Zusammenfassung
„Was wollen die Studenten? “ — „Protest der Jugend. Analysen-Meinungen-Retrospektive-Diskussion“ — „Die rebellischen Studenten. Elite der Demokratie oder Vorhut eines linken Faschismus? “ — „Studentenunruhen. Ursachen — Reformen. Ein Plädoyer für die Jugend“. Dies ist nur eine kleine Auswahl aus einer Fülle zeitgenössischer Buchtitel, unter denen in der Bundesrepublik die damalige Protestbewegung beleuchtet wurde. Die Forschung zu,1968’ hat diese zeitgenössischen Deutungen und Kommentare, die als Kaleidoskop einer ‘bewegten’ Zeit und Gesellschaft verstanden werden können, noch nicht systematisch analysiert. Der folgende Beitrag stützt sich auf westdeutsche Stimmen in Form oder als Teil von insgesamt 45 Veröffentlichungen (Bücher/Broschüren) aus dem Zeitraum 1967–70. Er möchte die heutige geschichtswissenschaftliche „Chance des zweiten Blicks“ für eine Analyse des zeitgenössischen „ersten“ Blicks auf die Ereignisse nutzen und damit zugleich die kritische historisierende Prüfung jener lange vorherrschenden Deutungsmuster mit voranbringen, die man gewissermaßen zwischen diesen beiden Blicken eingespannt findet. Gemeint sind die Nach-68er-Interpretationen der Akteure, Sympathisanten, Beobachter und Kritiker von damals, der Protest-Träger wie der „Protest-Geschädigten“. Methodisch geschieht dies insbesondere durch eine diskursgeschichtliche Analyse des zeitgenössisch geradezu inflationär’ gebrauchten Begriffs der „Unruhe“. Im Ergebnis wird der beobachtete ‘Unruhediskurs’ als Indikator und Triebkraft eines inneren Demokratisierungs- und Polarisierungsschubes der bundesdeutschen Gesellschaft im Übergang von den 60er- zu den 70er-Jahren charakterisiert.
Abstract
“What do the students want? ” — “Youth protest. Analysis-Opinions-Retrospectives-Discussion” — “The rebellious students. Democratic elite or avant-garde of a leftist fascism? ” “Students’ unrest. Causes — Reforms. Pleadings for the youth”. This is just a small selection out of a wide range of contemporary publications which dealt with the protest movement in the GDR. We still lack a systematic historiographical analysis of contemporary interpretations and commentaries which may serve as kaleidoscope with regard to this turbulent epoch and society. The following article is based on West-German sources and voices speaking through 45 publications (books and brochures), published between 1967–70. The author’s intention is to use the opportunity of so-called “second-glance” to analyse the “first glance” at the contemporary events and to bring forward at the same time the task of historicizing those perspectives which have been established between those two glances. It is aimed explicitly at the post-68-interpretations given by the actors, sympathizers, observers and eritiques, active at that time, those who acted out the protest and their “victims”. In methodological terms, it is done by analysing discourses, especially the inflationary used term of “unrest”. It concludes by identifying the “unrest discourse” as an indicator as well as a driving power behind the inner democratization as well as polarization so characteristic of the West-German society at the end 1960s and the early 1970s.
Der vorliegende Beitrag bietet eine aktualisierte und gekürzte Fassung meines Aufsatzes: Kersting (2003). Dort finden sich auch ausführliche Quellen- und Literaturbelege/hinweise sowie eine geson-derte Auflistung (ebd., 738-740) aller ausgewerteten zeitgenössischen Deutungen. Neben dem Nach-weis von Zitaten beschraänken sich daher die Literaturangaben im Text auf eine knappe Auswahl der wichtigsten seither erschienenen Veröffentlichungen. Eine umfangreichere Studie zum Thema ist in Vorbereitung.
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Kersting, FW. (2005). „Unruhediskurs“. Zeitgenössische Deutungen der 68er-Bewegung. In: Merkens, H., Zinnecker, J. (eds) Jahrbuch Jugendforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80800-4_4
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