichkeit des Mehrheitsentscheids ohne Rücksicht auf seine inhaltliche Richtigkeit.“ Benda, 1987, 839. Vgl. auch LDV, 141ff.

    Google Scholar 

  82. Vgl. SA4, 69. „In anderen Worten: Es wird dort, wo politisch erzeugte Macht konkret wird, zugleich verhindert, daß Macht allein aus sich selbst heraus die Verhältnisse reguliert (...)“ PTW, 64. Die Zweitcodierung durch Recht „(...) ist ein verborgener Hinweis darauf, daß der Einheitsbegriff der Selbstbeschreibung des politischen Systems bei einem anderen Funktionssystem ausgeliehen werden muß, nämlich beim Rechtssystem. Er liegt im Begriff der juristischen Person. “ Luhmann, 1984b, 102. Zwar erhielt der Staat damit eine operationsfähige Differenz von politischer Gewalt und Rechtskontrolle, erzeugte aber gleichzeitig das Problem des Paradoxes der „gebundenen Willkür“ durch Selbstlimitierung. Vgl. ebd., 11lf.

    Google Scholar 

  83. Vgl. SS, 626. Die alleinige Identifikation der politischen Ordnung als positivistische Rechtsordnung und darauf gründenden verfahrenstechnischen Ordnungsvorstellungen wird unter diesen Bedingungen zunehmend fragwürdig. Nicht von ungefähr wurde die Legitimation durch Verfahren nach den Erfahrungen eines überzogenen Rechtspositivismus durch unwandelbare Grundrechte und daraus abzuleitende Staatszielbestimmungen begrenzt. Andernfalls unterlägen alle Rechtsentscheidungen den legislativen Entscheidungen des Gesetzgebers. Vgl. SA4, 145

    Google Scholar 

  84. Vgl. Ellwein, 1982, 38. Zwar lassen sich Freiheit und Gerechtigkeit miteinander als Grundwerte postulieren und darüber auch verbal Konsens herstellen. Die Spannungsfelder zwischen Grundwerten entstehen allerdings immer erst im Konfliktfall und sind dann in der Regel nicht als Kompromiß zu vermitteln. Anders Isensee (1979, 35), der wesentliche Gehalte eines gesellschaftlichen Grundkonsenses als Voraussetzung von Regierbarkeit in der Verfassung normiert sieht, ohne freilich darzulegen, wie die hochabstrahierenden Grundwerte jenseits ihrer Verrechtlichung auf anwendungsfähige politische Normen spezifiziert werden können.

    Google Scholar 

  85. Entsprechend erfolglos sind Versuche, politisch kontroverse Fragen, wie z.B. „out of area“ -Einsätze der Bundeswehr, dem Rechtssystem zur Entscheidung zu überstellen. Zwar wird hier nicht die Legitimität von Normenkontrollklagen in Frage gestellt, doch macht die zunehmende Tendenz zur Juridifizierung politischer Entscheidungen und die entsprechende Gegenwehr durch das BVG einen Entscheidungs-“ Notstand” durch Überforderung des politischen Systems evident. Vgl. auch Schmitt, 1972, 116.

    Google Scholar 

  86. Vgl. ausführlich LDV, etwa 193f. und Luhmann, 1981, 65,ff. insb. 80f.

    Google Scholar 

  87. Vgl. Giegel, 1993, 9. Frank-Walter Steinmeier, ehemaliger Chef des Bundeskanzleramtes, wollte diesen Prozesskonsens sogar als „innovativen Konsens“ im Gegensatz zum dissens-vermeidenen „Kungelkonsens“ für die Regierung Schröder reklamieren. Vgl. „Abschied von den Machern“, DIE ZEIT, 10/2002)

    Google Scholar 

  88. Kleger (1990, 78) erkennt in der Verfahrenslegitimation neokonservative Beliebigkeiten, die auf generalisierte Entscheidungsakzeptanz abheben. Skurril bis zur Verzerrung ist seine These, daß prozessuale Legitimation damit einen grundlegenden Commonsense unterstellt: „Der Dezisionismus im Verbund mit der Systemtheorie als diskursive Hüterin der modernen Gesellschaft muß von der Annahme ausgehen, daß eine vorrangige Harmonie zwischen den politischen Entscheidungsinstanzen und der großen Mehrheit der betroffenen Bürger herrscht, was als Mehrheitskultur diagnostiziert wird“ (Kleger, 1990, 79). Ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist lediglich der postnormative Konsens über Dissens und damit Dissens über Konsens, ist die Differenz von Einheit und Differenz, ist mithin die Übereinstimmung über die Kontingenz von Beobachtungen und Attributionen. Vgl. hierzu auch Willke, 1996a, 49.

    Google Scholar 

  89. Max Weber (1980, 156) spricht in diesem Zusammenhang von Anerkennung aufgrund von Bewährung. Offensichtlich wird dieses Verfahren sogar von Gegnern der Demokratie anerkannt, solange es der Durchsetzung ihres Herrschaftsanspruches dient. Die Grenze der demokratischen Toleranz gegenüber antidemokratischen Extremisten markiert sich also an ihrer faktischen Bereitschaft, temporär legitimierte Macht reversibel zu halten. Vgl. zur prozeduralen Legitimation auch Hayek, 1996, 51.

    Google Scholar 

  90. Vgl. Jarren, 1994b, 24ff. und Luhmann, 1974b. So werden Themen, wie bspw. das Privatleben von Politikern, die vor nicht allzu langer Zeit noch weitestgehend tabuisiert waren, heute ohne große Skandalwirkung diskutiert.

    Google Scholar 

  91. Vgl. SS, 532ff.

    Google Scholar 

  92. Dieses Gleichnis wird Gustav Radbruch zugeschrieben.

    Google Scholar 

  93. Dubiel, 1994, 115. Dubiel bezeichnet den Konflikt daher als integrierenden symbolischen Raum.

    Google Scholar 

  94. Vgl. grundlegend LDV, etwa 32 und auch PDG, 257f. Dubiel (1994, 171) spricht vom „demokratisch-reflexiven Legitimationstypus“.

