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Abstraktion: Kulturalisierung von Identität

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Book cover Identitätsformationen in Deutschland

Part of the book series: Forschung Politik ((FPOLIT))

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Zusammenfassung

In De re publica definiert Cicero den Staat als die Sache des Volkes und das Volk als die Ansammlung einer Menge, die in der Anerkennung des Rechts und der Gemeinsamkeit des Nutzens vereinigt ist1, wobei er das Gedeihen des Staates an eine im Menschen angelegte Gerechtigkeit bindet (vgl. 1987: 55). Gegen Ciceros Staatsverständnis wendet Augustinus in De civitate Dei ein, einem lediglich als Rechtsordnung und Nutzengemeinschaft fundierten Staat fehle die „wahre Gerechtigkeit“, die erst aus „irgendeiner beliebigen Menge“ ein Volk mache (1953, Bd. 3: 304). Was von der nur im Menschen begründeten Gerechtigkeit, bei der „der Mensch Gott nicht dient“, zu halten sei, machten Eigennutz, Herrschaftsdrang und unrechtmäßige Annexion als Grundlagen des römischen Imperiums deutlich; da sich hier keine wahre Gerechtigkeit fände, könne auch von Recht keine Rede sein, folglich sei die römische Republik nach Ciceros eigenen Definitionen „eigentlich nie ein Staat gewesen“ (Augustinus 1953, Bd. 3: 303–306). Der nordafrikanische Kirchenlehrer verstand die „wahre Gerechtigkeit“ als Hingabe an Gott; was sein Einwand gegen Cicero jedoch diesseits der theologischen Begründung für das Thema Staat und Identität erhellt, ist die Annahme, dass eine nur in der Einhaltung von Normen der Konfliktregelung (vgl. Dahrendorf 1972: 11–93) oder in Kosten-Nutzen-Überlegungen (vgl. Downs 1968: 3–72) vereinigte Ansammlung von Menschen noch keinen Staat mache. Im Unterschied zu Cicero zieht Augustinus zur Definition des Staates nicht das Volk, sondern die in Eintracht verbundenen Einzelnen heran; für ihn ist „der Staat nichts andres … als eine einträchtige Vielheit von Menschen“ (1951, Bd. 1: 66).

„Alles, was überhaupt ist, geschieht unter der Schädeldecke. Die Welt als Ereignis eines kolossalen Überschwangs in unermeßlicher Enge. Die Leidenschaft der Abgeschlossenheit ist das Medium Gottes wie der Welt. Klaustromania. Reklusiasmus. Das Ich ist nur ein artiger Höfling unter dem absoluten Souverän der Neuronenherrschaft, deren Wahlspruch lautet: Kognition ist alles, die Welt nur ein Etwas.“

Botho Strauß, Beginnlosigkeit (1992: 11f.)

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References

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© 2005 VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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Bergem, W. (2005). Abstraktion: Kulturalisierung von Identität. In: Identitätsformationen in Deutschland. Forschung Politik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80749-6_4

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-80749-6_4

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-531-14646-1

  • Online ISBN: 978-3-322-80749-6

  • eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)

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