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Menschenrechtsbildung im Kontext einer einwanderungsgesellschaftlichen Programmatik

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Zusammenfassung

Die politische und pädagogische Beanspruchung der Menschenrechte hat seit einiger Zeit Konjunktur. Dabei wird vielfach vorausgesetzt, dass die Menschenrechtserklärungen eine normative und rechtliche Grundlage bereitstellen, die im Kern nicht diskussionsbedürftig ist. Damit einher geht vielfach die Überzeugung, dass die Menschenrechte in den rechtsstaatlichen, demokratisch verfass-ten modernen Gesellschaften gewährleistet sind. Diese Annahmen halten einer näheren Betrachtung jedoch keineswegs stand. Eine theoretisch fundierte Bezugnahme auf die Menschenrechte kann deshalb nicht darauf verzichten, die konkreten Menschenrechtserklärungen als in politischen Auseinandersetzungen entstandene Dokumente zu analysieren, und auch nicht darauf, die Diskrepanz zwischen aus den Menschenrechten ableitbaren Ansprüchen und den Begrenzungen ihrer Einlösung zu thematisieren, die insbesondere für NichtStaatsbürgerinnen auch in modernen Einwanderungsgesellschaften beschreibbar sind.144

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Literature

  1. Sie ist auch zu unterscheiden von einer legitimatorischen Beanspruchung der Menschenrechte in moralisierenden politischen Diskursen. Letztere ist dadurch charakterisiert, dass an allgemeine Zustimmungsbereitschaft zur Forderung nach Achtung der Menschenrechte appelliert wird und damit Kritikerinnen von Positionen, die sich auf die Menschenrechte berufen, unter erheblichen Rechtfertigungszwang gestellt werden (s. dazu Schwab-Trapp 2003: 184ff.). Dabei werden die Menschenrechte vielfach reklamiert ohne dass ausgewiesen wird, welche konkreten Bestimmungen gemeint sind.

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  2. Zur menschenrechtspädagogischen Diskussion liegt eine Reihe neuer Veröffentlichungen vor; s. etwa Lenhart 2003, Frkzsche 2004 und Lohrenscheit 2004. Dort sind z. Teil deutlich andere Akzentuierungen entwickelt als in unseren Überlegungen.

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  3. Zugespitzt deutlich wird diese Problematik im Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen, das davon ausgeht, dass auch im Fall solcher Jugendlicher ein eigentlich intakter Persönlichkeitskern von falschen politischen Überzeugungen unterschieden werden kann; die inzwischen vorgenommene Umbenennung und Revision dieses Konzeptes in Richtung auf eine gerechtigkeitsorientierte Jugendarbeit hat auf die einschlägige Kritik reagiert und erklärt die Vermitdung von Gerechtigkeitsnormen deshalb auch ausdrücklich zu einer eigenständigen Aufgabe von Jugendarbeit; s. dazu Krafeld 2001.

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  4. Auf die Widerlegung biologistischer „Begründungen“ kann vielmehr auch mit der Suche nach veränderten Rechtfertigungen oder aber schlicht mit Verweigerung argumentativer Auseinandersetzungen und rationaler Begründungen reagiert werden. Dazu formulierte bereits Theodor W. Adorno (1951: 130) treffend: „Das geläufige Argument der Toleranz, alle Menschen, alle Rassen seien gleich, ist ein Bumerang. Es setzt sich der bequemen Widerlegung durch die Sinne aus, und noch die zwingendsten anthropologischen Beweise dafür, dass die Juden keine Rasse seien, werden im Fall des Pogroms kaum etwas daran ändern, dass die Totalitären ganz gut wissen, wen sie umbringen wollen und wen nicht.“

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  5. Norberto Bobbio (1998: 10) weist darauf hin, dass insofern von einer faktischen Universalität der Menschenrechte ausgegangen werden kann, als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von allen UN-Mitgliedsstaaten formell anerkannt ist.

