Zusammenfassung
Innenpolitisch stand das Jahr in Mauretanien (M.) bereits im Zeichen der Ende 2003 fälligen Präsidentenwahl. Hatte die Transparenz der Legislativwahlen des Jahres 2001 Hoffnungen auf eine Liberalisierung des nur formal demokratischen Regimes geweckt, kehrte dieses wieder stärker seine autoritäre Seite hervor. Am 2.1. wurde wegen „Bedrohung der nationalen Einheit“ die Partei Aktion für Wandel (AC) verboten, die kurz zuvor die meisten der 11 Oppositionssitze in der Nationalversammlung gewonnen hatte. (Ihre vier Abgeordneten behielten ihre Sitze als Unabhängige.) Sie hatte ihre Anhänger vor allem unter den sozial marginalisierten und diskriminierten Haratin („Freigelassenen“). AC-Generalsekretär Messaoud Ould Boulkheir, eine der beiden starken Führungspersönlichkeiten der Opposition, hatte in der von den staatlichen Medien direkt übertragenen Plenarsitzung am 24.12.2001 die Menschenrechtsverletzungen an schwarzafrikanischen Mitbürgern (1986–1991) sowie den Fortbestand sklavereiähnlicher Zustände in der Schicht der Haratin angeprangert, Themen, die offiziell tabu sind. Schon bei der 3. Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenhass und Intoleranz in Durban (31.8.-7.9.2001) war Boulkheir als „Nestbeschmutzer“ aufgetreten — jedenfalls nach Ansicht der Regierungsdelegation, die dafür sorgte, dass M. nicht wie der Sudan in die Liste der Sklaverei betreibenden Länder aufgenommen wurde. (Den Bericht, den Amnesty International am 7.11. zum Thema Sklaverei veröffentlichte, wies die Regierung zurück. Er wurde aber auch von regimeunabhängigen Kreisen als fehlerhaft und kontraproduktiv kritisiert; LC, 13.11.) Das AC-Verbot, gegen das die Partei Rechtsmittel einlegte, wurde am 1.3. vom Obersten Gericht bestätigt. Am 25.8. scheiterte Boulkheirs Versuch, die Genehmigung für eine neue Partei (Konvention für Wandel) zu erhalten. Nach der ba’thistischen Partei al-Tali’a und der Union der Demokratischen Kräfte (UFD) des anderen sehr populären Oppositionsführers, Ahmed Ould Daddah, war dies das dritte Parteienverbot seit der Einführung des Parteienpluralismus (1991). UFD-Mitglieder hatten 2001 indes die Genehmigung für eine Nachfolgepartei erhalten, die Sammlung der Demokratischen Kräfte (RFD). Daddah, der bei der — nicht fairen — Präsidentenwahl 1992 erfolglos gegen Taya angetreten war (1997 boykottierte die Opposition), wurde am 17.1. Präsident dieser stärksten Oppositionspartei (die am 1.6. in Casablanca Beobachterstatus bei der Sozialistischen Internationale erhielt) und stand somit wieder als Herausforderer des vermutlich erneut kandidierenden Taya bereit. Am 13.10. gründeten die RFD und sieben weitere Oppositionsparteien, auch die verbotenen, ein Koordinationsgremium. Risse in der Geschlossenheit der Opposition zeigten sich aber bald durch die Rivalität zwischen der RFD und der Union der Fortschrittskräfte (UFP), einer dialogbereiteren UFD-Abspaltung, die seit August vergeblich versuchte, Regierungs- und Oppositionsparteien an einen Tisch zu bringen, um einen politischen Verhaltenskodex auszuarbeiten. Als die UFD aus dem Koordinationsgremium ausgeschlossen werden sollte, verließ sie (am 10.11.) die Oppositionsfraktion in der Nationalversammlung. Ohne die drei UFP-Sitze erreichte die Opposition (die bis 2001 nur einen einzigen Abgeordneten gehabt hatte) nicht mehr Fraktionsstärke.
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Clausen, U. (2004). Mauretanien 2002. In: Mattes, H. (eds) Nahost Jahrbuch 2002. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80940-7_20
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-80940-7_20
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