    Google Scholar 

  95. Neben dem national-traditionellen, wertrationalen und legalen Legitimationstyp mit seiner Fixierung auf prozessuale Legitimation beschreibt Dubiel einen neuen Typus der demokratisch reflexiven Legitimation. Dessen Prinzip ist der Verzicht auf metapolitische Gesichtspunkte und das Prinzip der Unabgeschlossenheit. Vgl. Dubiel, 1994, 171f.

    Google Scholar 

  96. Dissensmanagement muß daher auch nicht radikal als konfliktäre Politik gedacht werden. Dissense sind vielmehr alltägliche Phänomene, die erst Verhandlungen, Vertagungen, Kompromisse, Verbote und Rückverweisungen auslösen. Damit wird vor allem die Kultur des Kompromisses ins rechte Licht gerückt, denn in ihm zeigt sich eine ganz alltägliche Form des Konsens über Dissens. Erst Dissens macht Verhandlungen notwendig, die dann in Kompromissen oder Dezisionen münden. In der Form des Kompromisses wird der Dissens latent gestellt, während die Dezision neuen Dissens erzeugt. Fraenkel (1973, 361) zufolge ist die pluralistische Demokratie ein „compromis de tous les jours“. Auch für Kelsen (1981, 57) kann der Gemeinschaftwille entsprechend nur ein über das legale Verfahren der parteilichen Willensbildung und parlamentarischer Wahl errungener Kompromiß sein. „(...) Das ganze parlamentarische Verfahren mit seiner dialektisch-kontradiktorischen, auf Rede und Gegenrede, Argument und Gegenargument abgestellten Technik ist gerichtet auf die Erzielung eines Kompromisses.“ Auf die Möglichkeit eines postheroischen Dezisionismus kommen wir unter III.3. ausführlich zurück.

    Google Scholar 

  97. PDG, 85. Daß es Entscheidungen gibt, die bspw. in bezug auf die natürliche Umwelt oder menschliches Leben irreversiblen Charakter haben, bleibt davon unbenommen. Doch können Fehlentscheidungen in diesen Bereichen nicht allein dadurch höhere Legitimität beanspruchen, daß sie auf Konsens basieren und damit gegen den „postdecisional regret“ (TDG, 203) absichern. Kritisch hierzu Lyotard (1994, 136f.): „So glaubt Luhmann, in den postindustriellen Gesellschaften die Ersetzung der Normativität der Gesetze durch die Performa-tivität der Verfahren festzustellen.“ Vgl. auch ebd. 178ff.

    Google Scholar 

  98. SA4, 141. „Wenn es bei Demokratie um Vernunft und Freiheit, um Emanzipation aus gesellschaftlich bedingter Unmündigkeit, um Hunger und Not, um politische, rassistische, sexistische und religiöse Unterdrückung, um Frieden und um säkulares Glück jeder Art geht, — dann sieht es in der Tat schlimm aus.“ SA4, 126. Vgl. Kelsen, 1981, 98. Naschold (1968, 494ff.) kritisiert Luhmanns stark reduzierten Demokratiebegriff ohne normative Explikation und mit einer rein funktional istischen Rationalitätsorientierung. Gleichwohl konzediert Naschold der Systemtheorie in einem Theorievergleich unter Bezugnahme auf das Verhältnis von Demokratie und Komplexität einen evidenten Komplexitätsvorsprung. Im Ergebnis verwirft er dann die Möglichkeit, normativ wünschenswerte Ansätze auf das gewünschte Komplexitätsniveau zu bringen und plädiert statt dessen für eine „Demokratisierung“ des Luhmannschen Ansatzes.

    Google Scholar 

  99. Klaus, 1988; Gauchet, 1990a(1971), 222. Im selben Tenor heute Herzinger (1998, 37): „Eine moderne liberale Demokratie beruht nicht auf der Suche nach Übereinstimmung, sondern auf der Einübung in den zivilen Umgang mit der permanenten Nichtübereinstimmung.“

    Google Scholar 

  100. Siehe hierzu IV.6. Beyme (1993, 209) erkennt in Luhmanns „Legitimation durch Verfahren“ immerhin die Grundlage für einen postnormativen Minimalkonsens gesellschaftlicher Spielregeln.

    Google Scholar 

  101. Steffeni (1980, 15) definiert: „Pluralismus im spezifischen Sinne — und nur hierauf sollte der Wortgebrauch beschränkt bleiben — meint (...) eine Vielheit, deren einzelne Elemente in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen: Die Elemente einer Einheit werden im wesentlichen als voneinander unabhängig, gleichberechtigt und autonom gesehen (...); sie stehen miteinander durchaus im Verhältnis des Wettbewerbs und des Konflikts, nicht jedoch in dem hierarchischer Zuordnung oder dem der Subordination.“

    Google Scholar 

  102. So liest sich etwa Laskis (1972a) pluralistische Staatstheorie noch als Reaktion auf die Selbstverherrlichung nationalstaatlichen Handelns. Vgl. zur Genese des Neopluralismus Steffani, 1980, insb. 13ff.

    Google Scholar 

  103. Vgl. Fraenkel, 1973, 430. „Der Pluralismus stellt gleichsam einen Transformator dar, in dem das Gesellschaftliche in politische Energie umgewandelt wird.“ Fraenkel, 1973, 402. Im Rahmen des politischen Pluralismus auch noch Zolo (1997, 147): „Der Pluralismus umfaßt, kurz gesagt, alle Gruppen, die, zumindest potentiell und mit einem gewissen Stabilitäts- und Legitimationsniveau, in der Lage sind, die eigenen Forderungen in die Agenda der politischen Entscheidung einzubringen.“

    Google Scholar 

  104. Vgl. Fraenkel, 1973, 354ff. und 428. Vgl. auch Böhret, 1979, 199ff Während Sontheimer (1972b, 206ff.) den liberalen Pluralismus in der Tradition Lockes vom Menschen her begreift, indem Gruppen als organisierte Herrschaftsgebilde mit ihren Partialinteressen den Staat formen, bilden im gesellschaftlichen Pluralismus inkommensurable Teilsystemrationalitäten die Gesellschaft. Zum gemäßigt-liberalen Pluralismus mit seinem Orientierungskonsens gemeinsamer Überzeugungen und der Vorstellung von Gesellschaft als System fairer Kooperation vgl. auch Dubiel, 1994, 107ff.

