Zusammenfassung
Einleitend haben wir akzentuiert, dass offenkundige Formen von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus nicht angemessen als separate Phänomene verstanden und angegangen werden können, sondern auf die Notwendigkeit einer Bildungspolitik und Bildungspraxis hinweisen, deren Perspektive die Überwindung der strukturellen und institutionellen Diskriminierung von Migrantinnen sowie die Befähigung aller Heranwachsenden zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Veränderungsdynamiken und gesellschaftspolitischen Gestaltungserfordernissen ist. Damit sind einige Aspekte angesprochen, die im Kontext einer umfangreichen, auch für Expertinnen nur noch schwer überschaubaren Debatte über Ursachen und Erscheinungsformen von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus sowie mögliche Gegenstrategien z.T. kontrovers diskutiert werden.
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Literatur
S. dazu etwa Sinus 1981; Klär 1989; Silbermann/Hüsers 1995; Ganter/Esser 1998; Kleinert 2000; Stöss 2000; Angermeyer/Brähler 2001; Bromba/Edelstein 2001; EUMC 2001; Heitmeyer 2002 und 2003. Die Bibliografie WISO III verzeichnet für den Zeitraum 1990–2004 1889 Einträge zum Stichwort Rechtsradikalismus, zum Stichwort Rassismus 1384 Einträge.
Der einzige Indikator, der sich dazu eignet, entsprechende Orientierungen mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, ist das formale Bildungsniveau — inwiefern es sich diesbezüglich um ein forschungsmethodisches Artefakt handelt, ist dabei unklar (s. dazu Wagner/Zick 1995; Kleinert 2003: 14 ff.).
Klaus Schröder (2004: 157–250) hat einen methodenkritischen Überblick über neuere empirische Studien vorgelegt und formuliert die Einschätzung, dass diese zu einer dramatisierenden Darstellung ihrer Daten neigen. Seine Kritik ist hier nicht im Einzelnen zu diskutieren. Hoch problematisch ist es jedoch, dass er seine eigene Untersuchung mit einer Interpretation der Ursachen von Rechtsextre-mismus verbindet, die ihrerseits nicht durch die Datenlage gedeckt ist. Dies gilt insbesondere für die absurde These, dass die 68er-Bewegung zur Erosion zentraler Werte und damit zur Genese des Rechtsextremismus beigetragen habe (ebd.: 496).
Darauf, dass es in der Bundesrepublik immer wieder qualitativ „neue“ Formen des Rechtsextremismus gab, hat Wolfgang Benz bereits 1980 in Bezug auf den militanten Neonazismus der 1970er Jahre hingewiesen (Benz 1980). Die Entwicklungen seit den 1990er Jahren stehen also auch in einer Kontinuität mit früheren Versuchen, rechtsextreme Positionen als jeweils zeitgemäße Reaktion auf unterschiedliche gesellschaftliche Problemlagen zu behaupten.
Zu berücksichtigen ist selbstverständlich auch der Stellenwert von Mädchen und Frauen in rechten Szenen — bis hin zu der gelegentlich beobachteten fremdenfeindlichen Gewalt junger Frauen (s. dazu Bitzan 1997).
Joe Feagin (2003: 17) spricht deshalb von systemischer Diskriminierung: „Various combinations of blatant, covert, and subtle forms of discrimination can coexist in a given organization or community. The patterns of discrimination cutting across political, economic, and social organizations in our society can be termed systemic discrimination. (…) Both consciously and unconsciously, racism is enforced and maintained by the legal, cultural, religious, educational, economic, political, environmental and military institutions of societies.“
Exemplarisch deutlich wird dies in den Debatten um die aufsuchende und akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendcliquen (s. dazu Scherr 2000).
