Zusammenfassung
Mit der Pädagogik der Vielfalt hat Annedore Prengel (1993, 1999, 2002) einen demokratischen Reformansatz vorgelegt, der sowohl die Gleichheit als auch die Verschiedenheit der Schülerinnen und Schüler zum Ausgangspunkt jeglicher pädagogischer Praxis erhebt. Das rasche Markieren von Kindern mit ausgeprägten Lernschwierigkeiten als auffällig und störend und die Etikettierung als „lernbehindert“, widersprechen von der pädagogischen Grundeinstellung her dem genannten Reformanliegen. Ob ein Kind zur sonderpädagogischen Überprüfung gemeldet wird und ob ihm ein entsprechender Förderbedarf tatsächlich auch bescheinigt wird, ist von vielen Bedingungen abhängig und nur mehrdimensional interpretierbar (vgl. Reiser/Loeken/Dlugosch 1995, Gomolla/Radtke 2002). „Lern- und Leistungsversagen kann nicht primär als eine personale, unabänderbare Seins- bzw. Schicksalskomponente, als Persönlichkeitsmerkmal verstanden werden“. Lernbehinderung „ist vor allem abhängige Variable eines spezifischen Gesellschafts-, Schul- und Interaktionssystems; anders ausgedrückt: Es gibt keine Lernbehinderung an sich, sie ist keine absolute, sondern eine relative, schulorganisatorische und interaktionistische Bestimmungsgröße“ (Eberwein 1996: 36). Aus interaktionistischer Perspektive — darauf soll hier die Aufmerksamkeit fokussiert werden — beeinflussen u.a. auch die Vorstellungen der Lehrkräfte über das „normale“ Grundschulkind und die damit verbundene Toleranz gegenüber Abweichungen von den Erwartungen über den in die Grundschule „passenden“ Schüler, das Risiko eines Kindes als „lernbehindert“ wahrgenommen zu werden.
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Literatur
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Geiling, U. (2004). Lernbehindert? Konstrukte von Studierenden der Grundschulpädagogik im Spannungsfeld von Fremdheit und Normalität. In: Heinzel, F., Geiling, U. (eds) Demokratische Perspektiven in der Pädagogik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80670-3_10
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