    Google Scholar 

  105. Vgl. Dubiel, 1994, 94; Kneer, 1992, 89.

    Google Scholar 

  106. Darin begründet sich auch der zunächst irritierende Titel von Luhmanns Opus magnum: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Vgl. GDG. So schreibt auch Lefort (1990a, 294): „Die Rechtfertigung des rein politischen Konflikts schließt auch das Legitimitätsprinzip des gesellschaftlichen Konflikts in all seinen Spielarten ein.“

    Google Scholar 

  107. Vgl. LDV, 199. „Legitimation durch Verfahren ist nicht etwa Rechtfertigung durch Verfahrensrecht (...); vielmehr geht es um eine Umstrukturierung des Erwartens (...) also um wirkliches Geschehen und nicht um eine normative Sinnbeziehung.“ LDV, 37. Insofern geht auch Wirtz’ (1999, 194) von Habermas (etwa 1993, 415) übernommene Kritik am vermeintlichen Rechtspositivismus der Theorie sozialer Systeme fehl, mit der sich Wirtz zufolge auch die nationalsozialistische Machtergreifung rechtfertigen ließe. Für eine durch Luhmann nie geleistete angemessene Beurteilung dieser Zäsur bedürfte es einer weitaus komplexeren Analyse als jener, daß die Verfahrenswege intakt bleiben, „(...) weil das nationalsozialistische Programm auf ihnen sicher fortfährt.“ Daß eine postnormative Theorie keinen normativen Schutzwall gegen ideologische Okupierungen aufstellen kann, ist einleuchtend. Allerdings wurde mit der nationalsozialistischen Machtergreifung die Legitimation durch Verfahren und das ihr inhärente Rechtsstaatskonstrukt eben nicht fortgesetzt, sondern pervertiert und schließlich aufgelöst. So unterschlägt Wirtz, daß mit der Installierung des „Dritten Reiches“ eine Entdifferenzierung der Gesellschaft einherging, in der die Funktionssysteme gleichgeschaltet und damit faktisch Partei und Staat untergeordnet wurden.

    Google Scholar 

  108. Vgl. Foerster, 1991 und 1993a. Vgl. Welsch, 1988a, 37; 1993, 40f. und 1996, 47. „Pluralismus und Dissens kennzeichnen (...) die Grundstruktur der Wirklichkeit“ (1993, 33). Zum intrinsisch pluralistischen Charakter der Foersterschen „KybernEthik“ siehe ausführlich V.3.

    Google Scholar 

  109. Vgl. zur Unterscheidung der normativen politologischen zur soziologischen Pluralismustheorie Steffani, 1980, 16. Baecker (1987, 18f.) spricht von der Pluralität der Zwecke. Anders als im neoklassischen laissez faire des Ordoliberalismus gehen wir mit Hayeks „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ über den staatlich begrenzten Pluralismus hinaus, indem wir auch die ehedem politisch normierten Wettbewerbsregeln kontingent und damit in den Wettbewerb stellen. Dieser Wettbewerb deutet allerdings in erster Linie auf die Pluralität kontingenter Beobachtungen und nicht auf den vielfach insinuierten Antagonismus der Teilsysteme, die einander inkommensurabel sind. Allerdings ist Hayeks rationalistische Evolutionstheorie von einem rigiden antirelativistischen Normativismus getragen, so daß sich seine Theorie im weiteren nur als begrenzt anschlußfähig erweist. Vgl. etwa Hayek, 1996, 300ff.

    Google Scholar 

  110. „II pluralismo infme ci permette di renderci conto di un carattere fondamentale delia democrazia dei moderni rispetto a quella degli antichi: la libertà, anzi la liceità, del dissen-so.“ Bobbio, 1995, 58 (Hervorhebung durch den Verfasser); vgl. auch ebd. 54ff. Ähnlich Weber, 1980, 857f. Siehe zu Schmitts Antipluralismus III.4.

    Google Scholar 

  111. Guggenberger, 1993a, 109.

    Google Scholar 

  112. Vgl. Welsch, 88, 58f. und Herzinger, 1995 104ff. Der Nationalsozialismus erwies sich insofern als monistische Ideologie par excellence, in der moderne — nationalistische und fortschrittsbegeisterte — sowie gegenmoderne — romantische bis völkische — Einheitsideale verschmolzen sind. Vgl. Reichel, 1992, 30; 92 und 101ff.

    Google Scholar 

  113. Vgl. Lefort, 1990a, 296 und Lefort/Gauchet, 1990, 109.

    Google Scholar 

  114. Fraenkel, 1973,318.

    Google Scholar 

  115. Vgl. Naschold, 1968.

    Google Scholar 

  116. Vgl. Habermas, 1993, 374. Vgl. Welsch, 1988a, 44. Treffend hier die Beobachtung Mar-quards (1981, 82): „Offenbar geraten die Menschen, wo sie zum Absoluten avancieren, in diesen Abgrenzungs- und Verfeindungszwang.“ Mouffe (1993, 4) spricht von einem „antagonistic pluralism“ in dem aus dem Schmittschen Feind der politische Gegner mit dem unbestreitbarem Recht der Verteidigung seiner Position wird.

    Google Scholar 

  117. Lefort, 1990b, 53. In diesem Sinne auch Welsch, (1987, 322): „Denn nicht schon in Bekundungen unterschiedlicher Subjekte, sondern erst auf der Ebene des Widerstreits von Konzeptionen tritt jene Pluralität hervor, die gravierend und fruchtbar ist (...).“ Vgl. auch Schönherr-Mann, 1997, 73ff.

