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Wozu heute noch Transformationsforschung in Deutschland?

Über den Zusammenhang der Transformationen im Osten mit westlichem Wandel und den Platz (Ost-)Deutschlands darin

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Ostdeutschland
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Zusammenfassung

Vergegenwärtigt man sich nach über einem Jahrzehnt das Feld der deutschen Transformationsforschung, sind drei Befunde auffällig: Erstens ist für die letzten fünf bis acht Jahren ein zunehmendes Desinteresse an Transformationsforschung, zuweilen ein echter Überdruss am Thema auszumachen. Das manifestierte sich in einer stetigen Abnahme von Forschungsprojekten und Publikationen der Transformationsforschung, wobei gleichzeitig Themen wie Globalisierung, neue westliche (Post-)Modernisierungstrends, Kulturen oder auch Moral („gute Gesellschaft“) an Attraktivität gewannen. Zweitens wurde die zunächst theoretisch-methodologisch schmale Transformationsforschung zwar gegenständlich und konzeptuell geöffnet, jedoch fanden kaum Anschlüsse an die neuen Themen statt. Eher ist vom Einrichten bzw. rekonstruierenden Ausbau einer Nische zu sprechen.1 Von dieser Nischenbildung ist schließlich drittens die Transformationsforschung zu Ostdeutschland bzw. die Vereinigungsforschung in ganz besonderer Weise betroffen. Der Sonderfall Ostdeutschland wird nach wie vor von den anderen osteuropäischen Umbrüchen separiert. Transformationsforschung wird in erster Linie als Vereinigungsforschung begriffen, die Anpassungs- und Angleichungstendenzen von Ostdeutschland an Westdeutschland untersucht, wobei auch hierfür das sozialwissenschaftliche Interesse seit Mitte der 90er Jahre deutlich geschwunden ist und der Terminus „Transformation“ kaum noch verwendet wird (vgl. Kap. 6).

Dieses Kapitel greift auf ein Diskussionspapier zurück, das 2001 unter dem Titel „Postsozialistische Transformationen im 21. Jahrhundert oder: Wozu heute noch Transformationsforschung?“ als Arbeitsbericht Nr. 9. des Instituts für Soziologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg erschien.

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Notes

  1. Vgl. z.B. die Diskussionen zum Status quo bei von Beyme 1999; Merkel 1999; Oswald/Wielgohs 1999; Teckenberg 2000; Hopfmann/Wolf 2001; Wiesenthal 2001; Adamski et al. 2002; Bönker/Müller, Pickel 2002.

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  2. Paradigmatisch ist hierfür das Werk der Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern (KSPW), aber auch zahlreiche andere Förder-und Forschungsinstitutionen, auch die DFG mit ihrem DDR-Schwerpunktprogramm Anfang der neunziger Jahre. Zu dieser Einschätzung auch Reißig 2000; Schäfers 1999 sowie Kaase/Lepsius 2001.

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  3. Dass selbst die asiatischen Transformationsgesellschaften keine homogene Gruppe bilden, ist angesichts der divergenten Verläufe z.B. in Turkmenistan, Vietnam und — der vielleicht wichtigsten Reformgesellschaft — China evident.

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  4. Die Problematisierung der Differenzen und Identitäten diskursiver und gesellschaftspraktischer Elemente postsozialistischer „Modernisierungen“ in den Transformationen muss ein wichtiges Anliegen zukünftiger Transformationsforschung sein. Ich danke J. Angermüller und H. Schrader für den Hinweis auf diese Problemdimension.

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  5. Diese Entwicklungszyklen sind zeitlich im Wesentlichen durch die nationalen Wahlzyklen und die damit zusammenhängenden mittelfristigen Staats-und wirtschaftspolitischen Planungs-und Aktionshorizonte fundiert.

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  6. Ich beziehe mich im Folgenden — ohne detaillierte Nachweise — vor allem auf folgende theoretische und empirische Arbeiten zum Akteur-und Institutionenwandel in Osteuropa: Czada/Lehmbruch 1998; Dahrendorf 1990; Eggeling et al. 1997; Elster et al. 1998; Ettrich 1999; Grabher/Stark 1997; Linz/Stepan 1996; Merkel 1999; Merkel et al. 1996; Müller 1998; O’Donnell 1996; Offe 1994; Przeworski 1991, Przeworski et al. 1995; Rüb 1994; 1996; Schmitter 1994; Stark/Bruszt 1998; Staniszkis 1992; 1998; Tatur 1995; 1998; Wesolowski 1995; Wielgohs/Wiesenthal 1997. Ausführlichere und letzte Fassungen meines Ansatzes in: Kollmorgen 2005.