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  6. Einen Einblick in die einschlägige Diskussion geben die Beiträge in Edelstein/Nunner-Winkler (1986). Werner Schiffauer (1997: 35) formuliert die kulturanthropologische These, dass moderne Vergesellschaftung einen Bruch mit der Vorstellung, „dass primären Beziehungen (Verwandtschafts-, Freundschafts-, Gefolgschaftsbeziehungen) auch primäre Bedeutung zukommt“, voraussetzt.

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  7. Während der Arbeit an diesem Projekt sind einige aktuelle Veröffentlichung zur Menschenrechtspädagogik erschienen; hinzuweisen ist hier insbesondere auf Lenhart (2003) sowie Fritzsche (2004). Auf eine ausführliche Diskussion der Übereinstimmungen mit und Differenzen zu unseren Ü-berlegungen verzichten wir hier.

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  8. Bekanntmachung des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung vom 11. Januar 2001 (15411 A-51303/30).

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  9. Die Effekte der UN-Dekade werden insgesamt skeptisch eingeschätzt; s. dazu Rosemann 2003.

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  10. Dies wird im dritten Bericht der Europäischen Kommission gegen Intoleranz und Rassismus (ECRI) über Deutschland kritisiert. Dort wird die Einführung eines Pflichtfaches empfohlen, das „die Erziehung zur Achtung der Menschenrechte“ zum Gegenstand haben soll. (s. ECRJ 2004)

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  11. In einem ausführlichen und differenzierten Kommentar zur ersten Fassung dieses Kapitels hat Volker Lenhart (2004) darauf hingewiesen, dass unsere Überlegungen eine deutliche Affinität zu einem menschenrechtspädagogischen Transformationsmodell aufweisen, das „Menschenrechtsbildung mit den Anliegen anderer Empowerment-Strategien“ verbindet, „stark lebensweltbezogen“ ist sowie „Konflikte in der Einzelgesellschaft und im System von Gesellschaften“ aufgreift (ebd.: 7). Diese Einordnung charakterisiert unsere Orientierung treffend, obwohl die von Lenhart in Anschluss an Felisa Tibbits (2002) vorgeschlagene Unterscheidung zwischen (a) einem Werte- und Aufmerksamkeitsmodell, (b) einem Verantwortlichkeits- und (c) einem Transformationsmodell u. E. zwar analytisch hilfreich, aber nicht trennscharf ist.

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  12. Für Kant setzt solche Unabhängigkeit noch den Besitz von Eigentum voraus, was abhängige Handwerker und Arbeiter ausschließt; s. zur Lippe 1975: 70 ff.

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  13. Dies schließt bei Kant noch Kinder und Frauen aus; s. dazu zur Lippe 1975: 70 ff.

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  14. „Die Idee der Selbstgesetzgebung von Bürgern darf […] nicht auf die moralische Selbstgesetzgebung einzelner Personen zurückgeführt werden. Autonomie muss allgemeiner und neutraler begriffen werden.“ (Habermas 1992: 154)

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  15. In der philosophischen Diskussion um den Status der Menschenrechte bildet die Frage, ob die Menschenrechte vorrangig als moralische Prinzipien oder als juridische Rechte aufzufassen sind, einen zentralen Ansatzpunkt der Auseinandersetzung (s. dazu Paul 1999: 20 f.; Lohmann 1999: 62 ff.).

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  16. Lenhart (2003: 86) weist entsprechend darauf hin, dass bereits Immanuel Kant argumentiert hat, „dass die Individuen den Schritt zur Moralität nur selbst tun können“.

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  17. Exemplarisch deutlich wird dies etwa an den Debatten um das Asylrecht. In diesen wird oft nicht nur schlicht ignoriert, dass das Asylrecht als ein Menschenrecht kodifiziert ist, darüber hinaus finden sich selbst in Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildung Texte, die von einer „deutsche[n] Asylnot“ sprechen, der eine revisionsbedürftige „noble Geste“ zugrunde liegt (Stürmer 1997: 29).