    Google Scholar 

  118. Kelsen, 1981, 101. Freilich ist Kelsens Relativismus noch in einem positivistischen Rechtsverständnis geborgen, das die Tragweite einer kontingenzbewußten Gesellschaft und ihres erkenntnistheoretischen Pluralismus noch nicht absehen konnte. Vgl. für die diametrale Position Schmitt, 1996a, 26f. Vgl. auch Bauman, 1995b, 289 und zur Kritk der relativistischen Demokratie Fraenkel, 1972, 148.

    Google Scholar 

  119. „Mit Entscheidung meinen wir eine bewußte Wahl zwischen zwei oder mehr Alternativen,“ definiert im rationalistischen Verständnis Etzioni (1975, 272). „In diesem Begriff nistet alle Rationalität, an die zu glauben ökonomische Theorien jemals die Kraft aufbrachten“, meint daher Baecker (1994, 156). Vgl. mit kritischen Anmerkungen zur ökonomischen Entscheidungstheorie Baecker, 1989c; 1993b, 195 und Hutter/Teubner, 1993, 17ff.

    Google Scholar 

  120. Schickel (1993, 71) schreibt mit Autorisierung Schmitts: „Dezision — das ist Abschneiden des Gesprächs, der Argumentation.“ Damit verweist der Begriff der Ent-Scheidung auf Entdifferenzierung im Sinne der Autlösung des Schieds.

    Google Scholar 

  121. So setzen für Schmitt (1987, 61) „(...) alle echten politischen Theorien den Menschen als böse (...)“ voraus, am radikalsten in den apokalyptischen Phantasien Donoso Cortes, aber auch bei Fichte, Hobbes und Machiavelli. Vgl. ausführlich Schmitt, 1996a, 59ff.

    Google Scholar 

  122. Tatsächlich konnte sich die nationalsozialistische Ideologie, deren antirationaler, antiwestlicher Voluntarismus die noch mangelnde Adhäsionskraft des pluralistischen Parlamentarismus in der Weimarer Republik nutzte, maßgeblich auf Autoren wie Jünger, Schmitt und sogar Heidegger stützen. Die Machtergreifung von 1933 war in ihren Werken in unterschiedlicher Deutlichkeit bereits vorgezeichnet. Vgl. in einer grundlegenden Untersuchung des deutschen Dezisionismus Krockow, 1958, 2ff und 41 ff.; Lacoue-Labarthe, 1987, 154f. sowie zur „»Konservativen Revolution« als Aufstand gegen die Moderne“ Reichel, 1992, 68ff. Während Heidegger nach anfänglicher Begeisterung bald schwieg, engagierte sich Schmitt in der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft und ließ seine Staats- und verfassungstheoretischen Arbeiten in antisemitische Hetzschriften und rassisch legitimierte Großraumphantasien eskalieren. Vgl. Krockow, 1958, 93ff.; Rüthers, 1994.

    Google Scholar 

  123. Vgl. Reichel, 1992, 33; 49f. und 144ff. und Herzinger, 1995 94f. Vgl. zur Kritik der politischen Romantik auch Schieder, 1991, 46: „Die Eindeutigkeitsbedürfnisse und die Angst vor pluralistischen Verhältnissen werden gespeist aus einer tiefen romantischen Vereinigungssehnsucht, die der erotischen Komponente nicht entbehrt.“

    Google Scholar 

  124. Beyme, 1991b, 95. Insbesondere die politische Romantik, etwa eines Novalis, pflegte die Entlassung aus dem gottgewollten Absolutismus als Freiheit der Tat zu idealisieren (Vgl. bspw. Novalis 1996, 13 § 32, vgl. auch Schmitt, 1996a, 59f). Nach den Enttäuschungen durch die bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts hypostasierten Nietzsche und in seiner Folge die sogenannte Lebensphilosophie die entschiedene Tat als antibürgerliche Rebellion des Bürgertums (Vgl. Nietzsche, 1996, passim). Und noch in Heideggers bereits gebrochenem Existentialismus steht die Entschlossenheit des Individuums im Angesicht kontingenter Möglichkeiten im Zentrum des Wollens. Vgl. Krockow, 1958, 28ff. und 68ff. Vgl. zur Präferenz der Tat auch Dörner, 1989, 28ff.

    Google Scholar 

  125. Vgl. Krockow, 1958, 58; Arendt, 1987, 67ff. und für eine tiefenpsychologische Sexualpathologie des politischen Heroismus, Sombart, 1991, etwa 174ff.

    Google Scholar 

  126. Vgl. Schmitt, 1987, 61; Hobbes, 1980, 115; Krockow, 1958, 66 und Sombart, 1991, 98ff. Zwar hat sich Schmitt als Staatsrechtler weitgehend von den Mythen der politischen Romantik und der lange schwelenden Tradition existentialistisch-vitalistischen Denkens distanziert und den dezisionistischen Akt an rationale Verfahren rückgebunden, gleichwohl scheint ihr irrationaler Geist beispielsweise im existentialistischen Pathos des letalen Kampfes immer wieder auf. Vgl. Krockow, 1958, 89f; Wirtz, 1999, 178; Schmitt, 1987, 33 und 46ff.

    Google Scholar 

  127. „Ihr (Coles und Laskis) Pluralismus besteht darin, die souveräne Einheit des Staates, d.h. die politische Einheit zu leugnen (...).“ (Schmitt, 1987, 41 Einfügung durch den Verfasser). Schmitt, der Pluralismus nicht anders als antagonistisch begreifen konnte, akzeptierte die pluralistische Gesellschaft allenfalls unter rigider staatlicher Kontrolle und propagierte im übrigen eine Verlagerung des Pluralismus auf die internationale Ebene als rivalisierende Konkurrenz der Nationen, die sich über kurz oder lang in wie immer zivilisierten Kriegen entladen mußte (Vgl. ebd. 55ff. Vgl. Rasch, 1997, 107; vgl. Sontheimer, 1972b, 202ff).

