Zusammenfassung
Wenn ich die beiden Worte Freiheit und Selbstentfremdung im Titel meines Berichts vereint habe, so will ich damit nicht sagen, daß ich die alte Problematik nochmals aus den Quellen zum Sprechen bringen will. Das scheint mir überflüssig. Die rein sachliche Problematik dürfte wohl weitgehend klar sein; sie bedarf keiner neuerlichen Aufwärmung. Wenn heute dafür noch immer ein gewisses Interesse zu bestehen scheint, so ist das wohl nur eine Folge des Nationalsozialismus unter vielen anderen, indem viele — insbesondere jüngere Leute1 — in Deutschland die Problematik des jungen Marx erst nach 1945 kennengelernt haben, während alle wesentlichen Diskussionen in Deutschland ziemlich genau fünfundzwanzig Jahre früher seit Anfang der zwanziger Jahre stattgefunden haben (Karl Korsch, von Georg Lukács bis Karl Löwith u.v.a.). Ich sagte in Deutschland, weil ich damit eine Einschränkung machen wollte; denn anderswo in der Welt ist diese Diskussion noch wesentlich älter. Sie rührt im Grunde aus dem Jahre 1898, dem fünfzigjährigen Jubiläum des „Kommunistischen Manifests“, also zu einer Zeit, als die „Jugendschriften“ von Marx noch gar nicht bekannt waren. Hier wiesen eine ganze Reihe von Marxisten und Antimarxisten eindeutig auf die unausgesprochenen, aber notwendig vorauszusetzenden philosophisch-metaphysischen Hintergründe von Marx hin, was dann nach der Publikation dieser Schriften glänzend bestätigt wurde. Hierher gehören vor allem die Interpretationen von Benedetto Croce, Georges Sorel u.a., insbesondere einiger namhafter italienischer Sozialisten und Anarchisten, während sich die deutschen Interpreten in der Revisionsdiskussion erschöpften (wie etwa Eduard Bernstein). Damals kommen auch die totalitären Züge von Marx zum erstenmal zur Geltung, ein Thema, das seit unseren Erfahrungen mit allen möglichen totalitären Regimen von den sozialistischen und kommunistischen Marxinterpreten geflissentlich und sorgsam umgangen wird.
Diese Abhandlung wurde zuerst auf Einladung der Freien Universität Berlin im Rahmen der „Abendvorträge“ im Wintersemester 1961–62 vorgetragen und erschien später in dem Sammelband „Freiheit als Problem der Wissenschaft“, Berlin 1962. Wiederabdruck in René König: Studien zur Soziologie, Frankfurt a.M. und Hamburg 1971, S. 69–89.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Notes
Georg Lukács: Geschichte und Klassenbewußtsein, Berlin 1923, S. 39.
Georg Lucács: Der junge Hegel. Über die Beziehungen zwischen Dialektik und Ökonomie, Zürich 1948.
Götz Briefs: Betriebssoziologie, in: Alfred Verkandt, Hrsg.: Handwörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1931.
Erich Gutenberg: Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Bd. I, Berlin 1950, S. 177 ff.
Vgl. Georges Friedmann: Die Grenzen der Arbeitsteilung, Frankfurt/Main 1959.
Karl Marx: Der historische Materialismus; herausgegeben von S. Landshut und I. P. Mayer, 2 Bde., Leipzig 1932, Bd. I, S. 348.
Ralf Dahrendorf: Homo Sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle, 8. Aufl., Köln-Opladen 1969, S. 10.
Vgl. dazu René König: Einige Bemerkungen über die Bedeutung der empirischen Forschung in der Soziologie, in: ders., Hrsg.: Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 2, Stuttgart 1969, S., 1278–1291.
Vgl. dazu René König, Hrsg.: Emile Durkheim. Die Regeln der soziologischen Methode, 3. Aufl., Neuwied 1971
Friedrich H. Tenbruck: Zur deutschen Rezeption der Rollentheorie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. X III, 1961.
Karl Löwith: Das Individuum in der Rolle als Mitmensch. Ein Beitrag zur anthropologischen Grundlegung der ethischen Probleme, München 1928, S. XIII–XIV.
Vgl. dazu speziell René König: Emile Durkheim (1858–1958), in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Bd. X, 1958, S. 579ff., 582–583.
Charles Blondel: La conscience morbide, Paris 1912.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 2002 Leske + Budrich, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
König, R. (2002). Freiheit und Selbstentfremdung in soziologischer Sicht. In: Daheim, H., Fröhlich, D. (eds) Arbeit und Beruf in der modernen Gesellschaft. René König · Schriften · Ausgabe letzter Hand, vol 16. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80879-0_1
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-80879-0_1
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-322-89965-1
Online ISBN: 978-3-322-80879-0
eBook Packages: Springer Book Archive