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  18. Kettner beschreibt die Menschenwürde als den „Grund“ der Menschenrechte: „Menschenwürde ist im eurogenen begrifflichen Konnex mit der Rede von Menschenrechten die Chiffre für einen selber nicht rechts förmigen Grund aus dem Menschenrechte überhaupt gesetzt sein sollen.“ Dabei gehe das „mit der Idee einer Würde von Menschen als solche Angezeigte in jede dieser positiven Setzungen (= die erklärten Menschenrechte) ein, doch in keiner auf“ (Kettner 1999: 72).

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  19. Darüber hinausgehend sieht Margalit (1997: 91 ff.) einen positiven Ansatzpunkt in der Vorstellung, dass Menschen die Fähigkeit haben, ihrem „eigenen Leben zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine völlig neue Deutung zu geben und es dadurch radikal zu verändern“.

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  20. Entsprechend erwartet Luhmann (1993: 582) eine Weiterentwicklung der Menschenrechtserklärung in Richtung auf ein „von regionalen Traditionen und regionalstaatlichen politischen Interessen unabhängiges Rechtsnormengerüst“. Die weltpolitische Entwicklung seit Beginn der 90er Jahre stützt eine solche Erwartung jedoch kaum.

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  21. Die in den 90er Jahren von einigen asiatischen Staaten initiierte Debatte um „asiatische Werte“, die als Kritik an der Beanspruchung der Geltung der Menschenrechte als universelle Normen formuliert wurde, wurde auch innerhalb „der“ asiatischen Länder keineswegs einheitlich und widerspruchsfrei geführt. So wurde auf der Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993 von Vertreterinnen der asiatisch-pazifischen Menschenrechtsorganisationen vehement gegen die kulturrelativistische Sicht einiger asiatischer Regierungsvertreterinnen protestiert (s. Klein 2002: 16 ff.).

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  22. Luhmann (1993: 577 ff.) kritisiert ein Verständnis der Menschenrechte als bloß subjektive Rechte mit dem Argument, dass individuelle Entscheidungen für die Beanspruchung eigener Menschenrechte „unter den gegebenen politischen Verhältnissen oft nicht frei getroffen werden“ können. Er fordert demgegenüber ein „Weltrechtssystem“ (ebd.: 580), das einzelne Staaten zur Beachtung der Menschenrechte verpflichtet.

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  23. Auf diese Problematik im Rekurs auf die Menschenrechte hat Hannah Arendt hingewiesen. Sie konzipiert das „Recht, Rechte zu haben“ als das Recht einem politischen Gemeinwesen anzugehören, das diese Rechte garantieren kann. Dieses stellt Arendt zufolge das einzige vorpolitische, vorstaatliche im Sinne eines allgemeinen Menschenrechts formulierbare Recht dar (s. Arendt 2000: 601 ff.).

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  24. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 setzt Nationalstaatlichkeit und Staatsbürgerschaft als selbstverständliche Prämissen voraus und hat als diesbezügliches Problem vor allem die Aberkennung von Staatsbürgerschaft im Blick. Unter gegenwärtigen Bedingungen gewinnt aber das Problem an Bedeutung, wie Würde und Rechte derjenigen zu gewährleisten sind, denen die Staatsbürgerschaft in der Einwanderungsgesellschaft verweigert wird oder die ohne legalen Aufenthaltsstatus in einem Land leben, ohne eine Legalisierung anzustreben; s. dazu Agamben 2001; Balibar 2003.

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  25. S. hierzu etwa Herzog/Wäldle 2004. In dieser Studie wird u.a. dokumentiert, dass seit der 1993 vorgenommenen Änderung des Asylrechts 145 Menschen beim Versuch des Grenzübertritts starben und 111 Flüchtlinge dadurch zu Tode kamen, dass sie wegen ihrer drohenden Abschiebung Suizid begingen.

