Zusammenfassung
Einstmals schien es selbstverständlich, Niklas Luhmann als „konservativ“, gar als „reaktionär“ zu bezeichnen. Dass man in dem Bielefelder Gelehrten einen „Verwaltungsangestellten im Dienst der Systemtheorie“1, sozusagen einen Weltbuchhalter sehen konnte, stützte habituell, was ohnehin für ausgemacht galt in Zeiten, in denen eine „progressive Einstellung“ für Studierende der Soziologie und viele der — wie es seither heißt — „Lehrenden“ geradezu definitorisch feststand, dass Luhmann nämlich schon deshalb auf’s „Konservative“ festgelegt sei, weil die meisten Studierenden seine Lehrveranstaltungen in Bielefeld mieden.2 Heute mag man kaum glauben, dass der produktivste Denker dieser Reformuniversität relativ kleine, oft von Ausländern dominierte Auditorien hatte (was keineswegs als Beitrag zur heute viel beschworenen „Internationalisierung des Studiums“ gewürdigt wurde) — wenigstens galt das für lange Zeit. Er habe als Privatdozent ein Dutzend guter Studenten gehabt und bei seiner Emeritierung noch immer — das war nicht ohne qualitätssichernden Stolz gesagt. Schließlich jedoch konnten weder der Komplexionsgrad seiner Theorie noch sein an Vilfredo Pareto gemahnendes Projekt der Entwicklung einer den Alltagsverständnissen entrückten Theorienomenklatur verhindern, dass er ein Zeitgeist-Autor wurde; Günter Burkart hat auf die deutsche Feuilletonwirksamkeit richtig hingewiesen.3 Das war umso überraschender, als man Luhmanns Theorie „wie eine Fremdsprache lernen“4 musste, was auch manchen seiner späteren Schüler und Nachfolgedenker anfangs blockiert hat.
Dank sage ich för die Unterstötzung bei der Fertigstellung des Vortrages und der ihm folgenden Ausarbeitung Verena Schimpf, Cornelia Schupp und Dana Giesecke.
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Rehberg, KS. (2005). Konservativismus in postmodernen Zeiten: Niklas Luhmann. In: Runkel, G., Burkart, G. (eds) Funktionssysteme der Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80782-3_13
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