Zusammenfassung
Der Terminus „politische Führung“, wie im oben angeführten Zitat des Florentiner Politologen Jean Blondel charakterisiert, bezeichnet ein schillerndes Kuriosum, ja er erscheint geradezu als semantisches Chamäleon — und das, obwohl er zu den klassischen Themen der politikwissenschaftlichen Forschung zählt. Nur selten findet sich der Begriff in den einschlägigen Politiklexika wieder, dennoch wird vielfach, wenn auch ohne terminologische Trennschärfe, über ihn raisoniert: „Führung“, so heißt es einerseits, sei abhängig vom Charisma des jeweiligen Anführers, andererseits existiere aber ebenso das Phänomen des „noncharismatic personalism“2. Beliebt sind auch Kompendien von Eigenschaften und Fähigkeiten, die für „gute Führung“als funktional unabdingbar erachtet werden, die von Kommunikationsfähigkeit über Durchsetzungskraft bis zu Ideenreichtum reichen und von Aufsatz zu Aufsatz variieren. Kurzum: Auch nach eingehender Lektüre der entsprechenden Literatur wird nicht recht klar, was genau unter „Führung“zu verstehen ist; man sucht vergeblich nach einer Art Definition.
„[Political leadership] is highly visible, much talked about, and complex to assess“(Jean Blondel)1
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Literatur
Zit. nach: Fagagnini, Hans Peter: Was soll denn politische Führung?, in: Zeitschrift für Politik 47 (2000) 3, S. 274–292, hier S. 276.
Vgl. Helms, Ludger: „Politische Führung“als politikwissenschaftliches Phänomen, in: Politische Viertelsjahresschrift 41 (2000) 3, S. 411–434, hier S. 417. Das Phänomen des „noncharismatic personalism“wurde von Christopher Ansell und Steven Fish an den Politikern Helmut Kohl und Francois Mitterand entwickelt.
Vgl. Derlien, Hans-Ulrich: „Regieren“— Notizen zum Schlüsselbegriff der Regierungslehre, in: Hartwich, Hans-Hermann/Wewer, Göttrik (Hg.): Regieren in der Bundesrepublik I: Konzeptionelle Grundlagen und Perspektiven der Forschung, Opladen 1990, S. 77–88.
Vgl. z.B. Lewis J. Edinger, der zwischen drei Abstufungen von leadership unterscheidet, aus denen sich das Gesamtphänomen speist: „1. The Positional-Ascriptive Definition: […] this approach in general conceives leadership in terms of certain objectivity identifiable positions, offices, tasks, or functions which are explicitly or implicitly associated with assumed power and influence in various formal and informal groups of any size […]. 2. The Behavioral-Descriptive Definition: Here the emphasis falls on performance rather than position; […] Leadership is seen as the ability to guide and structure the collective behavior patterns of a given group in a desired direction […] 3. The Cognitive-Attitudinal Definition: […] the question of who or what is a leader might also be establishesd in terms of an individual’s subjective perception.” Edinger, Lewis: Political Science and Political Biography: Reflections on the Study of Leadership (II), in: Journal of Politics 26 (1964) 3, S. 648–676, hier S. 649 f.
Vgl. beispielsweise zu Problemen des Managements im Sinne von Führung Ringsletter, Max: Auf dem Weg zu einem evolutionären Management. Konvergierende Tendenzen in der deutschsprachigen Führungs- und Managementlehre, München 1987.
Vgl. zur Behandlung des Themas in der Psychologie beispielhaft Wegge, Jürgen/Rosenstiel, Lutz von: Führung, in: Schuler, Heinz: Lehrbuch Organisationspsychologie, Bern u.a. 2004, S.475–513.
Insofern lässt sich auch nachvollziehen, dass zuweilen Kategorien sogar aus den drei genannten, an sich politikfernen Wissenschaften zur ‘Erklärung politischen Führungsverhaltens herangezogen werden. Vgl. die zoologischen Analogien zu Politikern in: Ludwig, Arnold M.: King of the Mountain, The Nature of Political Leadership, Lexington, Ky. 2002, oder den göttlichen Charisma-Begriff oder die gängigen Fußball-Politik-Metaphern.
Vgl. z.B. Murswieck, Axel: Führungsstile in der Politik in vergleichender Perspektive, in: Hartwich, Hans-Hermann/ Wewer, Göttrik (Hg.): Regieren in der Bundesrepublik II: Formale und informale Komponenten des Regierens in den Bereichen Führung, Entscheidung, Personal und Organisation, Opladen 1991, S. 81–95, hier S. 82 f.: „Government is a organization, not a person (Rose, 1987:2) […] Wir schließen uns der Annahme an, dass die Merkmale des Amtes mehr als die jeweiligen Persönlichkeitsmerkmale den Führungsstil des jeweiligen Regierungschefs determinieren […].“
Vgl. z.B. Elgie, Robert: Political Leadership in Liberal Democracies, New York 1995, S. 5 ff.
Vgl. den Machtbegriff Max Webers, der unter Macht die „Chance eines Menschen oder einer Mehrzahl solcher […], den eigenen Willen in einem Gemeinschaftshandeln auch gegen den Widerstand anderer Beteiligter durchzusetzen“versteht. Zitiert nach Mommsen, Wolfgang J. (Hg.): Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Teilband I: Gemeinschaften, Tübingen 2001, S. 252.
Vgl. Etzersdorfer, Irene: „Persönlichkeit“und „Politik“: Zur Interaktion politischer und seelischer Faktoren in der interdisziplinären „Political Leadership“-Forschung, in: Österreichische Zeitschrift fur Politikwissenschaft 26 (1997) 4, S. 377–391, hier S. 388. Nach Etzersdorfer wird das Selbst zur intervenierenden Variablen zwischen einer inneren Welt des subjektiven Verständnisses der politischen Identität und den Rollenanforderungen der Außenwelt.
Edelman, Murray: Politik als Ritual. Die symbolische Funktion staatlicher Institutionen und politischen Handelns, Frankfurt a.M./New York 1990, S. 58 f. bzw. S. 68.
Vgl. beispielhaft zum Verhältnis von institutionellen Machtressourcen und leadership Crockett, David A.: The Opposition Presidency. Leadership and the Contains of History, Texas A&M Univ. Press, 2002.
Walter spricht sogar von einer zunehmenden Tendenz zur „kollektiven Führung“. Vgl. Walter, Franz: Führung in der Politik. Am Beispiel sozialdemokratischer Parteivorsitzender, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 7 (1997) 4, S. 1261–1337, hier S. 1287.
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Forkmann, D., Schlieben, M. (2005). „Politische Führung“ und Parteivorsitzende. Eine Einleitung. In: Forkmann, D., Schlieben, M. (eds) Die Parteivorsitzenden in der Bundesrepublik Deutschland 1949 – 2005. Göttinger Studien zur Parteienforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80693-2_1
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