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  7. Zur Bedeutung der Mesoebene als intermediäres Zentrum (west-)moderner Gesellschaften und zum Begriff der Akteur-Institutionen-Komplexe grundlegend: Lepsius 1990: 53–62; Mayntz/Scharpf 1995; Kaase et al. 1996: 155ff., im speziellen transformatorischen Zusammenhang auch: Linz/Stepan 1996: Part I; Offe 1994; Rüb 1994; Grabher/Stark 1997 sowie Kapitel 2 im vorliegenden Band.

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  8. Hier haben vor allem J. Staniszkis und E. Hankiss wegweisende Arbeiten vorgelegt. E. Hankiss fasste unter politischem Kapitalismus in diesem Sinne bündig: The making owners of the nomenklatura.

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  9. Zu den Begriffen civil, political und dann auch economic society siehe Linz/Stepan 1996: chapt. I. Begründet werden kann der Vorlauf soziopolitischer Akteur-und Institutionenbildungen gegenüber sozioökonomischen damit, dass erstere nur einen Handlungsbereich betreffen, weniger sozialstrukturell gebunden sind, eher „universale“ Wertelemente beinhalten und sich leichter ideologisch formen lassen, damit insgesamt schneller und effektiver organisierbar erscheinen. H. Wiesenthal hat dieses Problem an den Interessenvertretungen expliziert, als er zeigen konnte, dass sich territorialpolitische Interessenvermittlungsinstitutionen (Parlamente, Parteien) einfacher und damit schneller herstellen lassen als funktionale Institutionen, worunter insbesondere Verbände fallen (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Berufsverbände etc.). Dies gilt vor allem aufgrund der ungleich stärkeren Belastung von Verbänden durch die Kollektivgüter-Problematik (Wiesenthal 1995a, b, 1997).

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  10. In der letzten Dekade entwickelten sich die Sozialstrukturen in Mittelost-und ungleich stärker in Osteuropa von einer „egalitären Arbeiter-und Bauerngesellschaft„ mit einer umfangreichen unteren Mittelschicht zu einer mit Lateinamerika vergleichbaren polaren Sozialstruktur, die breite Unter-und (verarmte) „Randschichten“, eine kleine, zum Teil „superreiche“ Oberschicht (aus nicht zuletzt „politischen Kapitalisten“) und eine schmale(re) Mittelschicht aufweist. Die überall empirisch nachweisbare Zunahme von sozialer Ungleichheit geht daher nur bedingt und äußerst langsam in Richtung einer „Verbürgerlichung“ bzw. „Mittelstandsgesellschaft“.

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  11. Es ist offensichtlich, dass auch diese Konstellation dilemmatische Züge trägt: Instrumentelle Funktionalität setzt gesellschaftliche und diese beiden soziokulturelle Bindungen (vor allem eine bestimmte politische Kultur) voraus und vice versa. Ich begreife dieses Dilemma als einen Teilaspekt der oben bereits angesprochenen Transformationsprobleme zwischen den Ebenen der Gesellschaft (vgl. Offe 1997).

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  12. Grundsätzlich hierzu: Mannheim 1928 oder im Kontext von Kohortenanalysen Mayer 1990. Speziell zum Generationenproblem im Kontext von 1989: Leggewie 1995; Göschel 1999.

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  13. Insgesamt lässt sich die Sequenz der Akteur-und Institutionenbildung zur Aussage zuspitzen, dass in den (mittel-)osteuropäischen Transformationen erst die Demokratie, dann demokratische Organisationen entstehen, aus denen kulturell gefestigte Demokraten erwachsen, und dass der Kapitalismus dem Kapitalisten vorausgeht (vgl. Kapitel 2 in diesem Band). In diesem Sinne argumentierte bereits Offe im Jahr 1991 (in 1994, vgl. auch Elster et al. 1998). Ähnlich pointierten Eyal, Szelényi und Townsley (1998) das „Making capitalism without capitalists“. Für Osteuropa (etwa Russland) von „capitalists without capitalism“ zu sprechen, markiert zwar eine schöne Dialektik, stellt aber eine noch größere, vielleicht bereits fragliche Zuspitzung dar, wenn man Weberianischen Argumentationen folgt.

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  14. Zur Diskussion komparativer Perspektiven von Beyme 1994; Houston 1992; Karl/Schmitter 1991; Kollmorgen 2005; Offe 1994; Staniszkis 1995; Stykow 1999.