In den 1990er Jahren wurde Prävention in verschiedenen Kontexten (Drogenprävention, Gewaltprävention, Kriminalitätsprävention) zu einem Leitbegriff politischer und pädagogischer Programme. Dies ist schon insofern problematisch, als Präventionskonzepte mit fragwürdigen Ursache-Wirkungs-Annahmen operieren und gegenüber sozial benachteiligten Gruppen einen Generalverdacht etablieren, der weitgehende Einschränkungen der Autonomie der individuellen Lebensführung legitimieren kann. Hinzu kommt, dass ernst zu nehmende Präventionskonzepte darauf verwiesen sind, tatsächlich an den behaupteten Ursachen jeweiliger Probleme anzusetzen, also nicht erst nachträglich im Sinne einer ex-post-Prävention auf Symptome zu reagieren, weil sie nicht an strukturelle Bedingungen heranreichen.
In sozialwissenschaftlicher Perspektive ist zu unterscheiden zwischen Demokratie als Regierungsform bzw. als Selbstbeschreibung des politischen Teilsystems der Gesellschaft (s. Luhmann 2000) und einem Verständnis von Demokratie als Lebensform (s. dazu Dewey 1964: 120ff.), wie es insbesondere in der US-amerikanischen Tradition der Pädagogik als Leitorientierung bedeutsam ist.
Zur Verdeutlichung: Das nahe liegende Argument, dass deutsche Lehrerinnen und Studierende kein genuines Eigeninteresse daran haben, dass sich der Arbeitsmarkt Schule für Migrantinnen öffnet und dass hierin eine folgenreiche Blockade für die Implementierung antirassistischer Pädagogik begründet ist, ist nicht von vornherein obsolet. Ähnliches gilt für die Frage, was das Interesse deutscher Eltern und Schülerinnen an Programmen sein soll, die auf eine Verbesserung der Bildungschancen von Migrantinnen ausgerichtet sind. Solche Fragen sind u. E. jedoch zu stellen und nicht normativ zu tabui-sieren, wenn es darum gehen soll, eine Weiterentwicklung der schulpädagogischen Diskussion voranzutreiben.
Dass schulisches,Demokratie lernen’ empirisch mit „inkonsistenten partizipativen Anspruchskulturen“ einhergeht, wird, wie Helsper und Lingkhorst (2002) nachweisen, von Schülerinnen durchaus beobachtet und fuhrt zu Skepsis gegenüber den Absichten der Demokratieerziehung.
In seiner Expertise hat Kurt Möller (2002) einen detaillierten Überblick über vorliegende Programme und Evaluationen vorgelegt.
Dieser Trend ist zwar als zweifellos berechtige Reaktion auf empirieferne pädagogische Grundsatzdebatten verständlich und in seiner Absicht zu begrüßen, ein Gegengewicht zur Mystifizierung pädagogischer Prozesse zu setzen. Es stellt sich jedoch durchaus die Frage, ob und wie — jenseits des Interesses, Forschungsmittel für Evaluationen zu requirieren, indem sozialtechnische Erwartungen von Auftraggebern bedient werden — tatsächlich solche Evaluationen realisiert werden können, die den Kriterien wissenschaftlicher Forschung und Argumentation und den daraus abgeleiteten Evaluationsstandards (s. Joint Commitee 2000; DeGEval 2002) entsprechen.
Insbesondere aus dem US-amerikanischen Kontext liegt eine Fülle von Evaluationen vor, für die sich bei näherer Prüfung aber zeigt, dass diese bestenfalls Indizien, aber keineswegs verlässliche und belastbare Aussagen zulassen. Wir haben als exemplarischen Fall die bei Möller (2002) angegebenen E-valuationen des Programms blue eyed, brown eyed nachrecherchiert; einen aktuellen und interessanten weiteren Fall stellt die Debatte um die Güte und die Ergebnisse des sog. Anti-Aggressivitäts-Trainings dar; s. dazu Scherr (2002c) und die dort angegebene Literatur.
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Hormel, U., Scherr, A. (2004). Problemstellung und Begriffsbestimmungen. In: Bildung für die Einwanderungsgesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80633-8_2
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