    Google Scholar 

  128. Vgl. Schmitt, 1987, 32. „Woher soll bei dieser Sachlage die Einheit entstehen, in der die harten Partei- und Interessentenbindungen aufgehoben und verschmolzen sind“, fragt Schmitt (1972, 108), um entsprechend den neutralen, überparteiischen Staat zu propagieren, der mittels eines starken Reichspräsidenten auf Ermächtigungsgesetze zurückgreifen und damit das Parlament übergehen kann (114ff.). „Somit ist das entscheidende Kennzeichen des Totalitarismus die Behauptung der gesellschaftlichen Einheit“ folgert Gauchet (1990a, 213).

    Google Scholar 

  129. Schmitt, 1987, 24. Bemerkenswert ist die späteren Totalitarismusdefinitionen gegenläufige Unterscheidung zwischen dem totalen, also voll vergesellschafteten, aus Schwäche allen Interessen nachgebenden Staat und dem universalen und souveränen Machtstaat Hegels, dessen autoritäres Primat unangetastet bleibt. Vgl. Schmitt, 1987, 25, FN 4 und 47. Da in diesem Staatsideal alle innenpolitischen Bereiche homogenisiert und entpolitisiert sind, kann sich Schmitts cäsaristische Führerdemokratie voll und ganz auf den äußeren Feind konzentrieren und muß nur im Einzelfall innenpolitisch gegen den „Staatsfeind“ intervenieren. Vgl. ausführlich Krockow, 1958, 19ff.

    Google Scholar 

  130. Vgl. Schmitt, 1987, 61 und 68ff Vgl. auch Sombart, 1991, 158ff. Dabei ist Schmitt nicht antidemokratisch, darauf hat Bobbio (1995, 54ff) hingewiesen, sondern antiliberal und anti-pluralistisch. Schmitt begreift die cäsaristische Diktatur nicht als Gegenteil, sondern schlicht als Optimum der Demokratie und präferiert daher eine plebiszitär-autokratische Herrschaft unter Gleichen. Vgl. zum Cäsarismus auch Weber, 1980, 862ff.

    Google Scholar 

  131. Reichel, 1999,522.

    Google Scholar 

  132. Kersting, 1992, 28. Vgl. Schmitt, 1987, 34 und 40.

    Google Scholar 

  133. Fraenkel (1972, 147) erkennt in der Überhöhung der homologischen Volksgemeinschaft eine andere Form der volonté générale und interpretiert Schmitt entsprechend als impliziten Schüler Rousseaus. Vgl. für eine durch Schmitt faszinierte Position des anthropologischen Pessimismus Zolo, 1997, 60ff. Vgl. auch Horkheimer/Adorno, 1997, 126f. und 227.

    Google Scholar 

  134. Vgl. Barben (1996, 263); Beck (1996a, 42), Beyme (1991b, 97), Kleger (1990, 73f.), Werber (1995, 951), der „engste Verbindungen“ sieht, Zolo (1987, 343) und jüngst wieder ausführlich Wirtz (1999, 175ff.), der etwa den Moment der Systembildung, also des Kommunikationsbeginns als dezisionistischen Ausnahmezustand paraphrasiert (187). Vgl. hierzu Schmitt, 1996a, 18ff. Greven (1992, 193) kritisiert dagegen den denunziatorischen Charakter des Dezisionismus-Begriffs und spricht von einem Schimpfwort der Politikwissenschaft. Ebenso fachfremd wie interdisziplinär interessant ist die sexualpsychologische Analogie von Ausnahmezustand und phallischer Erektion, als physischer Ausdruck männlicher Herrschaft über die Bedrohung des weiblichen Chaos, die in dieser Perspektive als „Feindin“ apriorisches Ziel des politischen Kampfes ist. Vgl. Sombart, 1991, 193ff. und 210ff.

    Google Scholar 

  135. Vgl. Schmitt, 1987, 26ff. Auch jenseits seines klassisch außenpolitisch dominierten Politikbegriffs kann Schmitt (1987, 32) die Differenz des Politischen angesichts eines parteipolitisch geprägten „Primats der Innenpolitik“ nur als Bürgerkrieg und nicht etwa als zivilisatorische Errungenschaft eines evolutorisch sich durchsetzenden Dissensmanagements denken.

    Google Scholar 

  136. Werber (1995, 949ff.) stellt hier die These auf, Luhmann schaffe sich und der modernen Gesellschaft das Problem der Freund/Feind-Unterscheidung vom Hals, indem er den Feind Schmitts zum nicht satisfaktionsfähigen externen Barbaren „hors-la-societé“ exkludiere, um die Normalität seines funktionalistischen Politik- und Rechtsbetriebs zu gewährleisten. In der Unfähigkeit, Freund und Feind in den im „Exklusionsbereich“ der Moderne tobenden Kriege zu bezeichnen und sich damit politisch zu involvieren, meint Werber (ebd., 956) eine Vermeidungsstrategie der zivilisierten Welt zu erkennen.

    Google Scholar 

  137. Bauman, 1995b, 74. Zudem gelingt die Unterscheidung von Freund und Feind nur mit Hilfe auf Raummetaphern gestützter ontologischer Begrenzungen wie Volk, Nation und staatliche Institutionen, die mit dem rein kommunikativen Charakter sozialer Systeme nicht in Einklang zu bringen sind. Vgl. Schmitt, 1987, 50ff.

    Google Scholar 

  138. Schmitt, 1987, 95. Auf Schmitts politischen Monismus im Gegensatz zu Luhmanns Differentialismus hat am Rande schon Greven (1989, 138 und 146f.) aufmerksam gemacht. Allerdings will Schmitt (1987, 28f.) seine Leitdifferenz nicht normativ verstanden wissen, sondern insistiert auf ihre seinsmäßige Wirklichkeit. Vielmehr kritisiert er (1996a, 28) die „monistische Metaphysik“ des Kelsenschen Rechtspositivismus.