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  26. Ignatieff plädiert für eine Akzentuierung des politischen Charakters der Menschenrechte und für eine solche Begründung, die sich aus der konkreten historischen Erfahrung und daraus, welche praktische Wirkung und Bedeutung die Menschenrechte in der Abwehr und Überwindung von Unrecht und Unterdrückung historisch entfaltet haben, ableitet und nicht aus einem abstrakten Begriff der Würde oder der menschlichen Natur (s. Ignatieff 2002: 75 f.).

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  27. Auf Konkretisierungen dieser didaktischen Grundfigur in den konkreten pädagogischen Programmen gehen wir im Weiteren noch ein.

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  28. In der bereits erwähnten Kommentierung der ersten Fassung dieses Kapitels hat Lenhart (2004) darauf hingewiesen, dass das pädagogische Potential nicht ausgeschöpft wird, wenn Menschenrechte allein als moralische und nicht auch als beanspruchbare Rechtsprinzipien dargestellt werden.

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  29. Der empirischen Forschung zur Moralentwicklung sind deutliche Hinweise darauf zu entnehmen, dass moralisches Argumentieren und moralische Motivation nicht als unspezifische Persönlichkeitseigenschaften, sondern thematisch spezifisch entwickelt und aktualisiert werden (s. Nunner-Winkler 1991).

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  30. Es kann nicht unterstellt werden, dass z. B. nicaraguanische Straßenkinder, die keinen Zugang zu organisierter Bildung finden, zugleich aber gezwungen sind, durch illegalisierte Arbeit den Lebensunterhalt ihrer Familien zu sichern, ein würdeloses Leben führen (s. Liebel 2001).

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  31. S. dazu das Information Kit vom 01.07.2003 zur United Nations Convention on Migrants’ Rights (www.unesco.org/most/migration/convention).

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  32. Bislang gibt es lediglich erste Schritte, die in diese Richtung weisen, insbesondere die Aufgabenerweiterung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dort werden Beschwerden jedoch nur dann zugelassen, wenn der innerstaatliche Rechtsweg — in Deutschland bis hin zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts — bereits erfolglos ausgeschöpft wurde. Individualbeschwerden in Bezug auf rassistische Diskriminierungen konnten in der bisherigen Rechtssprechungspraxis des Europäischen Gerichtshofes faktisch kaum geltend gemacht werden. Der Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der die Gewährleistung der in der Konvention kodifizierten Rechte garantiert, wurde bislang nicht als ausreichend für Klagen gegen Formen von Diskriminierung erachtet, die über explizit in der Konvention selbst definierte Rechte hinausreichen. Ein von 27 Mitgliedsstaaten verabschiedetes Zusatzprotokoll sieht nunmehr eine solche Erweiterung des Diskriminierungsschutzes vor, der sich allgemein auf die rechtlichen Garantien, die Individuen unter nationalstaatlichem Recht haben, bezieht. Deutschland hat das Protokoll bereits Ende 2000 unterzeichnet, bislang aber genauso wenig ratifiziert wie die meisten anderen Staaten (s. Addy 2003: 31). Eine zusätzliche Möglichkeit der Individualbeschwerde besteht mit der Berufung auf Artikel 14 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung der Vereinten Nationen, dem sich die Bundesrepublik aber erst seit dem 30.08.2001 unterworfen hat (s. Deutsches Institut für Menschenrechte 2003: 22 ff.).

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  33. Eine solche Umorientierung hat grundlegend bereits Paolo Freire (1977) eingefordert.

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  34. S. auch den Artikel von Albrecht Kieser in der Frankfurter Rundschau vom 03.07.2003: „Menschenrechte gelten auch für Migranten“.

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Hormel, U., Scherr, A. (2004). Menschenrechtsbildung im Kontext einer einwanderungsgesellschaftlichen Programmatik. In: Bildung für die Einwanderungsgesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80633-8_5

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-80633-8_5

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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