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  15. Zur Einschätzung der Transformationsforschung und Transformationstheorie (vor allem in Deutschland): Hradil 1996a; Kaase/Lepsius 2001; Kalthoff/Pickel 1999; Reißig 2000; Schäfers 1999. Sowohl bei den genannten dominierenden Ansätzen wie bei den Einschätzungen ist auffällig, dass die entwicklungssoziologische Tradition der letzten Jahre und Jahrzehnte bestenfalls marginal in Anspruch genommen wurde. Nur einige area specialists und vor allem Vertreter der historischen bzw. historisch vergleichenden Modernisierungsforschung schwammen hier gegen den Strom. Dass mit dieser Marginalisierung nicht nur eine Reihe von analytischen „Rädern“ ein zweites Mal erfunden werden mussten, sondern wichtige komparative Einsichten und Heuristiken (siehe oben Pkt. c) verschenkt wurden, nicht zuletzt zu Akteuren, Kulturen und Richtungsverläufen von „Modernisierungen“, die den neo-parsonianischen Ideen klar widersprechen (vgl. exemplarisch Eisenstadt 1979, 1999), ist kritisch anzumerken und fordert eine entsprechende Reorientierung (vgl. auch dazu: Kollmorgen 2004a).

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  16. Dieser „blinde Fleck“ der Forschungen hat Tradition. Nach der Debatte zur Systemkonvergenz in den 60er Jahren verschwand der Osten von der Bildfläche der Zukunftsdiskurse im Westen, für viele: Toffler 1980; Zapf 1991; Beck/Giddens/Lash 1996; Schmidt/Trinczek 1999. Als wenige Ausnahmen im Westen etwa Hopfmann/Wolf 1998 oder Hirschhausen/Bitzer 2000 (zur Globalisierung) oder Simonis 1998 (zu Auswirkungen auf das „Modell Deutschland“).

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  17. Exemplarisch ist etwa auf den Münchner Sonderforschungsbereich zur „reflexiven Modernisierung“ zu verweisen, der keine Teilprojekte enthält, die ostdeutsche oder osteuropäische Modernisierungsprobleme thematisieren (vgl. den bewilligten Antrag aus dem Jahr 1998 und Beck/Bonß/Lau 2001). Immerhin ist aber gleichsam als Gegenentwurf auf den Sonderforschungsbereich 580 (Halle/Jena) zu verweisen, der die deutsch-deutschen Entwicklungen ausdrücklich nicht unter einer derartigen Zuteilung von Entwicklungsproblemen und Chancen vergleichend analysieren will (vgl. den Antrag aus dem Jahr 2000).

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  18. Zu diesen Befunden und Diskussionen siehe die sechs Berichtsbände der KSPW (1996) und einen letzten Abschlussband Bertram/Kollmorgen 2001. Weitere Diskussionen z.B. bei Angerhausen et al. 1998; Czada/Lehmbruch 1998; Wiesenthal 1999; Artus et al. 2000; Land 2000; Engler 2002.

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  19. Zu dieser Diskussion vgl. die Beiträge in Wiesenthal 1996; Wielgohs/Wiesenthal 1997; Thomas 1998b; Schluchter/Quint 2001 sowie Kapitel 2 und 5 im vorliegenden Band.

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  20. Jedenfalls — um dies noch einmal klarzustellen und auf das Anfangsproblem des Modernisierungsdiskurses zurückzukommen — dann nicht, wenn unter Modernisierung mehr als eine angestrebte „Zeitgemäßheit“ von Gesellschaft in ihren Umwelten verstanden wird. Eine solche Zeitgemäßheit wurde freilich von den Oppositionellen und noch mehr von dem enttäuschten technokratischen Führern der zweiten Reihe und der breiten Bevölkerungsmasse anvisiert, wobei der zunehmende interne und externe Veränderungsdruck und das konfliktöse Einläuten von realen Veränderungen (von der Solidarnosc und bis zur Perestrojka) vielleicht als eines der Symbole für den Beginn einer neuen Globalität gelten können. Es gibt seit dem Scheitern des Realsozialismus praktisch keine Gesellschaft mehr (abgesehen von letzten Inseln archaischer Gemeinschaften), der es militärisch, ökonomisch, politisch oder kulturell gelingt, sich von den weltgesellschaftlichen Durchdringungen und Einvernahmen abzugrenzen. Dies bedeutet aber eben im Umkehrschluss auch, dass „Modernisierungen“ heute mehr denn je alle Gesellschaften betreffen und wechselseitig herausfordern, auch die so genannte „Erste Welt“ — worin immer diese Bewegung bestehen mag (von Freiheitsgewinnen, Kommunikationsbeschleunigungen, neuen Privatismen, politischen Neo-Liberalisierungen bis hin zu ökologischen Bedrohungen).

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Kollmorgen, R. (2005). Wozu heute noch Transformationsforschung in Deutschland?. In: Ostdeutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80784-7_2

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-531-14749-9

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