    Google Scholar 

  139. Vgl. auch Oberreuter, 1980, 18 und zur Zunahme von Komplexität GDG, 508 und passim. Wirtz kommt hingegen in der bekannten Inszenierung eines antilebensweltlichen System-Komplotts zu der Erkenntnis, daß Luhmanns Systemtheorie mit der Verunwahrscheinli-chung sozialer Ordnung im Duktus der Schmittianischen Ernstfall-Eigentlichkeit eine katastrophische „Heroen-Geschichte“ (sic!) erzähle und damit die Seinsgewißheit des Alltags kontaminiere. Nur das alternativlose Funktionieren der gesellschaftlichen Teilsysteme garantiere dann jene Normalität als Ausnahmezustand, die den Zusammenbruch der Gesellschaft verhindere. Vgl. Wirtz, 1999, 188. Rasch (1997, 110) gewinnt den Eindruck, daß man in dem Versuch, Luhmann mit Schmitt zu schlagen, eigentlich Weber meint, und verweist darauf, daß die Parallelen zwischen Schmitt und Luhmann mehr auf ihren Rekurs auf Weber zurückgehen als auf tatsächliche Übereinstimmungen.

    Google Scholar 

  140. Gleichwohl wird Schmitt sogar als Vordenker der Postmoderne gelesen und etwa Mar-quards „Abschied vom Prinzipiellen“ (1981) unter Verdacht gestellt. Vgl. hierzu Greven, 1989, 133. Vgl. zur tautologischen Überhöhung der Entscheidung Schmitt, 1996a, 61. In Anlehnung an De Maistre ist demnach nicht wichtig, wie entschieden wird, sondern vor allem, daß entschieden wird.

    Google Scholar 

  141. Vgl. Beck, 1996a, 42. und Schmitt, 1987, 32. Vom geistigen Feind, der die „(...) universelle und totale Negation des Gegners inkarniert (...)“ bleibt in der parlamentarischen Demokratie lediglich die prozessual legitimierte und verfassungsrechtlich geschützte Gegnerschaft der Opposition als „(...) potentielle Regierung“, wie bereits Krockow (1958, 56) feststellte.

    Google Scholar 

  142. „Die Abstimmung ist der dezisionistische Akt, in welchem gerade auch in demokratischen Entscheidungsverfahren die Debatte beendet wird“, schreibt Lübbe (1971, 29). „Die Rolle des Mehrheitsprinzips in politischen Entscheidungsverfahren bekundet die Unausweichlichkeit eines dezisionistischen Elements im politischen Handeln.“ Lübbe, 1980, 175f. Kohler (1990, 49) konzediert prozessualer Legitimation, bspw. dem parlamentarischen „Be-schluß“ eine „eigentümliche Wahrheitsunempfindlichkeit“.

    Google Scholar 

  143. Vgl. zum negativen und positiven Neutralitätsbegriff Schmitts das Corollarium 1 in: Schmitt, 1987, 97ff. Willkür ist für Luhmann (PDG 100), „(...) heute nicht viel mehr als eine Beschreibung durch den Verlierer. »Dezisionismus« existiert demnach nur in der Imagination von Systemkritikern, aber gerade nicht als Problem der Demokratie.“

    Google Scholar 

  144. Schmitt, 1996a, 37f.

    Google Scholar 

  145. RDG, 308; vgl. Foerster, 1993a, 70ff.; 153 und 1993b, 350ff. „Jede Einzelentscheidung bezieht sich (...) auf andere Entscheidungen desselben Systems, und die Einzelentscheidung kann ihren eigenen Sinn nur in solchen internen Beziehungen erfahren (...)“ SS, 34. „Bei dezisionistischen Entscheidungen müssen wir selbst entscheiden, weil der Vernunft die Gründe ausgegangen sind (...),“ konzediert aus moralphilosophischer Perspektive Ker-sting(1992,24).

    Google Scholar 

  146. Vgl. Kohler, 1990, 40 und im Original Lübbe, 1971, 19 und 157. Kohlers Differenz von voluntas und intellectus führt hier allerdings nicht weiter. Denn wenn Wissen auf kontin-genten Entscheidungen, also Dezisionen, basiert und diese auf Wissen, dann wäre von der Einheit von voluntas und intellectus zu sprechen. Aus unserer Perspektive wäre der intellectus vielmehr ein Wissen um Nichtwissen, und die voluntas ein Wille, sich für kontin-gente Selektionen zu entscheiden. Siehe hierzu auch das Kapitel V.l.

    Google Scholar 

  147. Während Greven (1992, 198) analog zu Schmitt (1996a, 19) Dezisionen als Ausnahme und deshalb vorhergehende Entscheidungen lediglich als Entscheidungsprämissen verstanden wissen will, soll hier der dezisionistische Charakter auch ganz alltäglicher Entscheidungen gezeigt werden. Vgl. auch SA5, 8ff.

    Google Scholar 

  148. Vgl. etwa die voraussetzungsreiche Definition Kerstings (1992, 24): „Von rationaler Entscheidung spreche ich also dann, wenn (I) eine Handlung objektiv alternativenfähig ist und man auch anders hätte handeln können, wenn (II) die Handlung unter der Richtigkeitsdifferenz steht, es folglich im Zusammenhang mit dem, was jemand tut, einen Sinn macht, zwischen einer richtigen und falschen Weise des Handelns zu unterscheiden; und wenn (III) die faktisch vollzogene, wenn auch nicht notwendigerweise bewußt gewählte Handlungsalternative die besseren Gründe für sich geltend macht und somit beansprucht, ihren optionalen Konkurentinnen rational überlegen zu lassen.“ Für Baecker (1994, 160) ist dieses Rationalitätsverständnis „(...) nur eine Beruhigungsmaßnahme angesichts der Entdeckung von Kontingent“

    Google Scholar 

  149. Vgl. Kohler, 1990, 47. Zumal es sich bei Entscheidungsgründen häufig um Ex-postLegitimationen oder Zielinversionen handelt, in denen im Nachhinein gute Gründe für schlechte Ergebnisse gesucht werden oder nichtintendierte Ergebnisse als intendiert ausgegeben werden. Vgl. hierzu ausführlich Dörner, 1989, 97ff.

    Google Scholar 

  150. Daß diese Komplexitätsreduktionen in bezug auf politische Entscheidungen fatale Folgen haben können, hat Dörner (1989) ausführlich gezeigt.

    Google Scholar 

  151. PDG, 59. Das reklamiert Luhmann (SS, 11) auch gegen Beymes Dezisionismusvorwurf für die Entwicklung seiner Theorie: „(...) Selbst der Willkür des Anfangs wird, wie im System Hegels, im Fortschreiten des Theorieaufbaus die Willkür genommen. So entsteht eine selbsttragende Konstruktion. “ Und so entsteht in bezug auf Sinnsysteme eine selbstbindende Konstruktion.

    Google Scholar 

  152. Zwar können Sinnsysteme auch nicht viable Entscheidungen fällen, diese bleiben aber entweder wirkungslos oder paralysieren das System etwa in einer paradoxen Situation, die dann mit einer erneuten Entscheidung aufgehoben werden muß. Wo in Interaktionssystemen noch ein gewisses Maß an Nonsens-Kommunikation aufgefangen werden kann, destabilisiert jedes Überschreiten der Viabilität der Beschreibungen einer gemeinsamen Wirklichkeit die Autopoiesis von Funktionssystemen. Vgl. zum Legitimationsproblem einer opportunistischen Viabilitätsorientierung Penz, 1999, 99ff. und 146ff.

    Google Scholar 

  153. Baecker, 1994, 14

    Google Scholar 

  154. Vgl. ausführlich SA3, 335ff. Deswegen werden Verfahrensentscheidungen auch meistens nicht als dezisionistisch wahrgenommen. Im Unterschied zur offensichtlichen Dezision wird die Kontingenz der Entscheidungsbegründung hier jedoch lediglich verfahrenstechnisch unsichtbar gemacht.

    Google Scholar 

  155. Vgl. SS, 626 und Fraenkel, 1973, 327.

    Google Scholar 

  156. Vgl. Dörner, 1989, 62f. und passim sowie für eine Phänomenologie der Entscheidung Lübbe, 1971, 12ff.; 1980, 170.

    Google Scholar 

  157. Allerdings gewinnen diese Entscheidungen ihren ordnungsbildenden Charakter wohl mehr durch die Attribution auf kurzfristige symbolische Effekte, denn schon die Entscheidung zur Entscheidung zeichnet die Entscheidung vor dem negativ konnotierten Verharren aus. Fällt der Begriff der Willkür, steht fast reflexhaft der Vorwurf des Machiavellismus im Raum. Anders aber, als es eine lange Zeit stigmatisierende Rezeption sehen wollte, war Machiavelli nicht einfach der Apologet der Machtwillkür, sondern verwies in den erkenntnistheoretischen Grenzen seiner Zeit schon sehr früh auf das prekäre Verhältnis von virtu und fortuna. Vgl. Münkler, 1994; Machiavelli, 1988; Lefort, 1988a, 243ff.

    Google Scholar 

  158. Vgl. Luhmann, 1997, 69. Zum Problem der Extrapolation der Gegenwart in die Zukunft in bezug auf Entscheidungen vgl. auch Dörner, 1989, 187ff.

    Google Scholar 

  159. Vgl. BDM, 141f. Zukunft hier als gegenwärtige Zukunft und nicht als zukünftige Gegenwart. Vgl. ausführlich Luhmann, 1986a und Baecker, 1989c.

    Google Scholar 

  160. Vgl. Luhmann, 1990b, 29ff.; ÖK 140ff. sowie SA5, 150ff. Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts möglicher Folgen bleibt kontingent und die Risikofixierung ist wahrscheinlich eher in psychologischen Motiven zu suchen.

    Google Scholar 

  161. Mit Willkür wird im Gegensatz zum politischen Dezisionismus Schmitts also weniger auf den volitiven Aspekt bewußter Entscheidung psychischer Systeme als vielmehr auf die Selbstrefentialität von EntScheidungsprozessen sozialer Systeme abgehoben, die gerade keine subjektähnlichen Willenszentren aufweisen. Gerade die systemtheoretische Analyse setzt der Wirkmächtigkeit von Sinnsystemen in bezug auf die Herstellung und Kontrolle sozialer Ordnung enge Grenzen. Luhmanns dezidierter Steuerungsskeptizismus beschränkt sich ja keinesfalls nur auf Funktionssysteme, sondern relativiert bspw. auch pädagogische Vorstellungen von linearer „Erziehung“ von Bewußtseinssystemen. Vgl. auch Marquard (1981, 75) der in diesem Zusammenhang vom „Deus emeritus“ spricht.

    Google Scholar 

  162. Vgl. Schmitt, 1996a, 13ff. Auch für Greven (1992, 204) folgt daraus unter freilich ganz anderen theoretischen Prämissen die Notwendigkeit eines „demokratischen Dezisionismus“, der die „(...) Entkoppelung von Wahrheit und Entscheidung unter Berücksichtigung des funktionalen Erfordernisses verbindlicher Entscheidungen (...)“ reflektiert. Auf seinem Weg aus dem „post-modernen Quietismus“ distanziert sich Greven (1992, 205) zwar vom emphatischen Dezisionismus ebenso wie vom emphatischen Rationalismus. Mit der These der „politischen Gesellschaft“ postuliert er (1990; 1999) jedoch eine Systemgrenzen trans-zendierende politische Rationalität und damit den gesellschaftsweiten Primat politischer Dezisionen. Wir kommen darauf unter IV.5. zurück.

    Google Scholar 

  163. Der postheroische Dezisionismus läßt sich daher auch in Foersters (Vgl. 1993a und 1993b) Epistemologie der Begriffe zweiter Ordnung fassen: Wenn jede Entscheidung auf vorherige Entscheidungen rekurriert, es also keine zu rekonstruierende erste Entscheidung und folglich keine absolute Willkür gibt, dann sind Dezisionen immer Dezisionen über Dezisionen, wird der Dezisionismus zum Dezisionismus zweiter Ordnung. Vgl. zur Rekursivität von Entscheidungen Baecker, 1989c, 38. Die Willkürlichkeit der Entscheidung ist rückgebunden in ein Netzwerk willkürlicher Entscheidungen und findet darin ihre Beschränkung. Denn schon die Selektionsparameter für die Auswahl des zu entscheidenden Problems, die Problemkonstruktion, die Auswahl möglicher Entscheidungsalternativen sowie die Entscheidung über Entscheidungsverfahren und -fristen beruhen auf kontingenten Dezisionen als erste Reduktion von Komplexität. Vgl. zur prekären Konstruktion von Problemen Ca-storiadis, 1984, 230f.

    Google Scholar 

  164. „Der Rationalist entdeckt in dem Dezisionisten den Antichristen, der Sand in seine makellose und selbstgenügsame Rechtfertigungsmaschinerie wirft. (...) Der Dezisionismus verachtet den Rationalismus“, kennzeichnet Kersting (1992, 25) die klassische „Feindschaftsgeschichte“ zwischen Grund und Grundlosigkeit. Vgl. exemplarisch Schmitt 1987, 74. Vgl. kritisch zur ökonomisch geprägten Entscheidungstheorie Habermas, 1993, 404ff.: „Es ist die Zweckrationalität, die der homo oeconomicus dem homo sociologicus voraus hat“ (410).

    Google Scholar 

  165. Vgl. Kaufmann, 1992, 3 und Kersting, 1992, 24.

    Google Scholar 

  166. Problematisch wird Kerstings (1992, 35) Ansatz in dem Versuch, die offensichtlich unvermeidliche Willkürentscheidung jenseits der „(...) moralischen Rationalitätsroutine (...)“ zu marginalisieren. Indem einer gelegentlichen Dezision, bspw. in einer rationalitätskritischen personalen Entscheidung oder in einer „buridanischen Situation“ Berechtigung zugesprochen wird, soll die rationale Entscheidung der überpersonalen Moralphilosophie und damit die politische Entscheidung vom Makel der Willkür freigehalten werden. Auch Krockow (1958, 154ff.) versucht, die prozessual-rationale Entscheidung vor der Dezision zu retten, indem er sie vom voluntaristischen Entschluß des Subjekts unterscheidet.

    Google Scholar 

  167. Deshalb erklärt etwa Birnbacher (1992, 13) die Dezision zur Ausnahme: „Zu einer Dezision kann es nur dann kommen, wenn allererst eine Unsicherheit besteht, die nach Auflösung verlangt“. Denn Sicherheit in Birnbachers Sinn bieten nicht nur normative, sondern auch ästhetische und affektive Präferenzen. Tatsächlich sind Situationen prospektiver Unsicherheit, in denen sich trotz hochgradig routinisierter Entscheidungsverfahren überhaupt keine Präferenzen aktualisieren lassen, wohl eher die Ausnahme. In der Regel kommt es zu ambivalenten Situationen, in denen Präferenzen kollidieren, also zu Wertwidersprüchen, die aus unserer Sicht nur dezisionistisch gelöst werden können. Diese sind vor allem in Gesellschaften mit abnehmender „Normierungsdichte“, also in der polykontexturalen Gesellschaft, hoch wahrscheinlich. Während Birnbacher einen präferenzlosen und daher restriktiven Dezisionismusbegriff vorschlägt, begreift Lübbe den Dezisionismus bereits als ubi-quitäres Phänomen. Vgl. Lübbe, 1971, 154ff.

    Google Scholar 

  168. Vgl. Schmitt, 1996a, 19. Bereits Weber (1980, 441 ff und 507f.) entdeckte den dezisioni-stischen Charakter von Normen.

    Google Scholar 

  169. Baecker, 1992c, 38. Vgl. zu Gödels Unvollständigkeitssatz auch Welsch, 1987, 77.

    Google Scholar 

  170. Mit der Trennung von Geltung und Wahrheit sah sich bereits der liberale Pragmatismus in die Nähe des „kompromittierten Dezisionismus“ (Lübbe 1971, 7; 1980, 163) gestellt. Lüb-be (1980, 173) betont die inhärente Unsicherheit, mithin das dezisionistische Moment jeglicher Entscheidung: „Vereinfacht gesagt besagt dieses Argument des moraltheoretischen Dezisionismus, daß wir, handelnd, in letzter Instanz souverän nur in bezug auf unsere Absichten sind — nicht dagegen in bezug auf die Wirkungen und Nebenwirkungen unseres Handelns.“

    Google Scholar 

  171. Auch Rasch (1997) sieht im Abstract zu seinem Aufsatz den Schmittschen Primat des Politischen überwunden und tragt nur noch rhetorisch: „(...) whether it is the primacy of the political, or, in fact, the »primacy« of functional differentiation as defined by Luhmann, that serves as the ultimate condition for the possibility of an antagonistic pluralism and radical liberalism.“

    Google Scholar 

  172. Lefort, 1990b, 50. Siehe ausführlich zu den verantwortungsethischen Folgen V.3.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2004 VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

About this chapter

Cite this chapter

Wefer, M. (2004). Demokratie als postheroische Ordnung. In: Kontingenz und Dissens. Studien zur politischen Gesellschaft, vol 5. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80950-6_4

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-80950-6_4

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-8100-3933-0

  • Online ISBN: 978-3-322-80950-6

  • eBook Packages: Springer Book Archive

Publish with us

Policies and ethics